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Seite:Die Gartenlaube (1879) 463.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Sorgfalt alle Räume, alle Ecken, alle Schränke, alle Kasten. Ich fuhr mit meinem fackelnden Lichte hinauf und hinunter, die Kreuz und die Quere – was ich suchte, wußte ich selber nicht, vielleicht nur einen kleinen, kleinen Handschuh, der in der Eile des Ausziehens vergessen worden war, vielleicht irgend etwas Anderes, was mir einen Schlüssel zu dem Geheimniß geben konnte, das ich mir nun einmal in den Kopf gesetzt hatte. Aber ich fand Nichts, gar Nichts, und das Einzige, was mir allerdings in hohem und höchstem Grade bemerkenswerth erschien, war ein süßer, feiner Duft, der die Kästen und Schränke erfüllte, und der mir aus ihnen, wenn ich sie öffnete, entgegenströmte, wie Patchouli oder Jockeyclub. Den obersten Kasten des Schreibtisches vermochte ich trotz aller Anstrengung nicht zu öffnen; der Schlüssel versagte, und ich ließ ihn endlich ärgerlich im Schlosse stecken.

In diesem Augenblick klingelte Frau Huber und ich öffnete. Sie stellte eine prachtvolle Porcellanlampe von riesigem Umfange auf den Tisch, die auf der einen Seite Raphael’s Galatea aus der Farnesina zeigte, auf der andern Joseph und Potiphar’s Weib von Biliverti im Palazzo Barberini zu Rom. Ich fragte Frau Huber, ob sie mir eine Tasse Thee brauen könne, da mein sämmtliches junggesellenhaftes Koch- und Küchengerät noch verpackt sei, und schon nach wenigen Minuten strömte der süße Duft des dampfenden Thees durch mein Zimmer – das Service aber, welches mir Frau Huber für immer zur Verfügung stellte, war köstliches Porcellan mit wundervollen blauen Blumen. An der unteren Bodenfläche der Tasse und des Sahnentopfes, die ich controllirte, sobald meine Wirtin das Zimmer verlassen, waren als Fabrikzeichen zwei sich kreuzende Schwerter zu sehen – das Porcellan stammte wirklich und wahrhaftig aus Meißen.

Aber schon überraschte mich Nichts mehr. Das mochte nun gehen, wie es wollte, und wenn morgen früh ein Kammerdiener in schwarzem Frack und mit weißer Halsbinde hereinkam, um mich unterthänigst anzukleiden, so waren mir seine Dienste gerade gut genug, und er mochte nur sehen, wie er mit mir zurecht kam. Für jetzt brannte ich mir, vollkommen zufrieden mit dem Lauf der Dinge, eine Cigarre an, fuhr mit der brennenden Spitze derselben prüfend ein paar Mal dicht unter der Nase herum, beschloß mir morgen eine bessere zu kaufen, die dieser Räume würdiger wäre, und streckte mich dann mit solchem Behagen auf dem blauseidenen Sopha aus, daß dieses in allen seinen Fugen krachte und bis ist sein Innerstes erbebte. Es war vermuthlich bis jetzt an leichtere und anmuthigere Lasten gewöhnt. Ich konnte mir das nun einmal nicht anders denken, und dann, woher sollte denn dieser verwünschte Patchouliduft in allen Kisten und Kasten kommen?

Draußen schlug der warme Frühlingswind noch immer stürmisch an die Fenster. Ich weiß nicht, wie lange ich so lag und welcher Roman mir durch den Kopf ging. Zuletzt mag ich müde geworden sein oder die gute Frau Huber hatte es mit dem Feuer im Ofen gar zu gut gemeint. Kurz, es war schon spät geworden; die Cigarre fiel mir aus der Hand, und ich schlief ein. Da –

Da plötzlich sprang – vielleicht vom Sturmeswehen –
Die Thüre auf, und auf der Schwelle stand
Ein Weib so schön, wie ich noch nie gesehen,
In weißem, lang hinschleppendem Gewand.
Mit großem Auge, um den Mund ein Flehen
So leidvoll, daß ihm Niemand widerstand,
Und königlich floß auf die zarten Glieder
Die schwarze Lockenfluth gelöst hernieder.

Sie ging nicht, nein, die Holde schien zu schweben,
Als geisterhaft sie durch das Zimmer glitt;
Sie sah umher, ein klagevolles Heben
Der schönen Arme sagte, was sie litt;
Doch ganz im Fieber schien ihr Leib zu beben,
Als wankend sie zuletzt nach vorne schritt
und nach dem Schreibtisch streckte ihre Hand,
Der, kaum berührt, schon offen vor ihr stand.

Dann hob sie langsam aus dem schwarzen Schreine
Von Marmor einen Kopf, der ganz ihr glich:
„Da bin ich nun und seh Dich an und weine;
Gebrochen sind wir beide, Du und ich.
Wie war es schön im goldnen Sonnenscheine,
Das Haus bekränzt, bekränzt für Dich und mich –
Nun braust vom Himmel der Vernichtung Wetter,
Zerreißt die Kränze und verweht die Blätter.

So sink’ auch ich, vernichtet und betrogen
Vom eignen Trotz, vom eignen wilden Blut;
In mein Verderben hab’ ich Dich gezogen,
Du schönes Bild, und war Dir doch so gut.
Doch sieh, auch mich verschlingt des Sturmes Wogen,
Bald weiß auch ich, wie sich’s im Tode ruht,
Wo Lieb’ und Haß auf ewig schweigen gehn –
Lebwohl, lebwohl auf Nimmerwiedersehn!“

Sie wandte sich, und stolz das Haupt gehoben
Ging sie dahin, wie zu Schaffot und Gruft;
Die mächt’ge Schleppe rauschte ihrer Roben,
Und durch die reine, leicht bewegte Luft
Schwamm, wie am Himmelsblau ein Wölkchen oben,
Von Jockeyclub und Patchouli ein Duft,
Bis sie am Schlafgemache strahlend stand,
In dessen Dunkel trat und dort verschwand.

Ein Windstoß, so gewaltig, wie er an das Ende einer jeden richtigen Gespenstergeschichte gehört, machte das Haus erbeben und schreckte mich jählings von meinem Lager. Hatte ich geträumt oder träumte ich noch? Blendete mich beim plötzlichen Erwachen das Licht der Lampe, oder war es wirklich die Schleppe eines weißen Kleides, die mir eben noch durch die Spalte der zum Schlafzimmer führenden Thür entgegen zu leuchten schien? War diese nur durch den Sturm aufgesprungen, oder war sie jetzt eben, während ich nur zu träumen wähnte, durch fremde Hand geöffnet worden?

Alle diese Fragen wirbelten mir durch den Kopf, und auf dessen Schädelfläche stiegen mir, so wenig furchtsam ich sonst auch bin, vor geheimem Grausen die Haare langsam zu Berge. Ich stürzte, die Lampe ergreifend, in das Zimmer – das Zimmer war leer, auch die Kammer, auch die Küche, auch der Vorsaal – die ganze Wohnung war leer. Mit einem Fluche, der meiner eigenen thörichten Gespensterseherei galt, stieß ich, in’s Wohnzimmer zurückgekehrt, die Lampe auf den Tisch, und ich wundere mich noch heute, daß ich mir, das abgeschmackte Abenteuer würdig zu beschließen, nicht mit einer kleinen Petroleumexplosion das Haus über dem Kopf angezündet habe.

Aber der Marmorkopf! Ich eilte zum Schreibtisch. Seltsam! Derselbe Kasten, den zu öffnen ich mich vor einer Stunde mit aller Anstrengung umsonst abgequält hatte, gab diesmal dem Drucke meiner Hand so leicht wie möglich nach, und wahrhaftig, aus seiner dunklen Ecke leuchtete mir der weiße Marmorkopf entgegen, still und geisterhaft, aber am Halse durch einen scharfen Bruch von der schönen Büste getrennt.

Die Furcht zwingt uns, kühn zu sein. Darum griff ich, obwohl mir das Herz heftig klopfte, mit fester Hand nach dem verhängnißvollen Marmor, und als ich die beide Stücke an das Licht gezogen, sah ich, daß ich eine vorzüglich gearbeitete Copie jener Klytiabüste in der Hand hielt, die, in Italien, dem Lande der Schönheit, ausgegraben, jetzt eine der ersten und bedeutendsten Zierden des Museums in London bildet. Aus dem geöffneten reichen Kelch der Sonnenblume steigt die wunderbar liebliche und anmuthvolle Büste jener Nymphe empor, die geliebt so zärtlich, verrathen so rachedürstig war und die, auf immer verlassen von dem Sonnengott, den gerade ihre grausame Rache an der Nebenbuhlerin bis in’s Herz getroffen, nun viele Tage lang, des Trankes und der Speise vergessen, ihr Auge zur leuchtenden Sonne gerichtet hielt, ihrem Laufe folgend vom Aufgang bis zum Niedergang, bis mitleidige Götter sie endlich in die Sonnenblume verwandelten, die noch heute sehnsüchtig zum Gott des Tages emporblickt und verlangend ihre Krone nach der Fülle seines ewigen Lichtes wendet.

Dieser Büste nun glich das Weib, das ich im Traume gesehen, auf’s Haar, in dem ganzen feinen und edlen Schnitt des jugendlichen Gesichtes, in dem wehmuthsvollen, klagenden Zug um den schönen Mund, in den feinen Wellenlinien des vollen und tief in die schmale Stirn reichenden Haares, in der wie vom tiefen Kummer leicht gesenkten Haltung des classischen Kopfes – Alles, Alles war so hold, so schön, so lieblich und zugleich so unendlich traurig, wie ich es schon in meinem Traumbild gesehen, und ich erschrak auf’s Neue.

Denn es war zweifellos: ich hatte geschlafen, fest geschlafen und mit geschlossenem Auge. Ich hatte geträumt. Hatte ich wahr geträumt? Hatte ich jenen eigenthümlichen Zustand des Schlafwachens an mir erfahren, in welchem wir die uns umgebende Wirklichkeit selbst träumen, in welchem wir die gegenwärtige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_463.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)
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