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Seite:Die Gartenlaube (1882) 212.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

gesetztem Dolche, das italienische Wort „Ciciri“ (tschitschiri, so viel wie „Erbsen“) auszusprechen; sprach er die Laute fremdartig, das heißt mit französischer Betonung aus, so wurde er ohne Weiteres niedergestoßen.

Selbst in die Kirchen und Klöster drangen die Empörer; die Altäre boten keine Zufluchtsstätte mehr; Greise, Kinder und Weiber wurden getödtet, die Säuglinge an der Mutter Brust erwürgt und selbst das Kind im Mutterleibe nicht verschont von den unbarmherzigen Rächern.

Der stürmische Ausbruch der Empörung in der Hauptstadt hatte zunächst die auf die ganze Insel zurückwirkende heilsame Folge, daß alle inneren Parteiungen wie mit einem Schlage aufhörten. Noch in der Blutnacht des 31. März, unter dem Frohlocken über die gelungene Rache und dem Entsetzen über seine eigene kühne That, versammelte sich das Volk von Palermo, bildete ein Parlament und wurde dadurch noch weiter auf der betretenen Bahn vorwärts getrieben. Der königliche Name ward für immer abgeschafft; man beschloß, einen Freistaat zu bilden und ihn unter den Schutz der römischen Kirche zu stellen. Zu diesem Entschlusse wurde das Volk bestimmt, einmal durch seinen tödtlichen Haß gegen König Karl und seine Behörden, sodann aber auch durch das leuchtende Vorbild der lombardischen Städte-Republiken, die schon ein halbes Jahrhundert zuvor die Oberherrschaft der hohenstaufischen Kaiser glücklich abgeschüttelt hatten und nun sich auf ihre eigene stolze Kraft stützten.

Die Berufung auf den wesentlich nur nominellen Schutz der Kirche aber mußte den päpstlichen Zorn entwaffnen, vielleicht sogar dem Ehrgeize des Stellvertreters Christi schmeicheln, oder doch wenigstens der Rebellion einen Schein von Rechtmäßigkeit verleihen, indem man bei der Vertreibung des böswilligen unmittelbaren Herrschers doch nicht die Rechte des päpstlichen Oberlehnsherrn verletzte, aus dessen Händen Jener die Herrschaft empfangen hatte.

So wurden denn der schon weiter oben gedachte Ruggiero Mastrangelo und acht Beiräthe – sämmtlich den vornehmsten Geschlechtern der Stadt angehörig – zu Häuptern des Volkes ernannt. Bei Fackelschein wurde auf dem blutgetränkten Boden unter rauschendem Geleite Bewaffneter und festlichem Auf- und Niederwogen der Menge der republikanische Magistrat eingesetzt; Trompeten und maurische Heerpauken ertönten, und Tausende jubelnder Stimmen vereinten sich in dem Rufe: „Es lebe das Glück! Es lebe die Freiheit!“ Das alte Banner der Stadt aber, ein goldener Adler in rothem Felde, entfaltete sich in erneutem Glanze, und zum äußeren Zeichen des Gehorsams gegen die Kirche wurden in einem neuen Geviert die Schlüssel Sanct Peter’s hinzugefügt.

Von der Hauptstadt Palermo aus verbreitete sich der Aufstand binnen wenigen Tagen über die ganze Insel. In Catania allein sollen 8000 Franzosen um’s Leben gekommen sein, und in Taormina, wohin sich Viele geflüchtet hatten, ging es ebenso. In Messina, welche Stadt, da sie durch die stärkste Besatzung im Zaume gehalten wurde, sich am spätesten (gegen Ende April) der Empörung anschloß, wurden 3000 Franzosen ermordet, und in ganz Sicilien sollen, dafern man den Chronisten Glauben schenken darf, nur zwei französische Edelleute verschont geblieben sein.

So gestaltete sich diese „Sicilianische Vesper“ zu einem Blutbade, dem – gottlob! – die Geschichte aller Zeiten nur wenig ähnliche an die Seite zu stellen hat; in Deutschland aber betrachtete man sie mit Befriedigung als ein Strafgericht Gottes, als ein loderndes Todtenopfer, dargebracht den Manen Conradin’s, des ermordeten Hohenstaufer’s.

Karl von Anjou befand sich eben beim Papste Martin dem Vierten zum Besuche, als er die Schreckensnachricht erfuhr. Er schäumte vor Wuth und schwur den Sicilianern grimmige, teuflische Rache. Aber während er Messina, welches sich heldisch vertheidigte, mit großer Macht zu Wasser und zu Lande bestürmte, landete Peter von Aragonien, der, Karl’s Uebermacht fürchtend, einstweilen den Ereignissen gegenüber eine beobachtende Stellung eingenommen hatte, jetzt aber frischen Muth faßte, im Monat August mit 30,000 Kriegern, ließ sich in Palermo feierlich zum König krönen, zwang Karl zur Aufhebung der Belagerung von Messina und vernichtete den größten Theil seiner Flotte. So war denn die junge Freiheit der schönen Insel nur von kurzer Dauer gewesen, die Herrschaft Peter’s trat an die Stelle der Tyrannei Karl’s, und obschon der Kampf zwischen beiden Königen und ihren Nachkommen noch lange fortdauerte, blieben doch alle Versuche der Franzosen, die Insel wieder ihrer Botmäßigkeit zu unterwerfen, vergeblich. Im Jahre 1302 kam endlich ein Friede zu Stande, kraft dessen Peter’s von Aragonien Sohn, Friedrich, König der Insel Sicilien blieb, während Karl der Zweite, der Sohn des drei Jahre nach dem sicilianischen Aufstande gestorbenen Karl’s von Anjou, sich mit dem unteritalienischen Festlande oder dem Königreiche Neapel begnügen mußte. Die Kirche bestätigte den Vertrag, einmal, weil auch König Friedrich sich für ihren Lehnsmann erklärte, sodann aber, weil eine Theilung der neapolitanischen Macht in ihrem eigenen Interesse lag; und so bildeten die Länder diesseits und jenseits der Meerenge für länger denn anderthalb Jahrhunderte zwei getrennte Reiche.

Die Weltgeschichte – und diese ist bekanntlich das Weltgericht – hat mit Recht in dem geschilderten Drama einen Act der Nothwehr seitens der Sicilianer erkannt und demgemäß ihren Wahrspruch auf „Nichtschuldig“ gestellt. Die französische Herrschaft über die trinakrische Insel hatte sich zu einer unerträglichen Landplage gestaltet, und die heißblütigen Sicilianer entledigten sich derselben nach ihrer Art, rasch und gründlich. Auch die Frage, ob das mißhandelte Volk bei Ausübung seines guten Nothwehrrechts nicht das erlaubte Maß bedenklich überschritten habe, mag hier füglich unerörtert bleiben. Anders verhält es sich mit jener pomphaften und feierlichen Verherrlichung der „Sicilianischen Vesper“, zu welcher augenblicklich die nationale Partei in Italien umfassende Vorkehrungen trifft. Unseres Erachtens wäre dieser „sechshundertjährige Gedenktag“ besser ungefeiert geblieben. Wir wissen es: die nationale Empfindlichkeit der Italiener ist durch die französische Besitznahme von Tunis schwer gereizt; aber der Genius der Humanität verhüllt trauernd sein Haupt gegenüber einer absichtsvollen Jubelfeier, die, gelinde gesagt, eine allmähliche, friedliche Verständigung unter den europäischen Völkern anzubahnen so wenig geeignet ist.

Fritz Träger.     


Ketten und Verkettungen.

Novellette von B. Oulot.
(Schluß.)


„Diane, sind Sie es?“ fragte ich zitternd, aber die Gräfin sah mich bei dieser merkwürdigen Apostrophe mit so ungekünsteltem Erstaunen an, daß ich, wieder beruhigt, annehmen konnte, ihrem Ausspruche liege keine tiefere Bedeutung zu Grunde.

So zog ich von einer Dame zur anderen, doch keine ließ mich errathen, ich möchte beinahe sagen, keine ließ mich wünschen, daß sie Diane sei.

Es wurde noch musicirt, conversirt, Karten gespielt und erst um Mitternacht wurde aufgebrochen und das Programm für den morgigen Tag entworfen: Nach dem Frühstück Jagd und Abends kleiner Costümball; alle Damen würden maskirt erscheinen und uns Herren durch allerlei kleine Scherze chicaniren.

„Das wird recht amüsant werden,“ sagte die Gräfin Hausfrau „umsomehr, als wir morgen eine noch zahlreichere Gesellschaft bilden werden; ich erwarte noch mehrere Gäste aus Wien.“

Diese Worte machten mein Herz pochen. „Diane kommt also vielleicht erst morgen,“ dachte ich und fühlte meine halb geschwundenen Hoffnungen und Erwartungen wieder neugeboren.

Am anderen Morgen begleitete uns Frau von Boworowska auf die Jagd. Sie trug ein elegantes Jagdcostüm, eine zierliche Flinte auf der Schulter und sah reizend aus; sie that sehr kokett mit mir. Wieder war ich beinahe überzeugt, Diane gefunden zu haben, doch alle in meinem Gespräche enthaltenen Anspielungen auf in unserer Correspondenz vorgekommene Dinge ignorirte sie vollständig. Freilich dauerte unsere Conversation zu Zweien nicht lange; denn die interessante Polin war stets von einer Schaar von Herren umringt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_212.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2023)
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