verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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Gründen nicht empfiehlt. Dagegen wäre die Errichtung einer Gebirgs-Lungenheilanstalt in jeder dazu geeigneten deutschen Provinz sehr wünschenswerth, damit so jedem Lungenkranken die Möglichkeit der Heilung geschaffen würde.
Aber der Aufenthalt in diesen Anstalten ist nur möglich durch große Opfer an Zeit und Geld. Kurze Dauer des Aufenthaltes nützt nicht genug; auf mehrere Monate muß sich Jeder gefaßt machen. Die Regie einer großen Anstalt erfordert aber einen kolossalen Aufwand an Personal, sanitären und hygienischen Einrichtungen, laufenden Reparatur- und Verwaltungsausgaben und Capitalzinsen; gute Besuchszeiten müssen die schlechteren Wintermonate mit übertragen, sodaß ein halbwegs Vernünftiger einsehen muß, daß von einer absoluten Billigkeit keine Rede sein kann. Und wenn auch in einigen Anstalten die Preise billiger sind als in anderen, so gehört zur Heilung einer Lungenkrankheit immerhin ein Capital, welches für Unbemittelte und minder Vermögende unerschwinglich ist. Und gerade unter dieser Classe finden sich naturgemäß die meisten Opfer der Schwindsucht. Deshalb entspricht das Verlangen des Professor Vogt nach Schaffung von Höhen-Volks-Sanatorien einem wirklichen Bedürfnisse.
Diese Idee ist nicht neu; der verstorbene Professor Lebert in Breslau sprach sich schon 1869 in seinem Schriftchen über Milch- und Molkencuren ähnlich aus:
„Es ist Zeit, daß Staat, Volk und Gemeinde begreifen, daß sie dieser traurigen Krankheit und ihren zahllosen Opfern gegenüber Pflichten zu erfüllen haben, welche sie bis jetzt nicht erfüllen.“
Und weiter:
„Ich gebe diese Vorschläge keineswegs irgendwie als mustergültig. Ich möchte nur zeigen, daß die Möglichkeit der Ausführung meiner Vorschläge nicht zu den chimärischen Utopien gehört, sondern zur Wirklichkeit werden kann, sobald man nicht von vornherein jedem Vorschlage von Verbesserungen das starre ‚Non possumus!‘ oder das milder klingende ,Wir haben kein Geld!’ systematisch entgegensetzt. Sehr gut und nützlich angewandt sind die großen Summen, welche man auf Verbesserung der Thierrassen verwendet hat; es wäre aber auch gewiß an der Zeit, daß man für Verbesserung der Gesundheit der Menschenrasse das Nothwendige thue, wenn es auch sogenannte Opfer kostet.“
Der kaiserlich russische Staatsrath Dr. C. von Mayer fügt dem in einem Schriftchen über die Lungenschwindsucht hinzu:
„Wie manche Krankheitsanlage könnte getilgt werden, wie manches Leben erhalten bleiben, wenn solchen Kranken, noch vor dem Ausbruche der verderblichen Krankheit, eine Heilanstalt offen stünde, in der sie die für ihr Leiden nöthige Pflege finden könnten! Daß Schwindsüchtige nicht in ein Krankenhaus im gewöhnlichen Sinne des Wortes hineingehören, darüber werden Wohl alle Aerzte einig sein. Gott gebe, daß der Staat sowohl wie auch Aerzte sich dieser schönen Aufgabe unterzögen, solche Anstalten – und ihrer recht viele – zu errichten!“
Der kaiserlich königlich österreichische Stabsarzt Dr. L. Günzberg hat sich sogar die Mühe gegeben, einen „Entwurf über ländliche Curorte für minder bemittelte Brustschwache mit tuberculöser Anlage“ auszuarbeiten mit Bauplan, Kostenvoranschlag und Erhaltungsplan. Eine solche Anstalt könnte sich leicht selbst erhalten, wenn sie zugleich im Besitze eines entsprechend großen Landgutes mit Viehwirthschaft wäre. Ich selbst habe mich seit Jahren vielfach mit der Idee der Errichtung von Volks-Sanatorien für arme Lungenkranke beschäftigt, da ich so recht an der Quelle des Elendes sitze, welches die Lungenschwindsucht in den ärmeren Familien anrichtet. Den Staat kann man nicht heranziehen zu einem solchen Humanitätswerke. Hier kann nur die gemeinsame Hülfe edler Herzen rettend eingreifen. Wie aber die Idee dieser Unternehmung der Menschenliebe, zu welcher die obigen Darlegungen auf’s Neue die Anregung geben wollten, verwirklicht werden kann, darüber wird hoffentlich recht bald ein gemeinsamer Beschluß berufenster Männer an die Oeffentlichkeit treten.
Der Maskenscherz im Nonnenkloster.
Es ist wunderbar, wie der Scherz sich oft die ernstesten Stätten aussucht, um sich Gehör zu verschaffen, wie er die würdigsten Matronen zu seinen Opfern wählt! So erinnere ich mich einer Begebenheit, die in meiner Heimath seiner Zeit viel von sich reden machte und allgemeine Heiterkeit erregte.
In meiner Vaterstadt kennt Jeder das landesfürstliche Palais mit der Hauptwache zu seiner Seite, doch nicht Alle werden die kleine Pforte beachtet haben, welche dicht daneben liegt und in die für sich bestehende kleine Welt des Klosterheiligthums führt, das, rings von hohen Mauern umgeben, mitten in dem lebhaftesten Theile der Stadt liegt. Dieses Kloster ist nicht gerade ein Aufenthalt für fromme, der Welt entsagende Nonnen, die dort über die Enttäuschungen des Lebens trauern und nachdenken wollen, sondern vielmehr eine Versorgungsanstalt für ältere unverheiratete Jungfrauen; denn nur solchen wird der Eintritt dort gestattet; acht bürgerlichen und einem adligen Fräulein bietet es ein freundliches Heim.
Vor undenklich langen Zeiten war eine schwedische Prinzessin auf hoher See von Sturm und Unwetter überfallen worden, sodaß ihr Schiff in größter Gefahr war zu kentern, da that sie in ihrer Herzensangst das Gelübde, bei glücklicher Landung und Rettung aus Todesgefahr an dem ersten Orte, wohin sie gelangen würde, aus Dankbarkeit ein Kloster zu stiften mit reicher Dotation zur Versorgung armer Jungfrauen. Der Sturm legte sich, und dankerfüllt landete die Prinzessin, hielt aber auch ihr Versprechen; sie ließ eine Kirche und daneben eine Anzahl gesunder schöner Wohnungen erbauen, von Gärten und Wiesen umgeben. So entstand unser Kloster.
Die Wohlthat dieser Anstalt bewährt sich bis auf den heutigen Tag, und wie eine besondere Bevorzugung sieht es jedes Mädchen an, wenn die Eltern ihr schon in zarter Jugend die Berechtigung zur Aufnahme erkauft haben. Ein alleinstehendes Mädchen kann sich keinen besseren Zufluchtsort wünschen als dieses Kloster. Sie ist nicht einmal verpflichtet, immer dort zu wohnen, sondern kann, wenn ihre pecuniären Mittel es ihr erlauben, Monate lang auswärts leben.
Nun soll man aber nicht denken, daß dieses Asyl, das nach äußerem Beschauen so recht eine Stätte des Friedens ist, auch in Wirklichkeit so viel Frieden in sich schließt. O weh – neun unverheirathete alte Damen unter einem Dache, wie könnte da wohl immer Eintracht herrschen! Da ist Neid und Abgunst, beleidigtes Selbstgefühl ohne Ende, und geredet wird von Einer zur Andern, um die Zeit auszufüllen, sodaß oft die Zwietracht aus allen Ecken heraus schauet.
Zu der Zeit nun, wo unsere kleine Geschichte spielt, war gerade der Kampf lichterloh entbrannt und hätte sich vielleicht noch immer weiter entwickelt, wenn nicht ein ganz unerhörtes Ereigniß, das die Aufmerksamkeit der alten Damen in Anspruch nahm, sie von sich selbst abgelenkt hätte. Es begab sich nämlich, daß die adlige Stelle durch den Tod des Fräulein von D. vacant wurde; ihre Nachfolgerin sollte ein kaum erblühtes, ganz junges Mädchen, die Tochter eines hohen Officiers, sein. Die alten Damen setzten voraus, daß die jugendliche Conventualin beim Landesfürsten um die Erlaubniß nachsuchen werde, ihre Wohnung bei den Eltern zu behalten und bis zu einem vorgerückteren Alter die Klosterräume leer stehen zu lassen. Sie hatten sich jedoch getäuscht: dem schönen Fräulein erschien es vielmehr höchst amüsant, von jetzt ab als Klosterfräulein aufzutreten, und da sie nicht allein dort wohnen konnte, so brachte sie ihre noch jüngere Schwester, die eben eingesegnet war, als Gesellschafterin mit und Beide versprachen sich das köstlichste Vergnügen von ihrem Aufenthalt im Kloster.
Anfangs machte das frische fröhliche Leben der beiden Schwestern auch keinen unangenehmen Eindruck auf die alten Damen, wenigstens wollten sie es nicht eingestehen, daß die fröhlichen lachenden Stimmen ihnen ungelegen kämen. Bald aber fingen die würdigen Conventualinnen, eine nach der andern, an, das Singen, das Haschen, das Laufen während der sonst so lautlosen Nachmittagsruhe unerträglich zu finden, und manche Klage erscholl erst leise und dann immer lauter. Die guten Alten ahnten noch nicht, daß dies nur der Anfang eines noch viel größeren Entsetzens sein sollte; denn der Uebermuth der jungen Klosterbewohnerinnen wurde von Tag zu Tag ärger: jugendliche Freundinnen kamen zu den beiden lustigen Schwestern, um neugierig das ganze Kloster zu durchspähen; sie wurden durch alle Gänge, auch auf den Boden geführt, wo noch viele alte Särge stehen, die theils Schrecken, theils Interesse bei der Jugend erregten, dann in die Gärten, wo man entzückt über die großen Rasenplätze tanzte, alle möglichen Pläne zur Belustigung entwarf. Schließlich wurde für den nächsten Nachmittag eine Crockett-Partie verabredet und unter Kichern und Lachen über die Einzuladenden hin und her gestritten. O ihr ausgelassenen Mädchen, wenn ihr bedacht hättet, was ihr damit anrichtetet! Wenn ihr gesehen hättet, wie die würdigen Kopfgebäude der alten Klosterdamen wackelten, wie mancher drohende Finger sich gegen euch erhob, ob solchen Unfugs! Die beiden jungen Klosterschwestern trafen am anderen Tage geschäftig die Vorbereitungen zum Kaffee, und ungeduldig wurden die Gäste erwartet. Da verlautete aber in den ernsten Klostermauern etwas Entsetzliches: nicht nur die Freundinnen, nein auch der Bruder der beiden jungen Damen, ein Officier, wollte mit seinen Cameraden erscheinen und an dem Crockettspiel theilnehmen. Fürchterliche Kunde! Wo war da die Ruhe des Klosters geblieben, wo der Respect vor der Frau Domina, deren Erlaubniß einzuholen das adlige Fräulein für überflüssig erachtet, wie sie überhaupt in ihrer Sonderstellung glaubte, außer dem Bereiche der Domina zu stehen.
Der Nachmittag rückte heran; einzeln waren die Gäste in die
verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_566.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2023)