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Seite:Die Gartenlaube (1880) 023.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

ein andermal dafür entschädigt zu werden. Wenn er wieder in die Gegend komme, werde er nicht ermangeln, auch seine Frau mitzubringen und dem Herrn Baron vorzustellen.

Der Kogelbauer erzählte indessen zum dritten oder vierten Male, wie der König ihn auf den Stand mitgenommen, von welchem aus man schnurgerade über das Gewände in das Thal und auf den Kogelhof heruntergesehen. Nach Beendigung der Jagd habe der König gefragt, ob es nicht möglich sei, statt auf dem langen Umwege an der Rückseite des Berges geradezu über die Felsen hinab zum Kogelhof zu gelangen.

„‚Ja,‘ habe ich gesagt,“ erzählte er weiter, „‚möglich ist es schon, aber der Weg ist etwas wachs, und Schwindel darf man keinen haben.‘ Darauf hat der König seinen Büchsenspanner fortgeschickt und gesagt, ich solle ihn nur hinunterführen, er habe keine Furcht und auch keinen Schwindel. Was hab' ich machen wollen? Ich bin den Weg schon öfter gegangen, und hab' gewußt, es ist justament keine Gefahr dabei. Aber wie wir ein Stück weit abgestiegen waren, sind wir an einen Platz gekommen, wo es nimmer weiter gegangen ist. Da ist von den Gießregen im Frühjahr ein Trumm Felsen abgegangen gewesen, so groß wie ein Hüthaus, und hat auch vom Steig ein gut Stück mitgenommen, daß man sich schon Gemsfüß' hätt' wünschen mögen. Der Weg ist auf eine halbe Zimmerlänge nicht viel breiter gewesen als eine gute Hand. Auf der einen Seite ist das Geschröffe in die Höhe gestiegen, auf der andern der Abgrund 'nunter gefallen, und Umkehren wär' nit viel besser gewesen, als gleich selber hinunter springen. Ich hab's dem Herrn angesehen, daß ihm die Geschichte nicht gefallt. – Da hab' ich mich kurz zusammengenommen und hab' ihm angeboten, ihn auf die Achsel zu nehmen und 'nüber zu tragen. Er hat ‚Ja‘ gesagt, und ich bin auch glücklich mit ihm hinüber gekommen. – Wie wir aber drüben waren, da ist mir erst der Datterer in die Knie gefahren, daß ich mich an den Felsen hab' anheben müssen. ... Aber jetzt laßt mich aus, Leut'!“ unterbrach er sich, indem er sich losmachte, „der König ist schon gleich in der Tenne, und im Kogelhof muß der Kogelhofer doch der Erste sein, der ihm ‚Grüß Gott‘ sagt.“

Mit wenigen Schritten hatte er den Eingang erreicht und kam gerade recht, um den königlichen Gast unter der Thür willkommen zu heißen. Als er so auf der Erhöhung vor den Blicken Aller dastand, in seiner großen schlanken, markigen Gestalt, war es wohl Jedem klar, daß er der Mann war, solch ein Wagstück, wie das erzählte, zu vollführen. Er war das echte Muster eines Gebirgsbauern, der trotz der fast kahlen Stirn wie ein Baum dastand, welcher noch viele Jahre rüstig überdauern wird, ehe die Axt ihn erreicht oder der Sturmwind ihn bricht. Einem Kundigen wäre vielleicht die etwas stark geröthete Gesichtsfarbe bedenklich erschienen, die ja häufig, und nur zu oft mit Recht, als Anzeichen eines ungesunden Herzzustandes angesehen wird, aber die Gesammterscheinung ließ die Befürchtung im Ernste nicht aufkommen. Dieselbe wäre wohl bei einem Bewohner der Stadt berechtigt gewesen, nicht aber bei einem Manne, der im täglichen Genusse der freien Bergesluft und im Verkehr mit der Natur in jedem Athemzuge neue Kraft und Gesundheit in sich sog.

Es war ein freundlicher Anblick, König und Bauer so einander gegenüber zu sehen – auch der König war eine anziehende und dennoch gebietende Erscheinung: der Waidmannsanzug, den er für seine Jagden selbst ersonnen und den er mit den ihn begleitenden Cavalieren, Gelehrten und Schriftstellern zu tragen pflegte – der grünsammetne Leibrock mit dem goldenen Gürtel, die strammanliegenden grauen Beinkleider und der dunkle breitkrämpige Hut mit dem Adlerflaum – war ganz geeignet, den volksfreundlichen König nach jenen beiden Richtungen zu zeigen.

„Nun, Grüß Gott, Herr König,“ sagte der Bauer, „Grüß Gott auf dem Kogelhofe; es freut mich recht, daß Ihr bei mir einkehrt! Ich will auch über der Hausthür ein Taferl anbringen und darauf schreiben, was dem Haus heut für eine Ehre geschehen ist. Jetzt seid halt gern da und nehmt vorlieb!“

Der König bot dem sich tief verneigenden Bauer die Hand, die dieser ehrerbietig ergriff. Zugleich legte ihm der Fürst die andere Hand auf die Schulter.

„Ich bin sehr gern bei Euch, lieber Kogelhofer,“ sagte er, „und werde mir den heutigen Tag auch roth im Kalender anzeichnen. Ihr seid ein tüchtiger Mann,“ fuhr er fort, mit etwas erhobener Stimme und gegen die unten versammelte Volksmenge gerichtet, „das ist der Mann, der heut Euern König aus einer großen Gefahr gerettet hat. Ich danke ihm vor Euch Allen; er soll sich eine Gnade dafür ausbitten.“

„Hoch! Unser König soll leben und der Kogelhofer daneben!“ schrie das aufgeregte Volk, der Kogelhofer aber schüttelte lachend den kahlen Kopf.

„Eine Gnade?“ rief er. „Ich weiß keine. Mir ist es Gnade genug, daß mein König bei mir ein'kehrt hat.“

„Es bleibt dennoch bei dem, was ich gesagt habe,“ entgegnete der König, „und wenn es jetzt nicht ist, so besinnt Euch auf eine Bitte; welche es sei: sie soll Euch gewährt werden.“

„Nun, nachher werd' ich es mir halt überlegen,“ entgegnete der Bauer, „und werd' mich besinnen, bis mir eine rechte Gnade beifällt, daß es gleich der Mühe werth ist.“

Zustimmend nickte der Fürst und erkundigte sich nach den Familienverhältnissen seines Wirthes, der mit unverkennbarer Befangenheit und nicht ohne einige Zögerung erzählte, daß er auf dem Kogelhofe mit seinem einzigen Sohne ganz allein hause, daß die Mutter desselben schon gestorben, als der Knabe noch kaum ein Jahr alt war – daß er keine Lust verspürt habe, sich wieder zu verheirathen, und mit einer Schwester, die vor einigen Jahren auch heimgegangen, so fort gehaust habe, wie es eben auf den Berghöfen im Gebirge häufig der Gebrauch sei.

Inzwischen waren die königlichen Jagdwagen auf dem Fahrwege angekommen; das Flaschenfutter war aus denselben hervorgehoben und der Wein auf der Tafel zurecht gesetzt worden, um welche die Begleiter des Fürsten sich zu sammeln begannen.

Der König ließ sich ein gefülltes Glas geben; ein zweites reichte er dem Kogelbauer und forderte ihn auf, mit ihm anzustoßen.

„Trinkt!“ sagte er. „Das ist der edelste Wein, den es giebt, der wird uns gut thun. Wir bedürfen alle Beide der Stärkung nach den Strapazen, die wir durchgemacht haben.“

„Majestät sollen leben,“ entgegnete der Bauer, leerte sein Glas, setzte es aber, wie von Schwindel ergriffen, gleich wieder auf den Tisch und wankte in den Knieen, daß er sich an der Kante festhalten mußte, während sein Gesicht von augenblicklicher Blässe überflogen und unmittelbar darauf mit noch höherer Röthe als gewöhnlich überströmt war.

„Es ist nichts,“ sagte er, sich rasch aufraffend, da der König ihn verwundert betrachtete. „Es ist schon wieder vorbei. Ich glaub', ich spüre doch den Weg, den wir gemacht haben; ich bin halt auch schon über die Dreißiger hinaus.“

„Ihr habt der Ruhe so nöthig, wie ich,“ entgegnete der König, „sorgt, daß ich mich etwas zurückziehen kann, wenn der kleine Imbiß eingenommen sein wird!“

Das war bald geschehen. Nachdem etwas kalter Wildbraten auf der Tafel servirt worden war und Lenz eine mächtige Schüssel voll Schuksen und Kücheln, schön kraus, goldbraun und mürbe gebacken, aufgepflanzt hatte, zog sich der König zur Ruhe zurück. Vielleicht hätte auch der Kogelbauer dasselbe gethan, wäre ihm nicht der Krämer mit Philomenen in den Weg getreten, der schon lange auf einen solchen freien Augenblick gepaßt hatte.

Das Gesicht des Bauers verrieth keine Spur besonderen Vergnügens über die Ankunft seines Besuches. Er lud ihn zwar ein, neben ihm an der leer gewordenen Tafel Platz zu nehmen, aber es klang nicht eben freundlich, als er fragte, wie er zu der besondern Ehre komme, den Vetter und das Basl auf dem Kogelhof zu sehen.

„Ich weiß wohl, in den älteren Jahren wird man vergeßlich,“ setzte er hinzu, „aber mir ist, als ob wir justament nicht so gut Freund mit einander wären.“

„Ach ja!“ rief der Krämer, „das ist aber schon eine ewige Zeit her; da soll man solche alte Sachen gar nimmer denken.“

„So, so?“ erwiderte der Kogelhofer. „Nachher ist der Herr Vetter doch noch vergeßlicher als ich. Ich hab' den Denkzettel, den mir der Vetter damals gegeben hat, schon noch behalten und kann seinem Gedächtniß schon nachhelfen, wenn's Noth thut. Auf den Advent werden's wohl zwölf Jahre; da hab' ich den Vetter das letzte Mal g'sehen.“

„Ich weiß, ich weiß,“ sagte der Krämer, dem diese Erinnerung nicht ganz behaglich zu sein schien, „volle zwölf Jahre! Es ist merkwürdig, wie die Zeit vergeht! Es ist recht schlecht von mir, daß ich mich so lang' nicht hab' sehen lassen.“

„Dös wär' gerade nicht das Schlechteste, was es giebt,“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_023.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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