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Seite:Die Gartenlaube (1879) 243.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Dazu das Meer mit Hunderten von Buchten, die sich so tief in’s Land hinein erstrecken, daß sie es landseeartig schmücken, die Ufer, mit Bäumen und Sträuchern geziert, deren überhängende Zweige auf der stillen Fluth im sanften Windeshauche sich wiegen und schaukeln. Und – ein seltener Fall im schönen Hellas – hier, auf Corfu, braucht man das „der Mensch lebt nicht vom Sehen allein“ noch nicht in den Gegensatz zu verkehren, daß man „nur vom Sehen allein“ zu leben habe. Wie die Engländer in Italien die Pioniere einer erträglichen Wirthshausexistenz gewesen sind, so hat auch in Corfu ihre langjährige Herrschaft sehr veredelnd auf die culinarischen Sitten eingewirkt; dafür rufe ich als Zeugen alle Gäste auf, die jemals in „La Bella Venezia“ zu Corfu gespeist haben, an jener internationalen Table d’hôte, wo Türken und Aegypter, Engländer, Russen, Italiener, Franzosen und Deutsche durch einander reden. Die letztgenannten Nationen lernen dabei zum ersten Mal kennen, was eigentlich Kaffee ist – nämlich nicht ein mehr oder minder schwarzgefärbtes heißes Wasser, sondern eine stark aromatische Crême in noch flüssigem Zustande. So feindselig auch Türken und Griechen in allem Uebrigen sich gegenüber stehen, in der Bereitung und dem Geschmack ihres Kaffees sind sie einig und einzig.

Daß ich aber meiner Schilderung des Palmsonntags in Corfu einige Bemerkungen über Essen und Trinken vorausschicke, hat einen besondern Grund in dem Umstande, daß an diesem Tage die eingeborene Bevölkerung der Insel nach langen schweren Fasten sich zum ersten Male wieder des Genusses von Speise und Trank erfreut, und zwar ist der Palmsonntag gewissermaßen nur eine Oase in der wirklich dürren Wüste der griechischen Fastenzeit, deren schlimmste Leidenstage während der Charwoche noch bevorstehen. Die Fastengebote der römischen Kirche sind bei weitem nicht so strenge, wie die der griechischen, welche nicht nur das eigentliche Fleisch, sondern gleich den Vegetarianern der strengen Observanz auch alle von Thieren stammenden Stoffe, Eier, Milch, Butter etc. verbietet. Unter diesen Umständen kann man sich denken, mit welchem Appetite und welcher Genußfähigkeit die Bewohner der Insel in der Hauptstadt, dem Stapelplatze so vieler schöner, schmerzlich entbehrter Dinge, zusammenströmen; die Einen zu Schiffe, die Anderen zu Wagen und stolz zu Roß, oder bescheiden zu Fuß, aber Alle nach Kräften geschmückt und im höchsten Feiertagsputze wegen der Theilnahme an der großen Procession zu Ehren des heiligen Spiridion, der, um sich noch mehr zu ehren, an dieser Procession in höchst-, oder richtiger heiligst-eigener Person theilnimmt – natürlich mit seinem irdischen Theil, das heißt mit seiner wohlerhaltenen und wohlsichtbaren Mumie, die … Doch ich muß zu Nutz und Frommen der mit den „berechtigten Eigenthümlichkeiten“ der Insel weniger Vertrauten zuerst Näheres über diesen Heiligen sagen.

Daß der heilige Spiridion der Schutzheilige der Insel Corfu sei, setze ich als bekannt voraus; weniger bekannt dürfte sein, daß der Heilige selbst, oder richtiger die Reliquie desselben, die heiligen Gebeine, weder im Allgemeinbesitz der Insel, noch der Kirche, in welcher die Gebeine verwahrt werden, sondern im Privatbesitze einer corsiotischen Familie Namens Bulgaris sich befindet, die ihrerseits den Heiligen dadurch erworben hat, daß vor langer Zeit ein Bulgaris mit einem jungen Mädchen sich verheirathete, welches die heiligen Gebeine als Aussteuer empfing.

Wer einigermaßen mit der Geschichte der Reliquien vertraut ist, wird den Werth dieser Aussteuer zu schätzen wissen, denn es ist ja bekannt, daß derartige Reliquien oft mit geradezu fabelhaften Summen ge- und verkauft worden sind. Für die Familie Bulgaris aber ist der Besitz der Reliquie zu einer dauernden, sehr bedeutenden Einnahmequelle geworden; freilich hat sie der Familie auch die dauernde Verpflichtung auferlegt, daß stets ein Bulgaris Priester sein muß, um gegen Gebühren die Wohlthaten zu vermitteln, welche der Heilige in allen möglichen Unglücks- und Krankheitsfällen spendet. Zu den Einnahmen, welche in dieser Weise gewonnen werden, trägt unter Anderm wesentlich das Privileg bei, allein die zahllosen Kerzen zu liefern, die dem Heiligen dargebracht werden, sowie die schwarzen Kleider, welche während eines ganzen Jahres die durch Hülfe der Reliquie genesenen Kinder zu tragen haben.

Die große Procession hat sich allmählich geordnet; die Frauen und Mädchen erscheinen meist in der bunten, kostbaren Nationaltracht: der Rock, wenn auch von dunklem Stoffe, doch mit leuchtenden, oft schreienden Farben besetzt, eine gleichartige Jacke, ein reich gesticktes Mieder, mit Schnüren von Perlen und goldenen und silbernen Nesteln zusammengehalten, unter welchem das weiße Hemd in weiten Falten hervorquillt. Um den Kopf winden sich turbanartig die durch allerlei künstliche Mittel stark vermehrten, von rothen Bändern umwundenen Haarmassen, über welche ein bald gelb-, bald weißfarbiger Schleier fällt. Das sind gewissermaßen die Grundlagen der corsiotischen Frauenkleidung, die nun aber nach Vermögen und Geschmack der Schönen sehr willkürlich theils verändert, theils ergänzt werden durch allerlei Zuthaten, die hier anderen Nationaltrachten, dort der französischen Mode von heute, gestern oder vorgestern entnommen sind. Ein ganzes Vermögen steckt häufig in dem edlen Metall, mit welchem das Mieder verziert wird; im Uebrigen sieht man goldgestickte Jacken voll Sammt, Röcke von farbiger Seide und Schärpen von allerlei Farben. Wie die Frauen am Mieder, so entfalten die Männer den Hauptluxus am Leibgurt mit den unvermeidlichen, oft kostbar ausgelegten Pistolen und Dolchen. Außerdem legen die Reicheren Werth auf die Stickereien der Jacken; der übrige Theil der Nationaltracht – Fez (vielfach auch von der weiblichen Jugend getragen), Fustanella und weite Hosen von dunkler Farbe – ist bekannt.

Um Mittag verläßt die Procession die Kirche; Fahnen eröffnen den Zug; lange Reihen von Geistlichen folgen in prächtig-goldgestickten schwerseidenen Gewändern, ferner zahlreiche Schüler verschiedener Institute, alle uniformirt, sodann Soldaten und wiederum Priester, geweihte Kerzen und Palmenzweige tragend. Ein dichter Knäuel von Priestern, in deren Mitte der Patriarch, die goldene Krone auf dem greisen Haupte, majestätisch einherschreitet, schließt sich an.

Ich habe es schon bei Gelegenheit eines hohen Kirchenfestes in Deutschland, welchem ein römischer Cardinal beiwohnte, nicht ohne eine gewisse Bewunderung wahrgenommen und später oft bestätigt gefunden: diese hohen Würdenträger der römischen und, wie ich nunmehr gesehen habe, auch der griechische Kirche wissen in den scheinbar so einfachen Act des Gehens, sage ich lieber des „Schreitens“, etwas Würdevolles, Majestätisches zu legen, das auf jedes einigermaßen für derartige Dinge empfängliche Gemüth einen großen Eindruck macht. Ich habe nie, auch bei den höchsten Staatsbeamten nicht, Aehnliches bemerkt, mochte auch die Wichtigkeit des Actes das Herauskehren von majestätischer Würde noch so dringend erheischen. Also dieser griechische Patriarch hatte ebenfalls die Kunst des „Schreitens“ gelernt und wußte sie anzuwenden.

Unmittelbar nach ihm folgt die eigentliche Hauptperson der Procession, nämlich der heilige Spiridion in einem von vier Priestern wie eine Portechaise getragenen Kasten. Der Kasten ist von durchbrochenem Golde, im Innern mit Purpur ausgeschlagen; sichtbar von der Reliquie sind unten die Füße und oben durch ein im Kasten angebrachtes Fenster der Kopf des Heiligen, welcher völlig dem einer gut erhaltenen Mumie gleicht. Dem Heiligen nach schreiten wieder Massen von Priestern und endlich die Menge des bunt geschmückten Volkes. Alles trägt Palmenzweige. Unter dem Donner der Geschütze, dem Schmettern der Militärmusik, die mit den eintönigen Litaneien der Priester abwechselt, bewegt sich die Procession durch die Stadt, kehrt in zahlreiche Kirchen ein und durchzieht stundenlang die Straßen.

Alles geht in größter Ruhe und Ordnung vor sich; nur um den Kasten mit der Reliquie drängt sich unaufhörlich das Volk. Hier hält eine Mutter mit bittender Geberde dem Heiligen ein kleines Kind entgegen, dem man ein brennendes Licht in die willenlosen Händchen gedrückt hat; dort betten mehrere Mütter kranke Kinder auf dem Erdboden, damit der Kasten mit seinem heiligen Inhalte über die armen Würmer gesundheitspendend hinwegschreite. Andere sammeln mit heiligem Eifer das Wachs, welches von den Lichtern abträufelt, die an dem heiligen Kasten selbst befestigt sind, und überall, wo dieser Mittelpunkt der Procession sich nähert, sinkt Alt und Jung, Mann und Weib andächtig das Kreuz schlagend in die Kniee.

Der Himmel aber gießt die Fülle seines blendenden südlichen Lichtes auf den buntschimmernden Zug, auf das bewegte Leben in den Straßen der Stadt, auf die ernste Citadelle, die seit Jahrhunderten auf einsamem Felsen über der Stadt thront, und auf das ewige Meer, das seine blaue Fluth heute so sanft zum lieblichen Ufer heranspielen läßt, wie vor Tausenden von Jahren, als der homerische Held Odysseus die Königstochter Nausikaa begrüßte. Welch eine lange, dem Menschen unendlich lang scheinende Zeit ist seit jenen Tagen vorübergegangen, welch’ gewaltigen Wechsel der Dinge hat der Wechsel der Zeiten mit sich gebracht! Eines nur ist geblieben: die ewige Schönheit, mit welcher die gütige Natur diese Perle unter den „glücklichen Inseln“ geschmückt, und welche der Genius des Dichters in den unsterblichen Versen seiner Odyssee gepriesen hat.

Und diese Schönheit, welche dem Wechsel der Zeiten widerstanden hat, mag uns eine Bürgschaft sein, daß einst ein noch hellerer Tag leuchten wird über den Inseln und dem Festlande des alten Hellas, der keinen Rauch mehr sehen wird von Kerzen, die am Tage brennen, wohl aber ein Volk, das durch ernste Arbeit des stolzen Namens sich würdig gemacht, der von den Vätern ihm überkommen ist, und gelernt hat, dem „heiligen Boden“ die reichen Schätze abzugewinnen, welche nur der Hand warten, die zu ihrer Hebung geschickt ist.

Fl. Korell.

Blätter und Blüthen.

Herzog Georg von Sachsen-Meiningen (mit Portrait S. 229) ist in der Geschichte seines Landes der zweite seines Namens. Der erste Herzog Georg war sein Großvater, einer jener Fürsten der „guten alten Zeit“, die durch ihr Wesen und Walten das Bild ihrer ungewöhnlichen Persönlichkeit dem Volke so tief eingeprägt haben, daß sie auch ohne die Hülfe der Geschichtsbücher im Gedächtniß desselben fortleben. Noch heute erzählt sich Bürger und Landmann vom „Herzog Jörg“, wie er nach fränkischer Dialektweise genannt wurde, und aus allen diesen Charakterzügen und Anekdoten leuchtet hervor, daß die Strenge und Derbheit, die ihm als Kind seiner Zeit anhingen, durch Herzensgüte und das ernste Pflichtgefühl für rücksichtslose Gerechtigkeit gemildert wurde. Unsere Leser besitzen ein treffliches Charakterbild dieses Fürsten aus der Feder des Meininger Dichters Ludwig Köhler († 1862) im Jahrgang 1861, Nr. 37 („Eine Abstimmung“). Eine Ergänzung zu diesem Bilde des Herzogs brachte Jahrgang 1866, Nr. 19. Auch er gehörte zu der dort besprochenen „Tafelrunde“, mit welcher „der letzte Ritter des Frankenlandes“, der Freiherr Christian von Truchseß, seiner Bettenburg einen unvergänglichen Namen erwarb. Der weimarische Musenhof stand nicht allein da in den Ernestinischen Landen; auch die Höfe von Gotha, Meiningen, Hildburghausen und Coburg zogen hervorragende Geister in ihre Kreise, wenn sie auch nicht mit Sternen wie Goethe und Schiller glänzen konnten. Herzog Georg’s liebster Umgang war Jean Paul, auch einer der Gäste der Bettenburg, wo der Herzog einst den ihn und die Lichtseite der patriarchalischen Zeit so trefflich bezeichnenden Spruch der Tafelrunde zurief: „Fürstenglück und Volksfreude gehören bei mir immer zusammen.“

Dieser Herzog Georg starb 1803. Fünf Jahre später kam ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_243.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)
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