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Seite:Die Gartenlaube (1882) 199.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Sopha ausgestreckt, fortwährend an das nun Kommende denkend. Beim Schalle der Glocke sprang ich auf, und nachdem ich noch einmal vor dem Spiegel die Schleife meiner Cravatte zurecht gerichtet, verließ ich mein Zimmer. Dieses war im zweiten Stockwerk gelegen, und ich mußte, um zu den im ersten Stock befindlichen Empfangssalons zu gelangen, über breite, teppichbelegte Treppen und durch bilder- und statuengeschmückte Corridore gehen.

Ich erwähne alle mich damals umgebenden Details von Pracht und Luxus, weil mir dieselben einen ganz besonders angenehmen Eindruck machten. Wenn man in einer Freude und Vergnügen erwartenden Stimmung ist, so tragen die äußeren, auf die Sinne wirkenden Reize der Umgebung zur Erhöhung dieser Stimmung bei. Nicht umsonst wird daher beim geringsten ländlichen Feste Blumen- und Fahnenschmuck herbeigeschafft und, wenn im Saal des Dorfwirthshauses Sonntags ein Ball stattfindet, die weißgetünchte Wand mit Laubguirlanden behängt.

Mit höher schlagendem Herzen und beengtem Athem trat ich in den hellerleuchteten Salon. Auch an dieser Schwelle erfaßte mich wie eine eigenthümliche Freudeströmung die von Pracht, Licht und Duft durchwebte Atmosphäre.

Eine Gesellschaft von ungefähr zwölf bis fünfzehn Damen in glänzender Abendtoilette und ebenso vieler Herren war in verschiedenen Gruppen, sitzend und stehend, in dem großen, von Damast, Spiegeln und Vergoldung strotzenden Gemache zerstreut. Mit mir zugleich und nach mir traten noch mehrere Personen ein. Eine Dame rauschte an mir vorbei, anmuthig und elegant – war dies vielleicht Diane?

Graf Saalfeld und dessen Schwester standen in der Nähe des Kamins, und dorthin lenkte ich meine Schritte, um der Hausfrau meine Hüldigung darzubringen. Diese, eine freundliche ältliche Stiftsdame, reichte mir die Hand:

„Herzlich willkommen, lieber Baron,“ sagte sie, „waren Sie glücklich auf der Jagd?“

Zum Glücke traten eben andere Gäste an die Gräfin heran, zu welchen sie sich wandte, und ich war einer Antwort auf ihre verfängliche Frage überhoben. Nun blickte ich in die Runde, um die anwesenden Damen zu mustern. Es waren mehrere hübsche, junge Mädchen da – noch mehr ältere und unbedeutend aussehende Frauen – keine unter ihnen Allen, die dem Ideale meiner Diane entsprach. Jene schöne Frau, welche bei der Thür an mir vorübergegangen war, stand jetzt in einer Fensternische, mir den Rücken kehrend.

„Nur diese kann es sein,“ dachte ich. Ich wandte mich an Saalfeld:

„Willst Du mich einigen Damen vorstellen?“

„Gern,“ antwortete er, „kennst Du Niemanden?“

„Nein, Niemanden! Wer ist denn jene Gestalt dort in der Fensternische?“

„Ah, nimm Dich in Acht – das ist eine sehr gefährliche Kokette.“

„Wie so?“

„Erstens, weil sie eine Polin ist – und diese sind ja Alle bekannt als gefährlich und kokett.“

„Verheirathet?“ fragte ich.

„Geschieden oder so etwas. – Kennst Du auch die jetzt eintretenden Damen nicht?“

„O, Frau Katharina Meier und ihre Tochter!“ rief ich.

„Weißt Du,“ erklärte der Graf, sich gewissermaßen entschuldigend, „sie sind unsere nächsten Nachbarinnen, und meine Schwester ist sonst sehr exclusiv, aber ich habe sie überredet, eine Einladung nach Dürrstein zu schicken – und das Fräulein ist wahrhaftig wunderschön.“

„Da ist wohl Herr Schwanberg, der Verlobte des Fräuleins, auch unter Deinen Gästen? Aber ich bitte Dich, stelle mich der gefährlichen Polin vor!“

Frau Katharina Meier stand jetzt ganz in unserer Nähe; ich verneigte mich grüßend. Mit einem vergnügten Lächeln reichte sie mir die Hand:

„Ah, Herr Baron, wie froh bin ich, Jemanden Bekannten zu treffen,“ sagte sie.

In diesem Augenblicke wurden die Saalthüren geöffnet und das Diner gemeldet. Saalfeld winkte mir, und es blieb mir nichts Anderes übrig, als der eben mit mir im Gespräche begriffenen Frau Meier den Arm zu bieten.

Bei Tisch kam ich zwischen dieser und einer anderen alten Dame zu sitzen. Die schöne Polin befand sich an einem ganz andern Ende der großen Tafel, und da ich etwas kurzsichtig bin, so konnte ich weder ihre Züge unterscheiden noch sehen, ob sie den Blick manchmal in meine Richtung sandte.

Uns schräg gegenüber saß Fräulein Elsbeth. Ich grüßte hinüber; sie dankte mit einem holdseligen Lächeln. „Wahrhaftig ein schönes Mädchen – glücklicher Schwanberg!“ dachte ich. und dies veranlaßte mich, meiner Nachbarin zu sagen:

„Ihr künftiger Herr Schwiegersohn ist hier wohl nicht anwesend, gnädige Frau?“

„Mein künftiger Schwiegersohn? Ah so, Sie wissen nicht, daß die Partie aus einander gegangen ist?“

„So – ah – ich bedaure, das ist das Erste, was ich davon höre.“

„O, es ist nichts zu bedauern; es ist viel besser so. Er war doch zu alt für meine Elsbeth, und sie liebte ihn nicht. Vor ungefähr einem Monat erklärte sie plötzlich, daß sie sich von der Verlobung lossagen wolle, daß sie fühle, unglücklich zu werden, wenn sie diese Ehe einginge, und so wurden denn Herrn Schwanberg nebst einem entschlossenen Briefe die Brautgeschenke und der Verlobungsring zurückgeschickt.“

Ich horchte den Worten meiner Nachbarin nur zerstreut; denn ich verfolgte alle Bewegungen meiner interessanten Polin, welche, wie ich trotz meiner Kurzsichtigkeit wahrnehmen konnte, in sehr lebhaftem Gespräch mit dem zu ihrer Linken sitzenden Officier begriffen war. „Ich hätte vielleicht doch besser gethan, meine Uniform anzulegen,“ überlegte ich – dennoch mußte ich auf Frau Meier’s Mittheilung etwas antworten.

„Ja, das ist eine traurige Geschichte. Das muß Sie wohl sehr betrübt haben.“

„Betrübt? Anfänglich wohl; denn die Partie war brillant; Schwanberg ist mehrfacher Millionär, aber denken Sie, welches Glück: meiner Tochter ist vor vierzehn Tagen, nachdem sie ihrem ehemaligen Bräutigam schon den Abschied gegeben hatte, von einem väterlichen Onkel eine Erbschaft zugefallen, die wir nie erwartet hätten – ein Capital von zwei Millionen Mark. Jetzt ist sie selbst sehr reich – reicher noch, als alle ihre Brüder zusammengenommen.“

„Wie, Fräulein Elsbeth ist nicht Ihre einzige Tochter?“

„Einzige Tochter wohl, aber ich habe drei Söhne erster Ehe, welchen mein ganzes Vermögen und Dürrstein zufallen wird; Elsbeth hätte nur eine ganz unbedeutende Mitgift erhalten, und da wäre Schwanberg eine brillante Partie für sie gewesen, aber jetzt ist sie selbst eine der reichsten Partien im Lande und kann wohl auf einen Grafen Anspruch machen; denn wissen Sie, es ist doch etwas sehr Schönes um Wappenschild und Krone, und wenn meine Tochter Gräfin wäre, würde mich vielleicht die stolze, alte Stiftsdame dort auch nicht mit einer so auffällig sein sollenden Herablassung behandeln und mich fühlen lassen, daß ihre Einladung eine besondere Gnade war.“

Mir war das Geschnatter meiner Nachbarin furchtbar uninteressant, und mit Ungeduld sah ich dem Ende des Diners entgegen. Endlich erhob man sich von der Tafel und kehrte in die Salons zurück. Dort stürzte ich auf den Hausherrn und bat ihn, mich endlich mit der schönen Polin bekannt zu machen.

Er führte mich in den Rauchsalon. Hier hatten sich drei oder vier Damen, welche die Cigaretten nicht scheuten, auf den niedrigen orientalischen Divans in der Mitte der zahlreichen Herren niedergelassen. Halb sitzend, halb liegend, war auch meine Polin zwischen die Kissen eines Divans hingegossen, das Füßchen – o, es mußte dasselbe Füßchen sein, welches sich auf meinem Bilde zeigte – unter dem Kleidersaum etwas vorgestreckt.

„Erlauben Sie mir, Madame de Boworowska, Ihnen meinen Freund Baron Ritterglas vorzustellen,“ sagte Saalfeld und entfernte sich.

Ich ließ mich neben Frau von Boworowska, welche mir mit einem freundlichen „Freut mich sehr“ die Hand gereicht hatte, nieder und musterte sie mit scharfen Blicken. Ihre Züge waren nicht regelmäßig, doch hatte sie das mobile Mienenspiel, welches ihre Landsmänninnen so auszeichnet, und sprechende, feurige Augen. Die Stirn, ebenfalls mit Löckchen bedeckt, mochte wohl dieselbe sein wie auf dem Bilde, obwohl sie mir etwas niedriger schien. Arm und Nacken konnte ich mit der Photographie nicht vergleichen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_199.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)
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