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Seite:Die Gartenlaube (1879) 235.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

vielmehr mußte er, abgesehen von seinen großen Opfern und Vermögensverlusten, auch den immer größeren Verfall seiner Musterbühne erleben, sodaß er völlig entmuthigt 1812 sich in ländliche Einsamkeit zurückzog.

In ähnlichem Sinne wie Schröder in Hamburg wirkte Iffland in Berlin. Der Adel seines Spiels, die Grazie seines Wesens, die Humanität und harmonische Abklärung seines Charakters und seine edlen Bemühungen als Bühnenleiter haben die deutsche Schauspielkunst und ihre Vertreter in der Achtung des Publicums auf eine Höhe gehoben, welche sie unter Schröder nicht erreicht hatte. Daß Iffland freilich das spätere Virtuosenthum durch sein Beispiel heraufbeschwor, kann nicht verhehlt werden. Endlich schied auch er, ermüdet und vielfach in seinen Bestrebungen enttäuscht, von der Bühne.

Weit übertroffen in der energischen Organisation und straffen Disciplin der Bühne wurde Iffland von Goethe. Die von unserem Dichterfürsten geleitete Bühne zu Weimar war etwas ganz Einzigartiges. Sie entstand durch den unvermittelten Uebergang aus dem verwilderten Naturalismus der Stürmer und Dränger zu einem weltentrückten Idealismus, welchen die Genien der Dichtkunst selbst in’s Leben riefen oder realisirten. Ein Theater-Souverain wie Goethe war noch nie dagewesen und wird schwerlich jemals wieder erstehen. Eine bis dahin unerhörte Verfeinerung und Veredlung des Bühnenwesens schlug die hergebrachten Vorurtheile gegen den Stand der Bühnenkünstler aus dem Felde, seit Goethe in so eingehender Weise sich des Theaters annahm, während gleichzeitig die feurige Antheilnahme Schiller’s viel zur Befestigung der kunstgeschichtlichen Bedeutung der Weimarischen Bühne und der Weimarischen Schule beitrug. Mochten sich auch die Professionisten der Bühne dagegen äußern, daß in Weimar die Poesie zu sehr dominire und die Bühnenkunst bevormunde, die Unparteiischen fühlten, daß es so sein müsse und so am besten sei. Leider hatte auch die Goethe’sche Glanzperiode ein klägliches, ein im eigentlichsten Sinne tragikomisches Ende. Die Geschichte ist bekannt: weil „Der Hund des Aubry“ durchaus Komödie spielen sollte, vergaß man den schuldigen Dank gegen den einzigen Goethe, der die Bühne zur wirklichen Kunststätte erhoben und ihr den edelsten Geschmack verliehen hatte, und dankte ihn ab.

Seit jener Zeit neigten sich fast überall die Leiter der Bühnen einer ökonomisch engherzigen und bureaukratischen Gleichgültigkeit zu, der ein Aufschwung zu neuen epochemachenden Organisationen unmöglich war. Auch das idealistische Gepräge der Weimarischen Schule verlor sich in einen aussichtslosen Formalismus, welcher der Bühnenkunst mehr Schaden als Nutzen brachte. Durch die virtuosen Nachahmer Iffland’s kam das leidige Gastspiel-Virtuosenthum immer mehr in Aufnahme, und dies zerstörte fast überall die guten Ueberlieferungen früherer Zeit, namentlich aber das einzig richtige Streben nach harmonischen Totalwirkungen und nach einem stilvollen Zusammenspiel. Außerdem beherrschte die schwung- und kraftlose Trivialität der Kotzebue’schen Stücke so sehr die Bühne, daß an eine Erhebung zu besserem Streben lange Jahrzehnte nicht zu denken war. Wohl ließe es sich einige treffliche Hoftheater angelegen sein, dem allgemeinen Verfall des Theaters entgegen zu wirken, aber auch sie mußten nach und nach von ihrer Höhe herabsteigen und dem Zeitgeiste huldigen, während der Ruhm ihrer Bühnen meist nur in dem Besitz einzelner virtuoser Kräfte bestand, nicht in dem Gedeihen des Ganzen oder in einem kraftvollen System.

An sehr ernsten und höchst einsichtsvollen reformatorischen Geistern fehlte es auch in der Neuzeit nicht, und ganz besonders machten sich zwei hervorragende Männer, Eduard Devrient und Heinrich Laube, durch ihre Bestrebungen, eine Besserung im Großen anzubahnen, hochverdient, fanden aber nur wenig Nacheiferung. Dennoch hat die neueste Zeit einen mit Erfolg gekrönten Versuch, durch einsichtsvolle Anknüpfung an die besten Ueberlieferungen der Vergangenheit einen Aufschwung zum Bessern herbeizuführen, aufzuweisen, und zwar in den Gesammtgastspielen der Meininger.

Die Meiningische Hofbühne hat in vielen Stücken die Saaten der Vergangenheit zur Reife gebracht. Wenn einst Schröder sein Theater in Hamburg von der Oper loslöste, aber nur auf kurze Zeit, so haben sich die Meininger ganz consequent und für immer von der Oper emancipirt, um desto ausgiebiger für das Schauspiel zu wirken. Auch die lebensvolle, vom Impuls der Dichtung getragene Darstellungsweise, die durch Schönheit verklärte Natürlichkeit und die hamonische Totalwirkung, welche die Meininger hervorbringen, lassen einen Vergleich mit der Hamburger Bühne unter Schröder zu; namentlich ist bei Beiden das Streben nach einem guten und stilvollen Ensemble ein gleiches. In dem Goethe’schen Bühnenregiment findet sich das Vorbild für die straffe Disciplin der Meininger, welche jedoch nicht so penibel gehandhabt wird, wie es einst in Weimar geschah. In einigen Punkten überbietet jedoch die Meiningische Hofbühne alle Vorgänger: in dem malerischen Reiz der Scene- und Gruppenbilder wie überhaupt in der künstlerisch schönen Ausstattung neben gewissenhaft treuer Wiedergabe der Dichtungen. Daß freilich die Verwendung von Ausstattungsreizen in manchen Dingen bei den Meiningern zu weit geht und dadurch die Aufführungen unnöthig vertheuert, kann nicht hinweggeleugnet werden. Sicherlich aber entstammt dieses Streben nach Vollständigkeit der äußeren Wirkungsmittel der ernsten Erwägung, daß nichts verabsäumt werden darf, die ernste Kunst auch gefällig und reizvoll wirken zu lassen, und nicht etwa einer Speculation auf die schaulustige Menge.

Ihre redlich erkämpfte Bedeutung verdankt die Meiningische Hofbühne hauptsächlich der Initiative und Beharrlichkeit des regierenden Herzogs Georg von Sachsen-Meiningen (vergl. „Blätter und Blüthen“ dieser Nummer), welcher dem Theaterwesen seit Jahren die eingehendsten Studien widmete und nach seinem Regierungsantritte (20. September 1866) dem schwunglosen Patriarchalismus der Hofbühne ein Ende machte. Zunächst bewirkte er durch Beschränkung oder Vereinfachung des Repertoires, durch den Ausschluß der Oper, der Operette und Gesangsposse eine wesentliche Hebung für das recitirende Drama. Außerdem wurden die französischen Löwen des Tages, die Sittendramen und Halbweltstücke, über Bord geworfen. Gegen letztere war der Herzog besonders eingenommen, nicht etwa nur, weit darin eine überfirnißte Sittenrohheit mit gleißenden Sophistereien sich auf die Bühne drängt, sondern auch besonders deshalb, weil sie eines tieferen dramatischen Gehaltes, einer schönen Gedankenwelt und der geistigen Höhe, welche niemals durch Virtuosität in theatralischen Effecten ersetzt werden können, durchaus ermangeln. Desto eifriger wurden die Werke Shakespeare’s, unserer Classiker und einige neuere werthvolle Dramen einstudirt und vorbereitet, wobei auf phantasie- und geschmackvolle Inscenirung gleich von vornherein Werth gelegt wurde.

Der Herzog war bemüht, bewährte Regiekräfte zu gewinnen; im Grunde hatte er freilich den geeignetsten Direktor und exactesten Regisseur – in sich selbst, denn in ihm vereinigte sich zum größten Vortheile des Ganzen ausgeprägter Kunstsinn des Directors mit persönlicher Autorität des verehrten Fürsten. Es war ein in der Theatergeschichte beispielloses, von allen Hoftraditionen abweichendes Curiosum, daß ein Fürst sein eigener Theaterdirector wurde. Früher pflegten sich die Serenissimi nach der Tafel die theatralischen Amusements nur serviren zu lassen, sich aber im Uebrigen nur um kleine persönliche Dinge oder auch um engherzige Ausführung der Censur zu kümmern. Der Herzog studirte nicht nur genau die aufzuführenden Dichtungen, sprach nicht nur manche Hauptrollen mit den Künstlern durch, sondern gab selbst Ideen für die Inscenirung an, skizzirte Zeichnungen für Decorationen und Costüme und verfolgte die Ausführung bis in’s Kleinste. Wie sehr er dabei als tatentvoller Zeichner und Maler sowie als Culturgeschichtsforscher über Kenntnisse und feinen Geschmack verfügte, bewiesen die Resultate. So viel emsige Fürsorge sollte dann auch die besten Früchte tragen. Hierbei darf übrigens die Mitwirkung der hochbegabten Gemahlin des Herzogs, der Freifrau von Heldburg (frühern Schauspielerin Fräulein Ellen Franz, Tochter eines Gelehrten, seit 1873 mit dem Herzog Georg vermählt), nicht unerwähnt bleiben, denn die liebevolle, sorgsame dramatische Vorbildung junger weiblicher Talente, die später Erfolge ernteten, war ihr Werk.

Die eigentliche Blütezeit der Meininger Hofbühne begann vor etwa sechs bis sieben Jahren, als die Regie einem sehr intelligenten Mitgliede der Bühne, Herrn Ludwig Chronegk, übertragen wurde. Diese Wahl war ein Treffer. Was der Herzog emsig plante, führte dieser mit der nötigen Macht ausgestattete Stellvertreter mit rastloser Energie aus. Erstaunlich ist es, wie schnell sich seitdem das Stamm-Repertoire der Meininger erweiterte. Jetzt erstreckt es sich bereits auf sämmtliche bühnenfähige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_235.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)
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