Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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„Nun Frankreich, Land der Leiden,
Dein Schwert häng’ an die Weiden,
Wie Juda einst!
Das Wetter legt sich, glaube!
Wenn du die Stirn im Staube,
Voll Reue weinst!“
Und als, von eitlen Schlagwörtern geblendet, sich das unglückliche Volk nach Sedan noch einmal aufrafft, als es voll trügerischer Hoffnung den ungleichen Krieg noch einmal aufnimmt, warnt der Dichter:
„Auf’s Knie, auf’s Knie, daß du die Wunde dir verbindest!
Von Stolz und eitlem Zorn laß ab,
Daß in der Wahrheit Licht du es gerechter findest,
Wenn Schläge dir das Schicksal gab!“
Der Dichter, welcher einen so innigen Antheil an Deutschlands Sache nahm, ist am 23. April 1877 aus dem Leben geschieden. Mitten in der Vollkraft seines wissenschaftlichen und poetischen Schaffens hat ihn ein unerwarteter, plötzlicher Tod aus einer an glänzenden Erfolgen reichen Amtsthätigkeit gerissen, die für Belgien an jedem Zweige der schönen Künste bleibende Spuren zurückgelassen hat. Die Prosaschriften van Soust’s sind meist kunstgeschichtlichen oder kunstkritischen Inhalts und lassen den Verfasser namentlich als einen gründlichen Kenner der Malerei erscheinen. Seine Bücher „Etudes sur l’ état présent de l’ art en Belgique“ (1858) und „L’ Ecole d’ Anvers“ (1859) sind freimüthige, auf gründlicher Fachkenntniß und tüchtiger philosophischer Durchbildung basirende Beurtheilungen der Zustände an den belgischen Kunstakademien sowie mancher verzogener Lieblinge der Nation, Schriften, welche einen lebhaften Zeitungskampf zwischen dem Verfasser und dem ihm vorgesetzten Minister hervorriefen. Aus diesem Streit, an welchem die namhaftesten belgischen und französischen Kunstkritiker sich betheiligten, ging Borckenfeldt unzweifelhaft als Sieger hervor, und das zum Heil für die belgische Kunst. Auf den größeren Ausstellungen zu London, Wien, Paris etc. vertrat er seine Regierung als Commissar; die Kataloge und Kritiken, welche er in Folge derselben schrieb, sind gleichsam die Wegweiser für die von der Malerei einzuschlagende Richtung gewesen.
Seine poetischen Werke gehören meist der Gattung des Episch-Lyrischen oder der Gedankenlyrik an. In dem Oratorium „Venise sauvée“ feiert er den durch den Sieg Preußens bei Sadowa ermöglichten Fortschritt zur Freiheit Italiens. Dieselbe Begeisterung für die Nationalitätsidee durchweht seine „Renovation flamande“, die durch die vlamische Bewegung angestrebte Wiedergeburt Flanderns. Der dem deutschen Dichter Klaus Groth gewidmete „Chant lyrique“ ist ein Preis der Macht des Gesanges im Stil der besten Erzeugnisse von Victor Hugo. Voll hohen Schwunges schildert er darin die Gedanken- und Gefühlsströmungen der wahren lyrischen Dichtung in der Weltliteratur. Nach dem Erscheinen der „Année sanglante“ hatte er an einer großartigen Ideendichtung gearbeitet, welche den Triumph Deutschlands über die vaterlandslosen dunklen Gewalten, die nationale Einigung Deutschlands und Italiens und deren rüstiges Voranschreiten im Kampfe für die Gewissensfreiheit in großen Zügen zur Darstellung bringen sollte.
Schon vor zwei Jahren hatte mir Borckenfeldt in traulichem Gespräch auf unseren Spaziergängen in und um Brüssel und auf unseren Ausflügen durch das grüne Flandern den großartig angelegten Plan dieser Dichtung mitgetheilt, welche eine natürliche Folge seiner „Année sanglante“ und seiner „Venise sauvée“ bilden und den Kreis gleichsam schließen sollte. Von Frau van Soust, seiner geistvollen und ihm congenialen Gemahlin, mit der Herausgabe dieses Werkes Borckenfeldt’s betraut, hoffe ich in der Kürze meinen Landsleuten das bedeutende Fragment zugänglich zu machen. Wenn man von der poetischen Hinterlassenschaft Borckenfeldt’s auf das nun unwiederbringlich Verlorene schließen darf, so ist es zu beklagen, daß es dem Dichter nicht vergönnt gewesen ist, diese reifste Frucht seines Denkens und Dichtens zu zeitigen. Welche Fülle von tiefsinnigen Ideen und poetischen Gedanken ist mit hinabgesenkt in die Gruft, welche die Koryphäen der Kunstwelt Belgiens, die Männer der vlamischen Bewegung, die Vertreter der Behörden in aufrichtiger Trauer umstanden! Die Einen haben einen unermüdlich fördernden Protector, Andere einen begeisterten charakterfesten Parteigenossen, Andere einen wohlwollenden Vorgesetzten und einen treuen Collegen in ihm verloren. Alle aber fühlten sich durch den Adel seiner Gesinnungen, durch die fesselnde Liebenswürdigkeit seines Wesens angezogen. Viele waren ihm zu Dank verpflichtet. Selbst seine politischen Gegner widmeten ihm in der belgische Presse Nachrufe, die von wahrer Achtung zeugten. Die besten und bedeutendsten Männer Belgiens verkehrten in seinem gastlichen Hause, dessen Wände den Blättern eines Albums gleichen, auf denen die ersten Meister der bildenden Kunst sich verewigt haben. Henric Conscience und Emanuel Hiel, wohl die bedeutendsten der jetzt lebenden Dichter der Vlamingen, verkehrten fast täglich in diesem Hause, und die Gesellschaftsabende, welche ich dort verlebt habe, waren wie attische Symposien voll edelster Anregung.
Als ich in den letzte Tage des Juli 1875 aus diesem schönen Kreise schied und den nun verewigten Freund auf dem Nordbahnhofe zu Brüssel zum letzten Mal umarmte, waren wir beide voll Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, und ich glaubte nicht, daß ich so bald die traurige Pflicht zu erfüllen haben würde, dem besten Freunde des deutschen Volkes unter den Dichtern des Auslandes ein Wort des Nachrufes zu widmen.
Möge sein Andenken gesegnet sein!
Es war im wunderschönen Monat Mai. Wenigstens sagte es der Kalender. Der Berggeist Rübezahl war aber sicherlich anderer Meinung, denn er schickte von seinem Hochsitze, der Schneekoppe, einen winterkühlen Luftzug hernieder in’s liebliche Hirschberger Thal, der den vorwitzigen Wanderern rothe Ohren und blaue Nasen anhing. Und dennoch war es wonnig, hineinzuschreiten in den kühlen Maimorgen. Zur Rechten lag der mächtige Kamm des Riesengebirges, mit einer weißen Schneedecke behangen, die weit hinunterreichte, beinahe bis über die Vorberge herab; aber Frühlingsblumen sproßten am Winterschnee, und Pfingstglocken läuteten rings in den Dörfern. Munter schritt ich bergauf und bergab, meinem Ziele zu. Einen Geisteskämpen wollte ich besuchen am Pfingstfest, einen Streiter für das alte Recht, die ewige Wahrheit. Einen Greis wollte ich besuchen zur Frühlingszeit, einen Greis mit Jünglingsmuth. Gebleichtes Haar und Jugendkraft – Frühlingsblumen am Winterschnee.
Gegen Mittag langte ich in Quirl an. Es ist dies ein mäßig langes Gebirgsdorf, dessen Holzhäuschen zu beiden Seiten der Landstraße liegen. Ein munterer Gebirgsbach fließt hindurch. An Wochentagen klappern wohl die Mühlen, die das klare Wässerlein treibt. Heute ist Sonntagsstille allüberall. Kaum vermochte ich Jemand aufzutreiben, um die Wohnung des „alten Wander“ zu erfragen. Ein Mädchen war es, ein munteres Kind mit zwei langen blonden Zöpfen, in schmucker Gebirgskleidung, die mich hinführte. Sie kannte den Alten gar gut; denn war er auch, wo’s die Großen betrifft, nicht selten ein grimmiger, kurz angebundener Gesell: die Kleinen wußten ganz gut, daß bei ihnen dem Alten das Herz aufging. Es scheint das im Lehrerblut zu liegen. Wer einmal einen Blick hineingethan hat in den Himmel der Kinderseele, der kann nicht mehr davon lassen.
Ein hübsches Häuschen mit grünen Festerladen war des Alten Wohnung. Und da stand er auch schon im kleinen Vorgarten am Weinspalier, der gebückte Greis mit dem seltsam durchfurchten Gesicht, der Denkerstirn und den kampfmuthig blickenden Augen. Nicht das erste Mal war es, daß wir uns trafen. Freundlich reichte mir der Alte darum die Hand zum Willkommen, und bald saßen wir mit einander zwischen den Bücherreihen des engen Studirstübchens beim Glase Wein im traulichen Gespräch. Zum Fenster hinaus schweifte der Blick auf die ewigen Berge. Gerade vor uns erhob sich majestätisch der weißbedeckte Kegel der Schneekoppe. Seit Jahrtausenden steht er da wie heute und schaut schweigend hernieder auf das Menschengewirr zu seinen Füßen. Da wußte ich, wo der Alte seine Zähigkeit und Unbeugsamkeit, seinen Kampfesmuth und seine Lebensfreudigkeit hernahm.
„Der rothe Wander“, das war der Name, unter dem die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_457.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)