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Seite:Die Gartenlaube (1879) 466.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Bronzegesicht, die thränenlosen, starren Blickes, mit fest zusammengepreßten Lippen, ihre Berichte entgegennahm, die nie klagte, aber meist Speise und Labung schweigend zurückwies und Tag und Nacht nicht von dem Krankenbette wich.

Die kleine Mama dagegen, die oft mit dickverschwollenen Lidern, in vernachlässigter Toilette am Fußende des Bettes kauerte und unaufhörlich flüsterte und gesticulirte, war ein wahrer Schrecken für die Aerzte. Angesichts des bewußtlosen Kindes brach das Muttergefühl leidenschaftlich durch, aber auch zugleich der ganze Egoismus dieser Frauenseele. Sie wollte die Angst, die sie folterte, nicht ertragen; sie wollte beruhigt sein; sie peinigte die Aerzte mit Fragen, und doch nahm sie jedes besorgte Achselzucken, jeden noch so verhüllten Hinweis auf die Gefahr wie eine beleidigende Schonungslosigkeit auf. Sie warf sich jammernd über den kleinen Kranken hin und erging sich in maßlosen Schmähungen und Vorwürfen gegen diejenigen, die ihr Kind nach Deutschland, in den spukhaften Schillingshof geschleppt und in eine solche Lebensgefahr geflissentlich gebracht haben sollten. Mit ihrem Gebahren füllte sie den Leidenskelch für Mercedes bis an den Rand – sie mußte selbst überwacht werden, wie ein Kind, und erschwerte die Pflege, die ohnehin eine aufreibende war, da auch Deborah in ihrem unbeherrschten Schmerz durchaus nicht als Stütze gelten konnte.

Die Schwarze litt doppelt. Die Leute des Hauses behaupteten einstimmig, das Kind müsse sterben – Adam sei ihm erschienen. Ein panischer Schrecken hatte Alle gepackt, seit die gellenden Hülferufe des Knaben Corridor und Flurhalle erfüllt – Niemand mochte sich Nachts, selbst bei hellster Beleuchtung, bis an die Laokoongruppe, nächst der Thür des Salons mit den Holzschnitzereien, wagen, und Deborah zitterte am ganzen Leibe bei dem leisesten Geräusch im anstoßenden Zimmer; sie warf die Schürze über den Kopf, um nicht zu sehen, wie der „schreckliche Mann“ plötzlich auf die Schwelle trete, um die Seele des Lieblings zu holen.

In Haus und Garten des Schillingshofes herrschte Todtenstille, die Baron Schilling selbst behütete und überwachte. Keine rauhe Stimme, kein hart auftretender Fuß durfte laut werden; man hatte alle Klingeln im Erdgeschoß abgenommen; das Geräusch des rollenden und rasselnden Kieses auf den Wegen des Vorgartens war gedämpft durch aufgeschüttetes Stroh; kein plätschernder Fontainenstrahl sprang aus den geschlossenen Wasserröhren, und der lärmende Pirat wurde Tag und Nacht ist strenger Haft gehalten.

In diesen schweren Tagen stand das Atelier völlig verwaist; Baron Schilling verließ das Säulenhaus nicht mehr. Er war in der ersten Nacht fast mit dem Arzte zugleich erschienen, und seitdem hatte er ein Hinterzimmer des Oberbaues bezogen, um stets bei der Hand zu sein.

Anfänglich kam er nur auf Stunden in das Krankenzimmer; er fühlte sehr gut, daß die schweigende Pflegerin in ihrer namenlosen, wenn auch heroisch niedergekämpften Angst nicht beobachtet sein wolle. Nur ganz allmählich verlängerte sich sein Aufenthalt am Bett des Kindes, und er stieß auf keinen Widerspruch; die Kräfte der Pflegerin waren nahezu aufgerieben, und sie mochte einsehen, daß sie eine zuverlässigere Stütze nicht finden konnte, als in dem Manne, der mit Augen voll Schmerz und tiefer Zärtlichkeit ihren Liebling behütete. Sie empfing ihn nicht mehr mit finster abweisenden Blicken, wenn er eintrat; seine nahenden Schritte machten sie nicht mehr emporschrecken aus der Stellung, die sie oft stundenlang auf dem Teppich knieend vor dem Krankenbett einnahm. Sie hatte sich neulich gegen jegliche Art des Zusammengehens verwahrt, und doch kam und ging er jetzt in Folge stillschweigenden Einvernehmens und wachte des Nachts bei dem Kranken, während er darauf bestand, daß die tieferschöpfte Pflegerin sich in der anstoßenden Kinderstube zur Ruhe niederlege – und sie fügte sich; angesichts des furchtbaren Unglücks, das über sie hereinzubrechen drohte, versanken alle Bedenken, die sonst die Oberhand in ihrer stolzen Seele hatten.

Es fiel fast nie ein Wort zwischen ihnen, und doch kamen sich Beide näher in der gegenseitigen Beurtheilung. Er hatte es freilich mit einer Sphinxnatur zu thun, die oft genug seiner Prüfung entschlüpfte, um ihm plötzlich wildfremde, räthselvolle Züge zuzuwenden. So oft er den Blick vom kleinen Krankenbett hob, wurde ihm ganz märchenhaft zu Sinne. Als hätten Gnomenhände einen ganzen Regen ihrer unterirdischen Schätze verstreut, um eine schöne Frau mit kühlem Feuer zu umspielen, so funkelte der Steinschmuck an allem Geräth; selbst vom kleinsten Trinkbecher sprühte Rubinenlicht wie aus halbversteckten rothglühenden Koboldaugen. Und die weiße Duftwolke mit ihrem eingewobenen köstlichen Blumen- und Blättergerank, die über den weißen Atlas, die Spitzenkanten der Polster herabfloß, die farbenglänzenden Matten auf dem Parquet, die Sitzmöbel, aus kostbaren Hölzern so luftig aufgebaut, als sollten sie auf ihren Seidenkissen nur leichte Feengestalten tragen – das Alles war aus einer mit sybaritischer Pracht ausgestatteten Pflanzervilla über das Meer hergeschwommen, um wenigstens einen Raum des deutschen Hauses für die verwöhnte Tochter des Südens heimisch und erträglich zu machen.

Für Donna Mercedes war der raffinirteste Luxus sichtlich die Lebenslust, das Element, das ihre ätherische Erscheinung vom ersten Athemzuge an auf seinen Wogen gleichsam hoch über der Erde gewiegt und getragen, und dieselbe Frau hatte es gleichwohl verschmäht, in Zeiten der Gefahr auf ihre sturmgeschützte Besitzung zu flüchten; sie hatte sich in andere Wogen geworfen, in die brausende Brandung des erbitterten Kampfes; das verwöhnte Ohr war nicht zurückgeschreckt vor dem Schlachtendonner, es hatte auf die Signale, die rauhen Commandos lauschen gelernt; durch Dornen und Gestrüpp waren die zarten Füße gewandert; die schlanken, ringgeschmückten Finger hatten kräftig die todbringende Waffe umspannt, und das atlasschimmernde Lager war mit der harten Erde, dem groben Soldatenmantel vertauscht worden – statt der Spitzenwolke des Betthimmels hatte sich das niederschauernde Nachtgewölk über die am Lagerfeuer Rastende hingebreitet.

Ja, sie war rücksichtslos und unbeugsam hart gegen den eigenen verweichlichten Körper, angesichts großer Fragen, wie sie unerbittlich, ja fanatisch gehässig Denen gegenüber stand, die „unberechtigt“ ein menschenwürdiges Dasein erstrebten. „Menschen?!“ hatte sie neulich im Hinblick auf die aufrührerischen Schwarzen mit empörendem Hohn gerufen – man hätte damals glauben müssen, sie habe auch zu jenen raffinirt grausamen Plantagenherrscherinnen gehört, die das Fleisch ihrer Sclavinnen als Stecknadelpolster benutzen sollten, und doch – kamen die sanften, gütevollen Laute, mit denen Jack und Deborah stets und immer angeredet wurden, wirklich von den stolzen Lippen?... Deborah war in Folge des Schreckens und Kummers selbst erkrankt; sie lag in der Kinderstube und sträubte sich in kindischer Furcht gegen das verordnete Medicament. Baron Schilling hörte, wie ihr Donna Mercedes besorgt, in unerschöpflicher Geduld und Langmuth zuredete – sie litt es nicht, daß eine andere Hand als die ihre der „alten, treuen Dienerin“ die Labung reiche, ihr das Lager aufschüttele.

Sie zeigte ferner offenbaren Haß gegen das Germanenthum, seit sie deutschen Boden betreten hatte, deutsche Luft athmete, aber sie las und kaufte fast nur deutsche Bücher; auf dem Flügel lagen Bach, Beethoven und Schubert, und verschiedene Schriftstücke auf dem Schreibtisch bewiesen, daß sie vorzugsweise in deutscher Sprache schreibe. Diesem Arbeitstisch kam Baron Schilling nur nahe, wenn einer der Aerzte an demselben saß, um ein Recept zu schreiben. Da wurde flüsternd über den Zustand des kleinen Patienten verhandelt, manchmal vielleicht einen Augenblick länger als nöthig, denn die Fensterecke hinter der grünen Seidengardine war höchst interessant. Donna Mercedes hatte auch hier in eng gezogener Schranke ein kleines Stück ihres amerikanischen Heims aufgebaut.

Da hing das Oelbild ihrer stolzen spanischen Mutter, einer undinenhaften Schönheit wie die Tochter, das herabfluthende „Zigeunerhaar“ an den Schläfen leicht mit Perlenschnüren zurückgenommen, die feine, biegsame Gestalt, nach Fürstenart, von schwerem violettem Sammet umbauscht; Perlenspangen rafften da und dort die Faltenwucht zusammen. Ja, der Urtypus des Hochmuths war sie gewesen, diese zweite Frau, die sich der imposant schöne Major Lucian, nachdem er im Leben schon halb und halb Schiffbruch gelitten, noch zu erobern gewußt hatte. Seine Photographie hing unter dem Oelbild, daneben sein Sohn Felix, beide Portraits umringt von herrlichen kleinen Landschaftsbildern in Wasserfarben, Ansichten von Lucian’schen Besitzungen vor dem Kriege. Und auf dem Schreibtisch selbst, inmitten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_466.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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