Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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Reaction der vierziger und fünfziger Jahre unsern Kämpen kannte und verfolgte. Man weiß, daß der Rückschrittspartei jener Tage nichts so sehr ein Gräuel war, wie freisinnige Lehrer. Einer der freisinnigsten war unser Wander. Darum hat aber auch die Reaction ihn zu einem ihrer vornehmsten Opfer ausersehen. Sie hatte sich jedoch in ihrem Manne verrechnet. Fest und ungebeugt, wie seine Berge, blieb er unter all den Stürmen, die Haß und Groll auf ihn schickten. Im Kampfe wuchs ihm die Kraft. Bis zum letzten Augenblicke stand er in den Reihen der Geistesstreiter und sah seine Lebensaufgabe darin, dem Lichte Bahn zu brechen.
Vor fünfundfünfzig Jahren wurde der damals zwanzigjährige Wander, der soeben das Seminar verlassen hatte, Hülfslehrer in einem ziemlich großen Dorfe bei Bunzlau in Schlesien. Es war nicht gerade eine glänzende Stellung, in die er eintrat; denn sie bot ihm wöchentlich nur zwölfeinhalb Silbergroschen Gehalt. Außerdem war der junge Lehrer als „Lämmelbruder“, will sagen als Mucker, verrufen, noch ehe er ankam, weil er dem Bauer, der seine wenigen Habseligkeiten abgeholt hatte, beim Zutrinken von Schnaps nicht Bescheid that. Dazu kam noch, daß der junge Lehrer alsbald manchen alten Schlendrian wegfegen wollte, der sich unter den lässigen Händen seiner Vorgänger aufgehäuft hatte. Da war es denn kein Wunder, daß schon nach wenigen Monaten schwere Anklagen beim Pfarrer einliefen. Vor Allem beschwerte man sich darüber, daß der neue Lehrer keinen Stock in der Schule gebrauche, daß er die Gesangbuchlieder am Anfange des Unterrichts nicht ganz singen lasse, daß die Kinder Sprüchwörter schreiben müßten, und endlich, daß er der alten Hahnfibel den Garaus machen und ein neues, nach methodischen Grundsätzen verfaßtes Lesebuch einführen wollte. Bei allen diesen Anfechtungen wurde der junge Lehrer von seinem geistlichen Schulinspector eher beargwohnt als unterstützt; aber trotz alledem ließ Wander nicht ab, seine Pflicht zu thun und auf dem als richtig erkannten Wege zu verharren. Und als er zwei Jahre darauf nach Hirschberg zog, da vergossen dieselben Leute Thränen, die ihn nach den ersten Wochen seiner Thätigkeit mit Hunden aus dem Dorfe hetzen wollten, und seine Schüler begleiteten ihn stundenweit auf dem Wege in seinen neuen Wirkungskreis.
In Hirschberg war Wander dreiundzwanzig Jahre lang als städtischer Lehrer thätig. Wie er gewirkt hat, davon giebt die Verehrung Zeugniß, die ihm seine zahlreichen Schüler noch nach einem Menschenalter entgegengebracht haben. Er war einer der Lehrer „von Gottes Gnaden“, ein Schulmann, wie er ihn selbst schildert: „Die Lehrer werden im Seminar nicht nach einer bestimmten Staatselle gemacht; sie werden, wie die Dichter, geboren. Sie werden nicht, wie Bücher und Baumwollenwaaren, verschrieben, sondern in glücklichen Augenblicken gefunden. Wenn der Himmel einen Ort, eine Jugendschaar lieb hat, dann schenkt er ihr eine solche Lehrkraft. Es ist die geheimnißvolle, Alles um sich erweckende Kraft, die vom ganzen Menschen ausgeht und den ganzen Menschen ergreift.“
Trotz seiner erfolgreichen Wirksamkeit als Lehrer, die auch seine Gegner niemals anzutasten gewagt haben, gehörte Wander doch schon in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre zu den Mißliebigen. Die Geradheit seines Charakters, die Unerschrockenheit, mit der er in Rede und That das als recht Erkannte verfocht, der beißende Hohn und die unerbittliche Logik, mit der er das Zopfthum und die Frömmelei bekämpfte: das Alles hatte längst dazu beigetragen, ihm das Wohlwollen der Behörde zu entziehen, und so konnte er denn in einer Zeit, die, besonders was die Schule anbetraf, sich aufmachte, mit vollen Segeln in das Fahrwasser der Eichhorn’schen Periode einzulenken, auch persönlich nicht unangefochten bleiben. Schon 1835 besuchte ihn unvermuthet der General-Superintendent Ribbeck und ließ ihn Religionsstunde abhalten. Als er sich verabschiedete, äußerte er: „Man hat mich förmlich mit Berichten über Sie und Ihr Wirken bestürmt, sodaß ich nicht ohne Vorurtheil gegen Sie hierhergekommen bin. Ich habe Sie in Ihrem Berufe kennen gelernt, und es ist mir ein Bedürfniß geworden, Ihnen selbst vor meiner Abreise zu sagen, daß ich in Ihnen einen andern Mann gefunden habe, als er mir in der Provinz geschildert worden ist.“
Nach diesem Besuche hatte Wander einige Jahre Ruhe. Desto heftiger brach unter Eichhorn’s Schulregiment das Ungewitter über ihn los. In einer Schrift über schlesische Präparandenbildung hatte Wander die Meinung ausgesprochen, daß es gut sein möchte, wenn die Schule aus der Vormundschaft der Kirche entlassen und auf eigene Füße gestellt würde. Daneben hatte er sich durch Gründung von Lehrerlesevereinen und besonders durch Veranstaltung der damals berühmten schlesischen Lehrerfeste um die Hebung seines Standes hohe Verdienste erworben. Als er 1842 auf eine ernstliche Verwarnung seiner schriftstellerischen Thätigkeit wegen entgegnete, daß er für die Thätigkeit seiner Mußestunden nur dem Gesetze verantwortlich zu sein glaube, erhielt er den Bescheid: es sei überhaupt nur eine Vergünstigung, daß Schullehrer schreiben dürften. Dem entsprechend wurde, als er mit einer neuen Broschüre für „den geschmähten Diesterweg“ in die Schranken trat, sofort Disciplinaruntersuchung gegen ihn eröffnet. Freilich ohne Erfolg; denn ein Erkenntniß der Liegnitzer Regierung, welches ihn „wegen Ungehorsams gegen die Befehle seiner vorgesetzten Behörde, wegen Erregung von Mißvergnügen unter den Lehrern, sowie wegen Aufregung in politischer Beziehung“ zur Versetzung in eine andere Stelle, sowie „wegen Abneigung gegen das positive Christenthum und Verletzung der Ehrfurcht gegen die christliche Religion“ zur Niederlegung des Religionsunterrichtes verurtheilte, ward auf Wander’s Recurs vom Oberpräsidenten aufgehoben. Doch blieb ihm bis zum Herbst 1848 der Religionsunterricht entzogen.
Inzwischen war er auch in einen politischen Proceß verwickelt worden. Wander war nebenbei als Volkslehrer im Hirschberger Bürgerverein thätig gewesen. Man fand darin ein neues Moment dafür, ihn als Umsturzmann, als Volksaufwiegler zu betrachten. Eine sogenannte „politische Rede“ Wander’s im Bürgerverein gab die längst ersehnte Gelegenheit, wider ihn einzuschreiten. In einer Sitzung hatte er nämlich bei Gelegenheit der Besprechung einer Industrie-Ausstellungs-Medaille mit Bezug auf eine darauf abgebildete „Germania“ folgende Aeußerung gethan: „Ich will nur nachträglich in Betreff der ‚Germania’ mir mitzutheilen erlauben, daß die ‚Germania’ sitzt, daß sie ein sehr trübes Gesicht macht und daß ihre Lippen nur ein wenig geöffnet sind. Ich will mich auf die Auslegung dieser unwichtigen Symbole hier nicht weiter einlassen; es möchte nicht allgemein gewünscht werden. Aber im Stillen sich zu fragen: Warum sitzt ‚Germania’ und befindet sich nicht in fortschreitender Stellung? Warum ist ihr Mund so fest zu, daß man die Perlenreihe ihrer Zähne nicht bemerken und bewundern kann? wird uns Allen wohl gestattet sein.“ Diese Aeußerung, die ein „gutgesinnter“ Zuhörer brühwarm nach Liegnitz sandte, an den Sitz der Regierung, war genügend, eine Anklage wegen Erregung von Mißvergnügen und Unzufriedenheit“ gegen Wander zu veranlassen. Am 6. März 1845 erschienen plötzlich zwei Regierungscommissarien in seiner Wohnung und nahmen eine Haussuchung vor. Unter den mit Beschlag belegten Papieren befanden sich auch einige Hefte Ausarbeitungen für den Unterricht im lutherischen Katechismus. Unglücklicher Weise schlug der eine Regierungsrath darin die Behandlung des vierten Gebots auf und fand dort die Begriffe Staat, Landesverfassung u. dergl., natürlich blos erklärt und mit passenden Bibelsprüchen versehen.
„Wie ich sehe,“ äußerte er, „kommt Politik darin vor, und da ich eben hier bin, will ich doch dergleichen Sachen mitnehmen, damit wir sehen, womit Sie sich so nebenbei beschäftigen.“
Wander bemerkt hierzu: „Welches Papier hat man in seiner Stube noch sicher, wenn sogar der lutherische Katechismus verdächtig ist und einer Untersuchung vom 6. März bis zum 19. December, an welchem Tage mir das Manuscript zurückgegeben wurde, unterliegen muß?“
Das war aber nur ein Vorspiel zu dem großen Ungewitter, das sich inzwischen über Wander’s Haupte zusammenzog. Von dem Superintendenten Roth in Erdmannsdorf war nach Berlin berichtet worden, daß sich im Hirschberger Thale eine communistische Verschwörung gebildet habe, die den Umsturz alles Bestehenden anstrebe. Kurze Zeit darauf erschien im Gebirge ein harmloser Vergnügungsreisender, ein sogenannter „Maler Schmidt“ aus Berlin. Unter dieser Maske verbarg sich aber kein Anderer als der bekannte Polizeiagent Stieber. Sein Zweck war, die Verschwörung zu entdecken. Er konnte indessen nichts Anderes herausbringen, als daß ein halbverrückter Tischler in Warmbrunn hier und da für seine überspannten Ideen Anhänger zu werben versucht hatte. Natürlich genügte das dem scharfsinnigen Polizeiagenten nicht. Er suchte nach den „intellectuellen Urhebern“ der Verschwörung. Als
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_458.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)