Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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treten Sie ein, setzen Sie sich – mir gegenüber – nein, am Kaminfeuer wird es Ihnen unbehaglich sein – hier, nehmen Sie auf dem Eckdivan Platz!“
Sie waren in des Barons Wohnzimmer getreten, ein mäßig großes Gemach, dessen Wände eine verschossene Tapete von grüner Seide und werthvolle alte Kupferstiche bedeckten. An der einen Wand stand ein altmodisches Clavier aus Kirschbaumholz, an der andern ein mit Decken und gestickten Kanapeekissen ausgestattetes Ruhebett; in dem Marmorkamine den Fenstern gegenüber brannten Scheite, welche in dem Raume bei der warmen Jahreszeit eine unangenehm hohe Temperatur erzeugt hatten. Der Ausblick aus den Fenstern zeigte eine hohe und melancholische Tannengruppe; weiterhin, an ihr vorüber, sah man auf eine Wiese, die von Wald umgeben war.
Leonhard hatte den Eindruck, als ob er in einen Raum, eine Welt träte, wie wir sie aus den Zeichnungen Chodowiecki’s kennen. „Sie heizen ein – jetzt?“ fragte er, indem er sich auf den Divan setzte.
„Was wollen Sie?“ antwortete der alte Herr, sich ebenfalls niederlassend und müde in seinem neben dem Kamin stehenden Fauteuil zurücklehnend. „Ich bin frostiger Natur und das ‚freundliche Element‘ leistet mir Gesellschaft. Ich habe,“ setzte er mit einem wehmüthigen Lächeln hinzu, „nie viel Feuer in mir gehabt – so such’ ich’s außer mir und lasse es auch die Zeit hindurch nicht ausgehen, welche man sich hier gewöhnt hat, Sommer zu nennen, obwohl der Sommer uns längst eine Mythe geworden ist – mich soll wundern, wie lange noch die Bäume den alten Aberglauben beibehalten und in jedem Frühjahr grüne Blätter treiben werden.“
Wenn der Baron Dortenbach bei solchen Reden über sein eingefallenes gelbgraues Gesicht ein mildes wehmüthiges Lächeln gleiten ließ, leuchtete darüber eine schattenhaft flüchtige Verschönerung in raschem Vorüberschwinden auf, der Schatten einer einstigen weichen Schönheit, die etwas Herzbestrickendes gehabt haben mochte; jetzt flößte ihr bleicher Wiederschein nur noch eine tiefe und theilnahmvolle Sympathie ein.
„Ich werde, fürchte ich,“ sagte Leonhard, „Ihnen das Feuer auslöschen – und vielleicht auch das Wasser Ihnen rauben müssen, das ich da in einer großen Caraffe neben Ihrem Sitz aufgestellt sehe.“
„O weh – dann wäre ich Aqua et Igne interdictus,“ scherzte der alte Herr, während Leonhard seine Züge fixirte und dabei nach und nach einen so zerstreuten Ausdruck in seine Mienen legte, daß der Baron lächelnd fortfuhr:
„Mein Aussehen giebt Ihnen offenbar viel zu denken, Klingholt.“
Leonhard erröthete tief. Seine Gedanken hatten ja eine so ganz andere Richtung genommen, als der alte Herr voraussetzte; was ihm „zu denken gegeben“, waren so ganz andere Züge, als die des alten Mannes vor ihm – Züge, die doch von diesen vor seinem inneren Auge heraufbeschworen waren, welche er doch unwillkürlich in diesen wiedergesucht hatte – er stand jetzt, ohne zu antworten, auf und nahm die Hand des Patienten, um seinen Puls zu examiniren.
Dann begann er seine Untersuchungen, prüfte die Mittel, welche dem Baron verschrieben waren – endlich sagte er, indem er zum Fenster ging und beide Flügel desselben aufriß:
„Sie sind nicht gerade unrichtig behandelt worden, Herr Baron, nur hat Ihr bisheriger Arzt Eines versäumt, das Wichtigste, nämlich Sie selbst zum Heilgehülfen bei Ihrer Cur zu machen. Bei Leiden, wie den Ihrigen, vermag der Arzt wenig, wenn er nicht den Patienten zum Collegen nimmt und zu ihm spricht: hilf dir selbst – dann werde ich dir helfen. Sie sind eine Natur, in welcher das geistige Leben, wie bei wenigen Menschen, mit dem körperlichen verflochten ist und dieses von jenem abhängt. Wenn Ihr Gemüth hell, klar und von nichts getrübt ist, werden auch Ihre Leiden zurücktreten. Also – halten Sie als Ihr eigener Arzt fern, was Ihr Gemüth trüben kann. Zum Optimisten zwar kann ich Sie nicht machen …“
„Nein – das können Sie freilich nicht,“ fiel ihm der Baron mit bitterem Lächeln in’s Wort. „Das ist zu spät.“
„Aber zum Egoismus besitzt jeder Mensch gottlob hinreichende Anlage, es wird auch in Ihnen so viel sein, daß Sie sich stets sagen können: wehre ab, wehre ab, was dich erregen, dich ärgern, dir schaden könnte! Das Leben ist Abwehr. Erst wenn Sie von diesem Axiom durchdrungen sind, es sich zum Lebensmotto genommen haben, werden Sie gesund bleiben können.“
„Das Leben ist Abwehr,“ wiederholte sinnend der alte Herr; „das ist eine neue Lehre; für den Kampf um’s Dasein, von dem Ihr Jüngeren so viel Gerede macht, heißt es die Defensive als Princip nehmen.“
„Richtig. Die Offensive läßt man denen, die noch nichts zu vertheidigen, die noch keinen inneren Besitz haben. Für reifere Naturen bleibt nichts übrig, als die Defensive – wehre ab, was dich aus deinem Pfade drängen, aus deiner Gedankenwelt locken, was dir etwas von deinem Sein stehlen will, oder was, weil es dich ärgert, dich krank macht!“
„Und sind das alle Ihre Vorschriften, Klingholt?“ sagte der alte Herr lächelnd. „Ist dieses philosophische Arcanum Ihre ganze Heilkunde?“
„Nicht meine ganze. Zunächst aber habe ich, nachdem ich Ihnen zwei Elemente, Feuer und Wasser, entzogen, Sie durch ein anderes zu entschädigen – durch Luft. An warmen Tagen, wie heute, werden Sie der frischen Luft die Fenster öffnen; Sie werden am Nachmittage einen kleinen Spaziergang durch die Gärten mit mir machen.“
„Ah – dazu fehlt mir alle Kraft …“
„Die Kraft wird kommen. Sie werden sehen. Im Nothfall bin ich ja da, um als Stütze zu dienen. Und zur Einleitung, um die nöthige Stärkung dazu zu haben – ist es zweckmäßig, daß Sie jetzt ein Glas guten alten Weines, Ungar oder Madeira, trinken.“
„Man hat mir den Wein verboten,“ sagte der alte Herr.
„Ihn zu verbieten war thöricht,“ entgegnete Leonhard die Klingel ziehend. „Ich werde ihn im Gegentheil Ihnen als Hauptmittel verordnen. Sie werden täglich bei Tisch eine halbe Flasche Champagner trinken.“
„Welch liebenswürdiger Arzt Sie sind!“ fiel der Baron ein. „Die Heilgehülfenstelle, die Sie mir übertragen, wird unter solchen Umständen mit Vergnügen angenommen.“
Andreas trat ein.
„Andreas,“ sagte der alte Herr, „Du führst den Kellerschlüssel – hast Du Ungarwein unter Deinem Verschluß?“
„Es wird nicht viel mehr da sein. – Die Gnädige von Ramsfeld hat ihn als ihren Frühstückswein sehr in Anspruch genommen.“
„So, so! Aber Madeira?“
„Der hat dem jungen Herrn von Sander so lange als Jagdtrunk gedient, daß wohl damit aufgeräumt sein wird.“
Des alten Herrn Brauen verfinsterten sich.
„Sie sehen,“ sagte er kopfschüttelnd zu Leonhard, „Sie finden hier im Hause einen zweiten Patienten – einen schwindsüchtigen Weinkeller.“
„Es scheint so,“ antwortete Leonhard lächelnd, „und ich werde ihm sogleich einen Besuch machen, um zu sehen, welche Recepte ich für ihn zu schreiben habe. Es muß auch hier einfach stärkend gewirkt werden, seh’ ich – führen Sie mich, Andreas!“
Leonhard Klingholt war aufgestanden.
Andreas sah den Doctor, der sich der Dinge hier so gründlich annehmen wollte, überrascht an, aber mit einem gehobenen Wesen, mit einem elastischeren Schritt, als womit der alte Mann seit Jahren aufgetreten, schritt er voran, ging er doch der Befriedigung entgegen, einer theilnehmenden Menschenseele einmal da unten in den kühlen dämmerigen Räumen zeigen zu können, wie räuberisch in den letzten Zeiten hier gehaust worden war, welche brutale Eingriffe ihm die schöne Ordnung, die er einst gehalten, zerstört.
Der alte Herr oben war, sobald er sich allein sah, aufgestanden. Er fühlte sich schon jetzt gekräftigt, wie von einem erfrischenden Luftzuge aus den Worten Leonhard Klingholt’s angeweht – zunächst ging er aber doch, das Fenster wieder zu schließen.
„Das Leben ist Abwehr,“ sagte er dann vor sich hin, bitter lächelnd und inmitten des Zimmers stehen bleibend, um auf die düstere Tannengruppe draußen zu starren. „Mit dem Grundsatz bewaffnet, soll ich mein eigener Arzt werden. Er hat Recht – tausendmal Recht, wenn nur nicht zur Abwehr auch die Wehr gehörte, die ich nun einmal nie recht zu schwingen verstanden habe! Unselige Natur, die meine! Ich glaube, meine Mutter trägt die Schuld, die nach meiner Brüder Geburt durchaus eine Tochter wollte – als ich nun endlich geboren wurde, war’s zwar wieder
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_223.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)