Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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Mannigfaltigkeit darstellend, die „Conca d’oro“, die „goldene Muschel“, welche die Perle Palermo hegt. Selbst in den heißen Tagen des Sommers genießt das Foro wegen der unmittelbaren Nachbarschaft des Meeres eines erfrischenden Luftzuges; deshalb ist hier die Stätte aller öffentlichen Feste; hier tummelt sich zumeist die Lust des Carnevals, und hier gelangt der glänzendste Act des großen Kirchenfestes der „heiligen Rosalie“ zur Aufführung. Von den Vorbereitungen dieses Festes hört der Fremde schon wenige Wochen nach Beendigung des Carnevals reden; bald wird dasselbe zum fast ausschließlichen Gegenstande der Unterhaltung an öffentlichen Orten und in Privatkreisen erhoben; in den ersten Tagen des Mai sieht man in den Hauptstraßen bereits Gasarbeiter eine außergewöhnliche Thätigkeit entwickeln, und auf dem Foro italico beschäftigt man sich wochenlang mit dem Aufbau eines Gerüstes, welches, wie man dem Fremden auf Befragen mittheilt, für jenes großartige Feuerwerk dienen soll, das die Stadt alljährlich mit einem Aufwande von 30,000 bis 40,000 Lire zur Feier des Festes der „heiligen Rosalie“ abbrennen läßt. Die „heilige Rosalie“ ist nämlich die Schutzpatronin Palermos und in dieser Stadt nicht minder berühmt und verehrt, als in Neapel der heilige Januarius. Die Legende berichtet von ihr, daß sie als Verwandte eines Königs von Sicilien am Hofe lebte, später jedoch, der weltlichen Freuden satt, als Einsiedlerin auf den Monte Pelegrino sich zurückzog und im Rufe hoher Frömmigkeit und der Wunderthätigkeit daselbst gestorben ist.
Als in späteren Zeiten einst die Pest in Palermo wüthete, wurden die mittlerweile wieder aufgefundenen Gebeine der Heiligen auf Veranlassung des Erzbischofs in die Stadt gebracht; hier wirkten, der Ueberlieferung zufolge, ihre Reliquien sofort ein großes Wunder: mit dem Einzuge der heiligen Gebeine verschwand die Pest aus der Stadt; zum Dank für dieses Wunder wurde die Heilige in einem massivsilbernen Sarge in einer Capelle des Domes, welche nach der Heiligen benannt ist, beigesetzt, feierlich zur Schutzpatronin Palermos ernannt und ihr ein alljährlich zu feierndes Fest gewidmet, welches bis 1859 eine fünftägige Dauer hatte (vom 11. bis 15. Juli), nunmehr aber auf eine Zeit von drei Tagen beschränkt ist.
Auf der Stelle, wo am Monte Pelegrino die Gebeine der Heiligen gefunden worden, erhebt sich eine Capelle, welche die von dem Florentiner Tedeschi gearbeitete, mit reichem Goldgewande geschmückte Statue der im Schlummer ruhenden Rosalie einschließt. Goethe, der bei seinem Aufenthalte in Palermo die Capelle besuchte, bemerkt darüber in seiner „Italienischen Reise“: „Kopf und Hände von weißem Marmor sind, ich darf nicht sagen, in einem hohen Stil, aber doch so natürlich und gefällig gearbeitet, daß man glaubt, sie müßte Athem holen und sich bewegen.“
Das Fest, zu welchem aus der Umgegend viele Tausende herbeiströmen, vertheilt sich, wie gesagt, jetzt auf drei Tage; den Hauptpunkt des ersten Tages bildet das Abendconcert in der illuminirten Villa Giulia, der sogenannten Flora. Es ist dies eine Gartenanlage im besten Stil; eine Fülle der seltensten ausländischen Zierbäume und Sträucher verbindet sich mit den einheimischen zu einem harmonischen Ganzen; Wasseranlagen, wie Fontainen, Cascaden, geben Leben, während geschmackvolle Kioske und aus dem dunklen Grün des Lorbeers hervorschimmernde Marmorstatuen den Schmuck der Kunst zur Schönheit der Natur hinzufügen. Hier entfaltet nun die Kunst der Beleuchtung in mannigfacher Weise ihre blendenden Effecte: dort eine dunkle Allee durch zahllose Festons mit chinesischen Lampen erhellt; hier auf dem freien Platze, dem Grün des Rasens und unter den niederfallenden Tropfen des Springquells das blendendweiße Gaslicht in funkelnden Sonnen, diamantblitzenden Sternen und schimmernden Arabesken; dort buntfarbige Lichtpyramiden, aus rothen, grünen, gelben, blauen, weißen Lampions gebildet, und das glänzt und strahlt, das schimmert und flimmert, das blitzt und leuchtet, und dazwischen jubelt und klagt die Musik, und in den breiten Wegen und in den engen Gängen drängt sich die Menge, die gekommen ist, zu sehen und – gesehen zu werden. Welcher Glanz von Damentoilette! Fast keine Dame ist mit geringerem Stoffe als Sammet, Atlas oder Moiré antique gekleidet und jedwede geschmückt mit funkelndem Geschmeide.
Aber sagte man nicht, daß heute hier eine Vereinigung aller Stände stattfinde? Die Dame dort in veilchenblauem Atlas ist allerdings die Principessa X, und jene in braunem Sammet ist die Gräfin Y, aber diese Dame dort ist nicht minder kostbar gekleidet, und doch ist sie nur die Frau des kleinen Colonialwaarenhändlers, der kaum im Stande ist, für sich und seine Familie das Nothdürftigste zu verdienen. „Sagen Sie mir,“ so wandte ich mich fragend an meinen Begleiter, „wie macht der Mann es möglich, seiner Frau den unerhörten Luxus dieser durchaus neuen Toilette zu gewähren?“ Ich stand vor einem Räthsel, doch mein sachkundiger Freund, der, gleichwie Odysseus, „vieler Menschen Städte gesehen und Sitte gelernt hat“, wußte das Räthsel zu lösen. Speculirend auf die übermäßige Putzsucht der Palermitanerinnen, lassen gewitzigte Händler, nicht selten geradezu nach dem Kleidermaße einer bestimmten Frau, einen Anzug aus kostbarem Stoffe herrichten, welcher als vollkommen neu für das erste Mal um einige hundert Lire vermietet wird; bei den folgenden Vermiethungen sinkt natürlich der Preis, aber bevor dieser letztere auf der äußersten Grenze der Billigkeit angelangt ist, hat der Händler schon längst einen beträchtlichen Vortheil erzielt; die erste Trägerin jedoch hat einige hundert Lire geopfert, um während weniger Abendstunden das Glück des Besitzes einer Garderobe für tausend und mehr Lire zu genießen. In ähnlicher Weise wird mit Diamantschmuck und dergleichen verfahren. Wer’s nicht weiß, der ahnt nicht, wie viel Sorge und Noth häufig mit dieser erlogenen Pracht verknüpft ist; denn äußerlich ist Alles heiter und freut sich, daß der eigene Glanz manch fremden Glanz überstrahlt. Im Uebrigen muß rühmend bemerkt werden, daß nicht der geringste Mißton das Fest störte, welches trotz der weiten Kluft zwischen Stand, Vermögen und Bildung der einzelnen Theilnehmer durchaus harmonisch in später Nacht, oder wenn man will, am frühen Morgen ausklang.
Der zweite Festtag gipfelt in dem Schauspiele des großen Feuerwerkes. Eine zahllose Menschenmenge, Tausende und aber Tausende drängen sich auf dem Foro italico; einförmig rauscht die Meeresfluth gegen die Mauer, welche den Quai begrenzt; Dunkelheit liegt über dem Wasser; da erscheint plötzlich ein Lichtpunkt über der Fläche; der leuchtende Punkt vervielfältigt sich; jetzt sind es zehn, jetzt zwanzig, vielleicht fünfzig und mehr Lichtkörper, die wie durch eigene Kraft über dem Wasser zu schweben scheinen und langsam dem Schauplatze sich nähern; jetzt tönt sanfte Musik über dem Wasser; jetzt erkennt man die Umrisse einer chinesischen Dschonke, deren Masten, Raaen und Taue mit buntfarbigen Papierlampen geschmückt sind; andersgeformte Fahrzeuge folgen; es entwickelt sich das phantastische Bild eines glänzenden Wassercorsos, der unter den Klängen der Musik am Ufer vorübergleitet und in der Ferne hinter einem vorspringenden Hügel verschwindet, um nach kurzer Zeit zurückzukehren. Nun geben Kanonenschläge und riesige Raketenbouquets das Zeichen zum Beginne des Feuerwerkes. Die Pyrotechnik ist vielleicht die volksthümlichste Kunst in Italien; dieses durch die Augen lebende und redende Volk ist im höchsten Grade empfänglich für Alles, was das Auge reizt; das Lichte, Farbige, Bunte, das Glänzende ist ihm Bedürfniß zugleich und Entzücken. Die Kirche hat ihrerseits nicht unterlassen, diese Leidenschaft des Südländers für glänzende Effecte in ihren Dienst zu nehmen. Wie sie durch die Pracht und den Pomp ihres Cultus, durch Bild- und Marmorschmuck ihrer Kirchen dem Auge schmeichelt, wie sie durch ihre Kirchenmusik das Ohr entzückt, so verschmäht sie auch nicht die Dienste der niederen Pyrotechnik, um dem sinnlichen Bedürfnisse der schaulustigen Menge Genüge zu leisten. So ist es gekommen, daß, namentlich im südlichen Italien, ein Kirchenfest ohne Feuerwerk gar nicht gedacht werden kann, und in Neapel findet ist dieser Beziehung zwischen den verschiedenen Kirchen ein Wettstreit statt, der mit Aufbietung aller Kräfte und nicht ohne schwere Geldopfer geführt wird; entscheidet doch der Sieg nicht allein über das größere Ansehen, sondern auch über den stärkeren Einfluß und die reichere Einnahme der siegenden Kirche im Laufe des kommenden Jahres. Die vielen Tausende, welche zu Ehren der „heiligen Rosalie“ in Gestalt von Raketen, Schwärmern, bengalischen und römischen Lichtern verpufft werden, hätten ohne Zweifel eine würdigere Verwendung finden können; wer aber das schauende Volk hätte befragen mögen, ob es nicht nahrhaftes Brod dem unfruchtbaren Schaugepränge vorziehe, der würde erfahren haben, daß der Südländer Vieles, fast Alles entbehren kann, wenn nur seine Schaulust gesättigt wird.
Die italienische Feuerwerkskunst ist der unserigen weit überlegen;
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_470.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)