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Seite:Die Gartenlaube (1879) 244.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

anderer Meininger Besuch auf die Bettenburg: Friedrich Mosengeil, Ernst Wagner und ein achtjähriger Knabe. Als der alte Freiherr mit ihnen durch den Park wandelte, traten sie auch in die Todtencapelle ein, an deren Wänden marmorne Tafeln die Namen aller hingeschiedenen Genossen der Tafelrunde in goldner Schrift nannten. Da blieb der Knabe plötzlich vor einer der Tafeln stehen, erfaßte sie mit beiden Händen, lehnte den Kopf an sie und weinte bitterlich. Der Knabe war der Erbprinz Bernhard Erich Freund von Meiningen; auf der Tafel stand der Name seines Vaters.

Bernhard Erich Freund ist jetzt ein ehrwürdiger Greis von bald neunundsiebenzig Jahren. In bundesfürstlich großdeutscher Gesinnung mit den staatspolitischen Zielen seiner Zeit zerfallen, entsagte er im Jahre des deutschen Kriegs 1866 der Regierung. Sein Sohn und Nachfolger ist der gegenwärtige Herzog Georg. – Es ist eine alte Familienerfahrung, daß nicht selten das geistige Gepräge der Großeltern in ihren Enkeln wieder hervortritt. Diese Erscheinung glauben wir auch hier in Großvater und Enkel zu erkennen, und deswegen mußten wir, wenn auch mit wenigen Strichen, ein Bild des ersten Herzogs Georg zeichnen, weil die hervorragendsten Eigenschaften desselben in Georg dem Zweiten sich widerspiegeln.

Am Mittwoch, dem 2. April, hat Herzog Georg seinen dreiundfünfzigsten Geburtstag gefeiert. Als Erbprinz beschritt er den jetzt allgemein üblichen Weg der Fürstenerziehung, studirte in Bonn und ging dann zum Kriegsdienst über. Im preußischen Garde-Kürassier-Regiment war er zum Major avancirt, als er, 1850, die Tochter des Prinzen Albrecht von Preußen, Charlotte, als Gemahlin heimführte. Er lebte von da an meist in Meiningen oder in der Villa „Carlotta“ am Comersee seiner Familie (am 1. April 1851 war ihm sein Sohn Bernhard geboren) und den schönen Künsten – in der Malerei strebte er aus dem Dilettantenthum hinaus und galt längst als Künstler von Auszeichnung, ehe er die Kunst veredelnder Gestaltung auf die Bühne übertrug. Der Tod trennte die glückliche Ehe schon nach fünf Jahren. Drei Jahre danach schloß Erbprinz Georg einen zweiten Ehebund mit Prinzessin Feodora von Hohenlohe-Langenburg, und als auch diese nach vierzehn Jahren ihm durch den Tod entrissen wurde, wählte er Freifrau Helene von Heldburg geb. Franz zur Gattin.

Seine erste Regentensorge, als er im Jahre 1866 die Regierung übernommen, war, den seit einem Menschenalter entbrannten und noch immer ungeschlichteten Streit des herzoglichen Hauses und des Landes über die Domänen beizulegen. Ehe ihm dies noch gelungen war, brach der französische Krieg aus. Er zog mit nach Frankreich, aber nicht als General der Infanterie der preußischen Armee, der er seit 1864 war, sich dem Hauptquartier anschließend, sondern er zog es vor, als Chef des 95. Regiments, bei welchem auch sein Sohn stand, alle die Schlachten und Gefechte mitzumachen, die sein Regiment in diesem Kriege zu bestehen hatte. Wenige Fürsten haben sich ihr eisernes Kreuz so redlich verdient, wie der tapfere Herzog Georg und sein Sohn, der Erbprinz Bernhard, gegenwärtig bekanntlich unsers Kaisers Wilhelm glücklicher Schwiegerenkel.

Nach dem Frieden des deutschen Reichs mit Frankreich schloß der Herzog daheim Frieden mit seinem Lande. Am 14. Juli 1871 wurde das auf Grund der Vorschläge eines in Dresden gewählten Schiedsgerichts vorgelegte Domänengesetz vom Landtage genehmigt. Es war gegenseitig erprobtes Vertrauen, welches die versöhnten Hände zusammenführte. Der Herzog hatte längst dem Volke gezeigt, daß auch in seinem Herzen Fürstenglück und Volksfreude immer zusammengehörten“. So weit die heutige Staatsmaschine dies verträgt, war er seit Jahren mit Geist und Hand dabei, wo es galt, das Wohl des Volks zu fördern. Dafür spricht seine Theilnahme an der Pflege aller Unterrichtsanstalten und besonders die Erweiterung derselben für praktische Zwecke, wie Malerei- und Modellirschulen in den Hauptbezirken der Porcellan- und Spielwaaren-Industrie Wallendorf-Lichte und Sonneberg; dafür spricht seine Freude am Volksleben, nicht blos in seiner Arbeit, sondern auch bei seinen Festen; dafür spricht endlich der heilige Ernst, mit welchem er über der Ausübung der hohen Kunst wacht, welche am unmittelbarsten auf Herz und Geist des Volkes einzuwirken vermag, ja einzuwirken berufen sein sollte: der Schauspielkunst in einem wahrhaft nationalen Theater. Herzog Georg’s Verdienste auf diesem Gebiete sind in dem Artikel „Das deutsche Theater und die Meininger“ gewürdigt worden. Es ist heutzutage nicht mehr so leicht, wie ehedem, ein „populärer Fürst“ zu sein. Demjenigen, welchem diese Zeilen gewidmet sind, ist dies gelungen, und die Behauptung der alten Meininger: „Es steht kein Herzog Jörg wieder auf“, wird bald nicht mehr geglaubt werden.

H. v. C.




Der Fink als Hausfreund. Es war im Monat April des Jahres 1817. Meine Großmutter und ihr verstorbener Bruder wohnten damals mit ihren Eltern in einem einstöckigen hölzernen Hause, nahe der Kreibitzbach, welches von einen von einer Hecke begrenzten Garten umgeben war, von wo aus man auf das freie Feld gelangte. In dem Garten befanden sich besonders viele Obstbäume, auf welchen die munteren Sänger sich gern aufhielten und durch ihre fröhlichen Lieder das Herz und die Sinne der Hausbewohner und Nachbarn erfreuten.

Auf einem großen Apfelbaume hatte ein lustiges Finkenpaar sein niedliches Nest aufgebaut, in welchem nach wenig Wochen einige junge Vögel sich befanden. Der Bruder meiner Großmutter, damals vierzehn Jahre alt, hatte seine größte Freude daran; er nahm das Nest, legte es in einen Käfig und stellte denselben geöffnet an die nämliche Stelle, damit die Alten nach wie vor den Jungen ihre Nahrung zubrächten. Er sah täglich nach, um die Fortschritte der jungen Vögel wahrzunehmen. Eines Tages, als er sich von dem Vorhandensein der jungen Schaar überzeugen wollte, bemerke er zu seiner Enttäuschung, daß das Nest bis auf ein Junges leer war. Er nahm dies nun mit dem Käfig in die Wohnung, da es von den Alten leicht verlassen werden konnte, und gewöhnte es hier an das gebräuchliche Futter. Bald wurde auch der junge Fink flügge. Man erkannte in ihm ein Weibchen und ließ dasselbe, da man es nicht sehr schätzte, im Zimmer herumfliegen. Endlich noch gleichgültiger, gab man dem Vogel die Freiheit. Die eingetretene Achtlosigkeit verwandelte sich jedoch bald in Freude, als der Vogel mit seinem zutraulichen Wesen aus dem Hausgärtchen in das Zimmer zurückkehrte. Man gewann ihn doppelt lieb und schenkte ihm mehr Aufmerksamkeit und volle Zuneigung. Das Fenster wurde nun, um es nicht täglich öffnen zu müssen, einige Zoll breit aufgelassen, sodaß der Fink ohne Mühe aus- und einfliegen konnte. Der Vater meines Großonkels suchte den Vogel auf die Probe zu stellen und nahm ihn in den Wald mit, woselbst er ihn fliegen ließ. Bevor er zu Hause anlangte, war der Vogel schon anwesend. Diese Versuche wurden mehrere Male mit demselben Erfolge wiederholt.

Nach und nach wurde das Finkenweibchen so zutraulich, daß es sich auf die Achsel des Hausherrn setzte und sich von demselben herumtragen ließ. Es sollte aber bald anders werden. Der Herbst rückte näher und die Zeit kam heran, wo die Vögel wärmere Landstriche aufsuchen; auch unser liebgewordener Gast verließ sein Heim und trat die Wanderung an – man glaubte auf Nimmerwiedersehen. – Der Schnee schmolz und das Frühjahr 1818 folgte; die ersten Frühlingsboten kündigten sich an, und zum allgemeinen Erstaunen stellte sich auch unser Fink ein. Letzterer umkreiste das Haus und kam an das bekannte Fenster. Durch Picken an dasselbe suchte er die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und wurde endlich eingelassen Bei Eintritt der Brutzeit hielt sich auch das Männchen in der Nähe des Hauses auf, und sie erkoren sich einen im Garten stehenden Baum zum Brutplatz. Der Hausvater nahm nach einiger Zeit das Nest in die Wohnung mit, worüber jedoch der Vogel schmollte, sodaß man gezwungen war, das Nest an seinen früheren Ort zu bringen. Es vergingen ungefähr acht Tage, nach welcher Zeit der Fink seinen ersten Besuch abstattete, welcher sich dann regelmäßig wiederholte. Wieder rückte der Herbst heran; der Vogel trat wieder seine Wanderung an. Der Winter kam und ging, und auch der Vogel kam wieder.

Es wiederholten sich die erwähnten Vorgänge, nur mit dem Unterschiede, daß das Nest an seinem Platze gelassen wurde. Als die Jungen flügge geworden, brachte das alte Buchfinkenweibchen diese selbst in die Wohnung, und da die Beschäftigung der Inwohner eine ruhige war, so lagerte sich die junge Gesellschaft reihenweise auf einer Ofenstange und wurde hier von dem Finkenweibchen gefüttert, in welcher Beschäftigung dies von dem Männchen geraume Zeit unterstützt wurde. Die Kunde von der Anhänglichkeit des Vogels verbreitete sich mehr und mehr, und Besucher, selbst aus der Ferne, erschienen, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Zur größten Freude der Nachbarn und Schuljugend wurde der Fink so zahm, daß er wie ein Huhn den Weg vor dem Hause entlang lief und die ihm hingestreuten Brosamen aufpickte; ja er lenkte selbst die Aufmerksamkeit der Stadtvertreter auf sich, welche streng verboten, den Vogel abzufangen oder mit dem Blaserohre zu tödten.

Als der Vogel ungefähr sieben Sommer gesehen und schon eine kleine Platte bekommen hatte, behielt ihn der Hausherr den Winter über in dem Zimmer. Eines Tages – es war im siebenten Winter – wurde die Aufmerksamkeit des Hausherrn auf einen Gegenstand am Bache gelenkt. Er öffnet das Fenster zur besseren Ansicht. Im Augenblick des Oeffnens flog der Vogel ihm auf die Achsel und von da zum Fenster hinaus. Ob Kälte und Frost ihm den Tod gebracht oder ob er abgefangen worden – wer weiß es! Er kam nie wieder. Die Wahrheit des Geschilderten aber kann von mehreren noch lebenden Personen bezeugt werden.

Kreibitz, 4. März , 1879.

Franz Ulbricht.


Zur Notiznahme. Im Einverständniß mit der Verfasserin haben wir für die Vereinigten Staaten von Nordamerika die alleinige Autorisation zur Übersetzung des Marlitt’schen Romans „Im Schillingshof in’s Englische Miß Annie B. Irish in Washington ertheilt, was wir auf Wunsch der Uebersetzerin hiermit zur Kenntniß bringen.

Die Verlagshandlung.




Kleiner Briefkasten.

Anonymus in Berlin. Wie oft sollen wir wiederholen, daß Redaction und Verlagshandlung der „Gartenlaube“ zu dem Lockungsmittel der Prämienzugabe irgend einer Art niemals gegriffen haben noch jemals greifen werden! Wenn aber Colportagehandlungen dieses Mittel für ihren Privatvertrieb der „Gartenlaube“ in Anwendung bringen, so sind wir nicht in der Lage, dies zu verhindern.

Consul Fr. E. in Rh. Besten Dank! „Der kleinste Späher“ wurde an Herrn B. gesandt.

O. A. in Guben. Sie schreiben uns mit Bezug auf den Passus unseres Pest-Artikels in Nr. 9 der „Gartenlaube“, daß es nicht nöthig sei, in die Weite (nach Rußland) zu schweifen, um Gegenden zu suchen, in welchen meilenweit kein Arzt vorhanden ist, und führen als Beispiel den Gubener Kreis an, in welchem heute noch der arme Bauer den Arzt oft aus so weiter Ferne zu holen hat, daß dieser berechtigt ist, sich den Besuch mit zwanzig Mark honoriren zu lassen. Sie mögen leider Recht haben, und dieser Nothstand bedarf dann ohne Zweifel der Abhülfe, aber die Thatsache kann doch keinen Vorwurf gegen den Verfasser unseres Artikeln begründen!

A. W., Abonnent in Ilmenau. Ihre Adresse? Die Auskunft, um die Sie uns bitten, ist so privater Natur, daß sie keinen Platz in der „Gartenlaube“ beanspruchen kann.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_244.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)
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