Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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auf ihre Bitten vor einigen Tagen ein Bett in’s Haus geschafft, daß es die Schwester aber zur nämlichen Stunde wieder versetzt habe. Geld brauchen wir, hatte sie geantwortet, als man sie zur Rede stellte.
In der darauf folgenden Nacht starb denn die Kranke, und zwei Tage nachher war das Begräbniß.
Ein Wagen, der in der Dunkelheit des Abends vor dem Hause hielt, erregte meine Neugierde. Ich brauchte nicht lange zu warten. Die Schwester der Verstorbenen erschien in Trauerkleidern und stieg in den Wagen. Ihr folgte ein großer, vornehm gekleideter älterer Herr. Er gab dem Kutscher den Befehl, auf einen der Bahnhöfe zu fahren; er solle sich sputen, der Zug gehe bald ab. Dann rollte der Wagen davon.
„Die Tragödie ist zu Ende,“ sagte ich, indem ich das Fenster schloß. Aber ich hatte nur ihren letzten Act mit angesehen – was mochten die vorhergehenden wohl enthalten haben?
Zum ersten Male wieder seit jenem verhängnißvollen Abend nahm ich den Marmorkopf aus dem Kasten des Schreibtisches. Seine Aehnlichkeit mit der Verstorbenen erschien mir größer und auffallender denn je, voll Wehmuth betrachtete ich den edlen Kopf, dessen schönes Ebenbild so jung der Vernichtung und dem Untergang anheimgefallen war, und abermals fragte ich mich, ob hier wirklich ein Zusammenhang der Dinge und Personen bestanden habe, ob die Schicksale dieses Marmorkopfes und jenes unglücklichen Mädchens wirklich mit einander verknüpft gewesen seien, ob mein Traum von neulich mehr als ein bloßes Hirngespinnst gewesen sei? – Da hörte ich auf dem Vorsaal Frau Huber, die mir zur gewohnten Stunde den Thee brachte, und als sei ich mir einer bösen That bewußt, verschloß ich die Klytiabüste wieder in dem Kasten.
„Sie sehen angegriffen aus,“ sagte ich zu meiner Wirthin, die nicht das gewohnte muntere Wesen zeigte.
„Gott sei Dank,“ seufzte sie, „daß die Geschichte endlich zu Ende ist!“
„Welche Geschichte?“
„Ich meine die Zwei, die unten im Hause wohnten.“
„Sie haben sie gekannt?“ rief ich überrascht.
„Freilich! Die Eine wenigstens, die wir heute begraben haben, in ihrer früheren Pracht und Herrlichkeit, und wer hätte ihr damals gesagt, daß sie so schnell und so elend zu Grunde gehen werde!“
„Sie machen mich neugierig; erzählen Sie!“ sagte ich hastig.
„Ahnen Sie nichts?“ fragte Frau Huber entgegen, den Blick scharf auf mich gerichtet.
„Um Alles in der Welt, was soll ich denn ahnen? Ich weiß ja nicht einmal, wer die Mädchen waren, woher sie kamen, wie sie hießen.“
Frau Huber besann sich einen Augenblick und machte sich an den Bändern ihrer Schürze zu schaffen. Dann sagte sie: „Nun gut, Sie sollen Alles wissen. – die Unglückliche, die vorgestern unten im Hause starb, hat einst hier in diesen Ihren Zimmern gewohnt.“
„In diesen Zimmern?“ fuhr ich auf und faßte Frau Huber erschrocken am Arme.
„Ja, aber lassen Sie mich ruhig erzählen! Im Grunde weiß ich selbst nicht viel, und Sie müssen sich’s eben zurechtlegen, so gut es geht. Sie stammte aus einem vornehmen Hause.“
Frau Huber nannte mir eine adelige Familie in einer Stadt Mitteldeutschlands.
„Ihre Mutter muß eine schöne Frau gewesen sein, aber leichtsinnig und leidenschaftlich, der Vater still in sich gekehrt und, vielleicht im Bewußtsein seines Unglücks, dem Trunke ergeben. Die Mutter warf einen tiefen Haß auf ihre Töchter, wie diese heranwuchsen und Sinn für die Schande im Hause bekamen. Sie mißhandelte sie sogar, und an ihrem Vater fanden sie keinen Schützer. Da liefen sie aus dem Hause in’s Weite; sie wollten zum Theater. Die Aeltere, die von ihrer Mutter die Schönheit geerbt hatte, sang auch recht gut, und sie soll auf der Bühne so schön und lieblich wie ein Engel ausgesehen haben; sie machte alle Männer toll, aber sie kümmerte sich um ihre Anbeter blutwenig. Sie war stolz. Die Jüngere war zu nichts Gutem nütze, aber dafür um so leichtsinniger, und das hatte sie auch von ihrer Mutter.
Da lernte die Aeltere einen jungen Baron aus unserer Stadt kennen. Sie liebte ihn, und er verlangte, daß sie vom Theater weg hierher in’s Haus ziehe. Er miethete die Wohnung von mir auf mehrere Jahre und richtete sie so schön und behaglich ein, wie Sie sie hier sehen. Der Baron war es auch, der mir im Plaudern so nach und nach das Meiste von der Geschichte des Mädchens erzählte, während ich das Andere leicht genug dazu errieth. Aber, wie ich Ihnen schon sagte, das Mädchen war stolz und hielt auf sich. Sie wollte ihrem Geliebten nur als seine Frau angehören. Auch dazu war der Baron bereit. Aber seine Familie setzte ihm den heftigsten Widerstand entgegen, und der Baron mag damals Arges durchgekämpft haben. Auf der andern Seite war auch das Mädchen unerbittlich, und so ließ er sich denn endlich heimlich mit ihr trauen; vor der Welt behielt sie ihren Mädchennamen bei; auch ich durfte sie nicht anders nennen, obwohl mir die Wahrheit doch so gut bekannt war. Sie habe sich mit dem Baron, sagte sie, nicht der Welt, sondern ihrer selbst wegen trauen lassen. Das müsse aber ein Geheimniß bleiben, bis die Familie ihres Mannes versöhnt sei; an dem Gerede und Glauben der Leute liege ihr nicht das Geringste, sagte sie, um die Welt habe sie sich nie gekümmert; die Menschen, war ihre häufige Rede, verdienten gar nicht, daß man sich um ihre Achtung oder Nichtachtung einen Gedanken mache; wenn man sich nur vor sich selbst und seinem eigenen Gewissen gerechtfertigt fühle. Ich verstehe das nicht und weiß auch nicht, ob sie Recht hatte, indeß fügte ich mich von Herzen gern ihrem Wunsche, ließ sie für mich wie bisher auch fernerhin nur mein liebes, gnädiges Fräulein sein, und, weiß Gott – kam mir diese Heimlichthuerei vielleicht im Grunde doch nicht ganz recht und richtig vor – ich hätte, mein’ ich, selbst wenn ich den Versuch gemacht hätte, die ‚Frau Baronin’ kaum ordentlich über die Lippen gebracht. Aber was ging das mich an? Das Glück der beiden jungen Leute war nicht zu sagen, und es schien, als wenn die Freude kein Ende nehmen würde. Sie liebte ihn leidenschaftlich, und der junge Baron war ganz gewiß ihre erste Liebe, denn das Schauspielerleben hatte sie nicht verdorben.
Aber nun muß, wie es denn am Ende auch nicht anders kommen konnte, die heimliche Trauung den Eltern des Barons wohl doch verrathen worden sein. Es ging toll zu; der Baron befand sich tagelang in der schrecklichsten Aufregung; seine schöne junge Frau weinte halbe Nächte lang, und ich möchte eine solche Zeit nicht wieder mit erleben. Um das Maß voll zu machen, kam zuletzt auch noch der alte Baron selbst hierher in’s Haus – ein hochmüthiger Mensch, wissen Sie, Einer von der Art, der Unsereins schon auf der Straße gern von Weitem aus dem Wege geht. Er überraschte das Fräulein, oder, wie ich eigentlich sagen müßte, die Baronin förmlich mit seinem Besuche, und es muß zu harten Auseinandersetzungen zwischen Beiden gekommen sein. Er verlangte in barschen Worten, daß sie sich von seinem Sohne wieder scheiden lasse, und wie er sah, daß er mit seinem brutaten Herumbefehlen nicht das Mindeste erreiche, muß er ihr sogar Anerbietungen gemacht haben, mit denen er aber garstig ankam. Ich erschrak über die Wildheit, die das sonst so liebliche und freundliche Geschöpf bei dieser Schmach, wie sie es nannte, befiel. Und da hatte sie auch Recht. Denn wie die Sache auch immer stand, so war sie doch einmal seine Schwiegertochter, die Frau seines Sohnes, vom Pfarrer mit ihm zusammengetraut, so gut wie ich mit meinem seligen Mann, und kein Mensch hätte ihr auch nur das leiseste Schlechte nachreden können. Du mein Gott, da hat schon Mancher, der noch viel reicher und viel vornehmer war, als der alte Baron, eine Schlimmere als Schwiegertochter in sein Haus geführt und hat am Ende noch geprahlt damit, wie wenn ihm Gott weiß was für ein rares Glück zugefallen wäre. Darum hielt aber auch der junge Baron trotz aller Trübsal fest bei ihr aus, und das war begreiflich; denn sie war strahlend schön, so schön, wie –“
„Wie diese Büste da!“ rief ich und holte den Marmorkopf der Klytia aus dem Schreibtisch hervor.
„Ach, da ist der Kopf ja noch!“ sagte Frau Huber wehmüthig. „Ja, den ließ der junge Baron bei einem der ersten Künstler eigens für sie aus kostbarem Stein, der weit her kam, machen und nannte seine Geliebte auch danach, weil sie dem Marmorbild so sprechend ähnlich war, daß man es leicht genug für das ihre hielt, und wenn er Abends kam, sie zu besuchen, so hatte das Fräulein gar oft in frohem Uebermuthe sich und zugleich
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