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Seite:Die Gartenlaube (1882) 571.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

auf die standhafte Ofenbank; es gelang ihm nicht, sich wieder zu erheben. Bald schnarchte er, wie wenn zehn Lastwagen rasselten. Frau Rotmundin aber stand vor ihm und warf spöttisch ihren hübschen Mund auf. Der scharlachne, vielfach geschlitzte und gepuffte Rock trug die Spuren der Kalkwände, an die er sich gestützt hatte, und die husarischen Stiefel hatten einen Sporn und eine Quaste im Sturm und Drang des Tages eingebüßt.

„Ich weiß nit,“ murmelte sie, „was mit dem Franzel itzunder ist. Entweder ist er aufstutzig wie ein Bock, oder er liegt und schnarcht. Wenn ihn nur nicht der Tropf noch rührt!“ Sie rief mit einem Pfeifchen ihre Magd herbei. „Der Hinz und der Kunz sollen den Herrn Rotmund aus sein Faulbett tragen. – Hast Du zur großen Messe morgen in der Frauenkirche den häßlichsten Sturz ausgesucht?“

Die Gürtelmagd nickte bedenklich.

„Ja, Frau Rotmundin, es ist ein wahres Scheusal.“

Schon recht, Kathrin! Wir wollen ruhig schlafen und uns was Gutes träumen lassen.“ – – –

Am andern Morgen war in der Frauenkirche zur Messe versammelt, was nur Platz darin finden konnte, und der Erzherzog wohnte der Feier mit seinem Gefolge bei. Das Gotteshaus schaute festlich aus, prächtig zubereitet mit Teppichen, Blumen und Kerzen; die Kantorei stimmte einen Lobgesang an, und die Stadtpfeifer pfiffen; fast ununterbrochen schwangen die Ministranten ihre Weihrauchbecken, die bunten seidnen Gewänder der Geistlichen rauschten, während sie eilfertig knixend den Hochaltar umschritten; rasches Schellen ertönte dazwischen.

Der lustige Rath, der an einem der hohen Pfeiler lehnte, flüsterte leise in sich hinein:

„Sputet Euch nur! Bruder Martin überholt Euch doch.“

In den kurzen Pausen, die zwischen den Theilen der Messe lagen, flog das Auge des jungen Fürsten über die Frauenstühle dahin, aber es kehrte stets, wie verletzt, zu dem mit schönen bunten Initialen verzierten Gebetbuche zurück. Auch den Rathsherren stieg das Blut zu Häupten wenn sie auf ihre verhüllten Ehehälften blickten. So abschreckend war ihnen ihr Kopfschmuck noch nie erschienen; schier dräuend schauten sie auf dem schmalen Spalt heraus, wie die Streiter beim Gottesgericht aus dem zugeschraubten Visir.

Als die Messe zu Ende war, erhob sich der Erzherzog; er blickte unwillig die Kirche entlang, aus welcher die Frauen mit ihren unförmlichen Hauben wie eitel Nebelgespenster abzogen.

Auch der Stadtschultheiß bemerkte die Falte aus seiner Stirn und fragte in tiefster Unterthänigkeit, ob die Cantorei nicht schön gesungen, die Stadtpfeifer nicht brav gepfiffen hätten.

Der Erzherzog neigte anerkennend das Haupt.

„Aber wir haben keine Frauen gesehen,“ sagte er dann und warf schmollend das Schlarpel auf.

Während er zum Hochaltar schritt, zu welchem eben die Geistlichkeit die goldne Truhe geleitete, in der die Reichskleinodien bewahrt wurden, durchlief des erlauchten Gastes Rede den Kreis der Rathsherren; sie steckten erschrocken die Köpfe zusammen.

Aber Herr Rotmund meinte trotzig:

„Soll es unsren Frauen ergehen wie den prängischen Augsburgerinnen nach dem Reichstage, allwo sie mit den fürstlichen Herren Liebäugeln, Händedrücken und Fußtreten so lange geübt haben, bis sie in das allgemeine Geschrei gekommen sind?“

Der Pfinzing lachte.

„Der Ferdinandus ist ganz wie der Maxel,“ sagte er, und sie folgten dem jungen Fürsten nach.

Sie kamen gerade noch recht, um das Knie vor den Heiligthümern zu beugen. Der Nagel, der Spahn, die Lanze vom Kreuz des Herrn, ein Stück von der Krippe Christi, die Glieder der Ketten, mit denen Petrus, Paulus, Johannes einst gefesselt waren – all diese heiligen Dinge wurden dem Behältniß entnommen, dann Schwert, Scepter und Kleider Karl’s des Großen und zuletzt des Reiches Krone.

Alle Häupter neigten sich vor ihr; nur der Narr starte regungslos darauf hin.

„Sie könnte setzt auf dem Haupt des Sachsen ruhen,“ sprach er, und es klang Bitterkeit in seiner Stimme. „Ob wohl die rothen Strümpfe dann auch so geruhig täglich aus die Falkenbeize ritten?“ Er warf einen Blick nach dem Cardinal und Erzbischof.

„Er hat sich selbst zu schwach befunden,“ bemerkte geringschätzig der Markgraf Albrecht von Preußen.

„Vielleicht hat er das alte Sprüchwort umgekehrt,“ lachte der Narr, „und gedacht: besser keine Kopfbedeckung als ein Wespennest auf dem Haupt.“

Der Hohenzoller richtete sich auf:

„Ich wollte den Wespen schon ein Weisel sein, und die Krone wollte ich festhalten, daß sie Keiner mir vom Haupte zu reißen wagte; sie sollte strahlen vor allen Kronen der Erde.“

Der Erzherzog hörte nicht. Er schaute zwischen den Kniebeugungen durch die hohen Fenster nach dem Chörlein hinüber, in das sich die Rotmundin gelegt hatte. Der Sturz saß jetzt wieder ganz leicht auf dem hellbraunen Gelock, und der junge Fürst meinte, bis hierher ihre Perlenzähnchen blitzen zu sehen.

Er verweilte nicht länger, als nöthig war, bei den Heiligthümern. Doch gelangte er nur mühsam zu seinem Roß; denn vor der Kirchthür drängte sich ein dichter Volkshaufen um einen Mönch, der auf einem Stein stand, und da die Herren vorüber schritten, hörten sie ihn schreien:

„Versäumet nicht Eure Seligkeit! So lange die Welt steht, werdet Ihr nie wieder um so gering Geld Vergebung Eurer Sünden finden. Eurer Andacht und der hohen Festtage wegen sollt Ihr die Ablaßbriefe nicht so theuer erkaufen denn anher, und die Armen sollen selbige ohne Geld erhalten um Gotteswillen und aus des Herrn Papstes eignen Befehl.“

„Die heiligen Diebe haben von den Marktweibern erlernt, die faulen Eier umsonst zuzugeben,“ sprach der Narr.

„Treibt die Ketzerei nicht zu weit,“ dräute der Erzbischof.

Aber der Erzherzog sagte ungeduldig:

„Unser lustiger Rath soll reden, was er will.“

Der hohe Herr wünschte jeglichem Streit zuvorzukommen; denn er hatte jetzt vollauf zu thun. Zuerst mußte er sich mit aller spanischen Grandezza auf seinen braunen Hengst schwingen, dann ihn steigen lassen unter dem Chörlein, und als das stattliche Thier auf den Hinterfüßen stand, kam das Hauptstück: er warf einen Blick zu Frau Rotmundin hinauf, so feurig, daß der heilige Florian, der Schützer vor Feuersgefahr, jetzt am Chörlein sehr vonnöthen gewesen wäre.

Aber wenn die Durchläuchtigkeit glaubte, daß die Rotmundin etwas so Anmuthiges noch nie gesehen habe, irrte sie sich. Frau Rotmundin war so in Augsburg gewesen. Als das wohlgestalte spanische Roß stieg, führte sie ihr Balsambüchslein an ihr Näslein und machte eine erschrockene Gebehrde. Und da der Erzherzog das Pferd nun zügelte und mit trostreichem Lächeln hinauf sah, athmete sie merkbar auf und drückte ihre Hand auf das Herz.

Es war eine auserlesene feine Komödie, bei welcher Herr Rotmund beinahe blutigen Schweiß schwitzte. – –

Schon webte die Dämmerung des Frühlingsabends in den Straßen, als die kunstfertigen Meister von Nürnberg ihre Läden schlossen und plaudernd unter die Laubengänge traten. Sie schauten neugierig nach, wenn auf den Schrittsteinen ein Diener in den Farben der fremden Gäste seinem Herrn mit dem Windlichte voranleuchtete, bis beide, Herr und Diener, in einem Patricierhause oder in einer der vielen Trinkstuben verschwanden, aus denen der Glanz der Wachskerzen hell auf die Straße herausstrahlte.

„Da kommt der Herr von Salamanca, ein finster blickender Mann,“ rief ein Meister. „Sein schwarzes Haar ist ihm wie eine Lanzenspitze in die Stirn gewachsen.“

„Für den hat mir heute der lustige Rath meine neueste Erfindung abgekauft, so ich Blasebalg genannt habe,“ sagte der Windkünstler Lobsinger. „Ich habe ihn gemacht, das Feuer damit anzublasen. Er hat zwo Flüglein als Handgriffe und einen Schnabel. Auf dem Rücken hab’ ich ihm das Wort geschrieben: ,Alles was Odem hat, lobe den Herrn!‘ Der Narr hat gemeint: ,Es ist alles Wind: Lieb’, Treu und Hoffnung. Der Wind ist ein Hauch, der verweht, und auch das Leben.‘ Dann gab er das Instrumentlein dem Herrn aus Hispania und sprach: ‚Möchte wohl bei den Autodafés anzuwenden sein, das bös Feuer anzublasen.‘“

„Mir hat der lustige Rath eine Brille in Leder gefaßt abgekauft, wie ich solche erfand,“ kicherte ein Anderer. „Er hat sie dem Rotmund verehrt und dabei gesprochen: ‚Eines von den tausend Augen des Argus, wohl geschaffen, ein schön Weib zu bewachen‘.“

„Bei mir hat er einen lebzeltnen Reiter erstanden mit Schwert und Lanze,“ erzählte ein Pfefferküchler. „Er hielt ihn dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg hin und meinte: ,Ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_571.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2023)
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