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Seite:Die Gartenlaube (1882) 208.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Brod als Gouvernanten zu verdienen. Mißlingt ihnen dies, so bieten sie sich als Dienstmädchen an. Dazu sind sie aber nicht erzogen worden, wenigstens ist ihnen kein Theil des Hauswesens völlig vertraut, und so sind sie in diesen Versuchen in der Regel auch nicht glücklich. Nachdem Alles, was sie besaßen, verzehrt worden, erhalten sie, vielleicht durch die Hülfe eines deutschen Geistlichen, in einer kleinen Familie eine Stelle mit niedrigem Gehalt, welche ungefähr ihren Kenntnissen entspricht.

Das ist ein Fall, den man noch einen glücklichen nennen muß, denn in der Regel blüht den deutschen Dienstboten ein viel weniger gutes Loos; es ist ein sehr gefahrdrohender Weg, auf dem sie sich befinden. Dieser Weg ist aber, um ihn kurz zu skizziren, dieser: weibliche Dienstboten und ein großer Theil der Gouvernanten werden in England gewöhnlich von Agenten engagirt, welche ihnen auch Kost und Logis, manchmal zu unverhältnißmäßig hohen Preisen, geben. Der Agent hat natürlich ein großes Interesse daran, immer möglichst viele Waare auf Lager zu haben, und läßt deshalb in deutschen Zeitungen oder unter der Hand übertriebene und lügenhafte Berichte über den Bedarf und die Stellen deutscher Dienstmädchen in England verbreiten. Er schießt ihnen sogar zuweilen das Ueberfahrtsgeld unter der Vorspiegelung vor, daß eine glänzende Stelle für sie bereits gefunden sei. Aber wenn das arme Mädchen in England gelandet ist, will sich die Stelle nicht finden. Nachdem es Wochen lang gewartet und seine sauren Ersparnisse verzehrt hat, giebt ihm der Agent noch so lange Credit, wie die Habseligkeiten seines Opfers die Kosten zu decken scheinen, und weist ihm dann einfach die Thür. Das ist jedoch noch nicht das schlimmste Loos junger deutscher Mädchen. Mit manchen Agenturen stehen die verrufensten Häuser des Continents in Verbindung. Auch vor den englischen Agenten selbst und deren guten Freunden, älteren wie jüngeren Herren, die immer Geld haben, muß auf’s ernsteste gewarnt werden. – Wird es den Regierungen denn niemals gelingen, diesen verruchten Menschenschacher zu unterdrücken und die Agenturen unter dauernde Controlle zu bringen? Vorläufig sollten deutsche Mädchen den Verlockungen der Agenten das hartnäckigste Mißtrauen entgegensetzen und nur mit solchen verhandeln, die ihnen von berufener Seite als vertrauenswürdig bezeichnet sind. Pflicht der Eltern ist es, ihre Kinder nicht so leichtsinnig wie bisher nach England ziehen zu lassen. Ueber die Zahlen deutscher Dienstmädchen und Gouvernanten, welche hier zu Grunde gehen, berichtet keine Statistik; aber sie ist jedenfalls sehr bedeutend.

Für deutsche Frauen bietet sich hier ein reiches Feld der Vereinsthätigkeit. Möchten sie doch bis zu einem gewissen Grade die Vermittelung zwischen dem Agenten und dem Mädchen übernehmen und Beiträge für solche Häuser sammeln, welche sich die Unterstützung nothleidender Mädchen zum Zweck gemacht haben! Eine englische Wohlthätigkeitsanstalt hat mehrere derartige „Homes“ bereits gegründet; so wurde z. B. im Jahre 1881 ein Haus (8 Ensleigh Gardens, Tavistock Square) für deutsche Mädchen eröffnet, zunächst für Arbeiterinnen und Ladenmädchen bestimmt. Die wöchentliche Miethe für Schlafzimmer und Mitbenutzung der Speise- und Lesezimmer, beträgt 2,50 bis 4 Mark, und für Beköstigung berechnet sich dieses „Gordon-House“ wöchentlich ungefähr 4,50 Mark.

Ueber die Lage der deutschen Gouvernanten läßt sich nur ein allgemeiner Satz aufstellen: sie würden kein so entschiedenes Uebergewicht über die französischen Erzieherinnen behaupten, wenn sie nicht den Ruf größerer Solidität besäßen; denn die französische Sprache und Literatur werden in England noch immer höher geschätzt, als die deutsche. Deutsche Erzieherinnen werden daraus entnehmen, daß ihnen eine gründliche Kenntniß des Französischen, eine gute Aussprache und Fertigkeit in der Unterhaltung besonders förderlich sind. Wie bei allen Deutschen, wird auch bei ihnen musikalische Bildung vorausgesetzt.

Das Loos der deutschen Erzieherinnen jenseits des Canals ist nicht immer rosig, und es ist besonders ein Punkt, auf welchen die Schäden des Gouvernantenthums in England zurückzuführen sind: die Mißdeutung des contractlichen Verhältnisses zwischen der Erzieherin einer- und des stellungbietenden Hauses andererseits. Selbst intelligente Köpfe der vornehmen englischen Welt sehen nicht ein, daß das moderne Arbeitsverhältniß auf dem Contracte gleichberechtigter Menschen beruht, daß die Gouvernante die Kinder erzieht und dafür ihren Lohn zum Theil in Geld, zum Theil in Wohnung und Nahrung erhält, daß eine Familie folglich außer der erziehenden Thätigkeit keine Ansprüche an die Erzieherin zu stellen hat und dieselbe, deren Arbeitskraft sie kauft, ebenso wenig zu meistern hat, wie den Kaufmann, von dem sie ihren Kaffee und Zucker bezieht.

Ein Unternehmen, welches im Stande ist, manche Härten im Leben der Erzieherinnen abzuschleifen, verdient daher volle Aufmerksamkeit, nämlich der von Fräulein Adelmann gegründete „Verein deutscher Erzieherinnen in England“. Der Zweck desselben ist ein vierfacher: Er will seinen Mitgliedern Stellen verschaffen, den stellenlosen Lehrerinnen vorübergehend ein Heim bieten, arme und kranke Erzieherinnen ohne Stellung unterstützen und Damen des Vereins, welche Schulen in England gegründet haben, Zöglinge zuführen. Der Verein besitzt ein Haus in Wyndham Place 16, Bryanston Square, London W, welchem Fräulein Gaudian vorsteht. Es enthält ein Stellenvermittelungsbureau und Raum für etwa 20 stellenlose Damen. Der Verein verlangt von Neuaufzunehmenden gewöhnlich ein deutsches wissenschaftliches Prüfungszeugniß oder einen Nachweis über erfolgreiche Thätigkeit. Die Candidatinnen dürfen nicht unter 20 Jahren alt sein, und der Jahresbeitrag beläuft sich auf beinahe 8 Mark. Dafür hat das Mitglied die erwähnten Vortheile und den bedeutend höheren, daß es einer guten Stelle gewisser ist, als wenn es sich an einen Agenten wendet. Ohne es ausdrücklich zu bezwecken, verhilft der Verein seinen Mitgliedern auch zu besseren Gehältern und freundlicherer Behandlung.[1]

Angesichts dieser großartigen Thätigkeit des schwachen Geschlechts ist der Mangel an jeder Organisation unter den deutschen Lehrern, deren Anstellung auch durch Agenten vermittelt wird, um so auffallender und beschämender. Hier ist der Gang des Engagements gewöhnlich folgender: wohnt der Principal nicht zu weit von London, so läßt er Einige unter den Hunderten von Bewerbern in das Comptoir des Agenten bitten und trifft eine Auswahl; wohnt er aber weit von der Hauptstadt entfernt, so überläßt er das Engagement ganz dem Agenten. Da Beide gewöhnlich weder deutsche Zeugnisse lesen können, noch die geringste Kenntniß des deutschen Bildungswesens haben, so sind sie völlig unfähig, die Lehrer zu beurtheilen.

Damit ist dem Schwindel Thür und Thor geöffnet; denn die Kenntnisse, welche in England von einem Lehrer verlangt werden, sind so gering, daß ein gebildeter Kaufmann und Kellner ohne Noth unterrichten kann. Was hält sie da ab, die pädagogische Laufbahn zu betreten? Ob sie etwas von Pädagogik verstehen, kann der Principal nicht beurtheilen; es ist ihm auch herzlich gleichgültig. Die Hauptsache bleibt immer, daß die Knaben gut genährt und gesund aussehen, und wenn sich hier und da ein Talent unter der Schaar findet, so wird es auf das Bestehen eines öffentlichen Examens eingedrillt. Um diese Lage der Dinge noch begreiflicher zu finden, muß man bedenken, daß der Agent um so mehr Gebühren einnimmt, je mehr Stellen er vermittelt, und daß ein Mann von weitem Gewissen seine Interessen wahrt, wenn er den richtigen Mann nicht an die richtige Stelle schickt. Die Rechnung ist einfach: bei diesem Mißverhältniß löst sich das Verhältniß am leichtesten wieder auf; der Lehrer sucht eine neue Stelle und zahlt neue Gebühren. Ich möchte nicht behaupten, daß alle Agenten so handeln, aber der Eine oder Andere steht nicht nur im Verdacht, solche Streiche zu begehen, sondern weit schlimmere auf dem Gewissen zu haben, z. B. ganz unfähige Candidaten für sehr gute Stellen zu empfehlen, wenn dieselben mehr als den gewöhnlichen Procentsatz zahlen.[2]

Das englische Schuljahr zerfällt in 3 Trimester, welche zu Weihnachten, Ostern und Ende Sommer durch im Ganzen 15 Wochen

  1. Der Jahresabschluß des Vereins für 1880 zeigte eine Einnahme von 3520 Pfund Sterling 15 Schilling 21/2 Pence (über 70,000 Mark) und eine Ausgabe von 1371 Pfund Sterling 5 Schilling 73/4 Pence. Ueber 1000 Pfund Sterling waren als Geschenk und freiwillige Beiträge eingegangen. Unter den Geschenkgebern stehen deutsche Fürsten und freie deutsche Städte voran. Die Leiter beabsichtigen einen Reservefonds von 4000 Pfund Sterling anzusammeln, um den Verein vollständig unabhängig zu machen und vielleicht später einmal ein Haus für alte und invalide Mitglieder, „a Home of Rest“, irgendwo an der schönen und gesunden Seeküste Englands zu gründen.
  2. Welche Steuer die Agentengebühren vorstellen, kann man daraus entnehmen, daß Jemand 33 Pfund Sterling 10 Schilling in 6 Jahren an Agentengebühren ausgab. Während dieser Zeit betrugen seine Einnahmen 450 Pfund Sterling. Er bezahlte also eine jährliche Steuer von 51/2 Pfund oder 71/2% von seinem Gehalte. Ein Anderer bezahlte in 2 Jahren 11 Pfund Sterling auf eine Einnahme von 110 Pfund Sterling.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_208.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2023)
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