Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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Reiter, so standhaft wie die Söldnerschaaren der Reichsstände, auf die Ihr droben in Thorn gewartet habt.‘ Und damit brach er ihn mitten entzwei.“
„Ja, er reißt über Alles seine Possen und darf sich jede Neckerei erlauben,“ nickten die Meister. „Der Erzherzog schützt und hegt ihn. Muß ein wahres Herzenslabsal sein, einen Mann um sich zu haben, der Alles auf die leichte Achsel nimmt.“
Nürnberg und die baierische Landesausstellung.
Es war am Sonnabend vor Pfingsten 1882, als ich früh vor vier Uhr in Nürnberg einfuhr, um die Ausstellung zu sehen.
Noch war es nicht ganz helle, und der Dämmerschein hatte eine blaugraue Hülle um die Gebäude geschlungen, in welchen und um welche eine geradezu unheimliche Stille herrschte, als ob die ganze Stadt ausgestorben wäre. Vor zwanzig, dreißig Jahren hatte ich öfters hier verweilt. Ich erkannte die einzelnen Häuser wieder. Dort der halb verwitterte dunkle Stein-Riese mit dem hohen zweifachen Giebel und der Pechnase über dem Eingangsthor – sollte ich den denn nicht kennen?
„Guten Morgen, altes Haus!“ rief ich ihm zu.
„Guten Morgen, mein alter Junge!“ scholl es zurück. „Wie geht es? Bist inzwischen hübsch grau geworden.“
„Und Du schwarz.“
„Soll aber uns Beiden nichts schaden. Ich weiß noch von damals: Deine Constitution ist gut und die meine noch besser.“
„Ja, es ist lange her, daß wir uns nicht gesehen haben, wohl zwanzig Jahre.“
„Ist Deine Schuld, mein alter Junge; Du kannst zu mir kommen, aber ich nicht zu Dir. Wo hast Du denn gesteckt die Zeit über?“
Ich nannte verschiedene Länder im deutschen Osten und Norden. Da zog das alte Haus sein breites Thor, das nun wie ein Mund aussah, noch mehr in die Breite, rümpfte die darüber befindliche Pechnase und sprach in höhnischem Tone:
„So, so? Also da hinten herum, bei den heidnischen Kassuben, Littauern, Russen, Sorben und Wenden! Pfui Teufel!“
„Was doch so ein altes christlich-germanisches Haus vorurtheilsvoll und grob sein kann!“ sagte ich und fuhr eilig weiter.
Im „Rothen Roß“ fand ich das bestellte Quartier in Bereitschaft – ein mächtiges großes Zimmer, in dem man einen Ball geben könnte, jetzt aber zu meinem Privatgebrauch durch spanische Wände in Wohn- und Schlafraum abgeschieden. Das ist auch so ein altes Nürnberger Haus, dieses „Rothe Roß“, das ich schon seit dreißig Jahren besuche. Fünfhundert Jahre steht es schon. Im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert erfreute sich „das roth Rößlein, ein Wierthshaus am Wein-Marck“, eines absonderlichen Ansehens. Die Stadt pflegte hohe Gäste hier einzuquartieren, wo sie mit dem besten Wein aus dem Rathskeller tractirt und dann auch noch mit dem werthvollen Pokal beschenkt wurden, daraus sie getrunken. Ottavio Piccolomini hat hier Anno 1649 schräg gegenüber gewohnt; ich konnte von meinem Quartier aus in seine Fenster sehen. Das „Roß“ ist in den Händen deutscher, italienischer und französischer Wirthe gewesen: Erhard Rauh (1548), P. Roth (1760), Finsterer, Havard sind hier auf einander gefolgt. Im Jahre 1834 übernahm es Paolo Galimberti, und nach einer zehnjährigen Zwischenherrschaft unter einem gewissen Bauer, ist es jetzt wieder unter die italienische Dynastie zurückgekehrt, welche hier unter dem Namen „Galimberti u. Sohn“ ein segensreiches Regiment führt. Allzu häufiger Dynastiewechsel pflegt einem Lande in der Regel schlecht zu bekommen. In dem „Roth-Rößli“ aber hat er durchaus nichts geschadet.
Ich zog mich alsbald hinter meine spanische Wand zurück und schlief ein paar Stunden, aber präcis acht Uhr, wo die „Bairische Landes-Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung“ (da mir dieses sechszehnsilbige Wort ein wenig zu lang ist, werde ich in Zukunft einfach „die Ausstellung“ sagen) eröffnet wurde für Diejenigen, welche ein Zwei-Mark-Stück an sie wagen wollten – von zehn Uhr Vormittags kostete sie dann nur noch eine Mark – präcis acht Uhr also war ich wieder gestiefelt und gespornt.
„Wo ist die Ausstellung?“ fragte ich.
„Auf dem Maxfeld,“ lautete die Antwort.
„Maxfeld? Maxfeld? Nie was davon gehört! Eine wahre Unsitte, alle Straßen und Plätze umzutaufen und sich dazu bloßer Vornamen zu bedienen, welche für die Meisten nicht mit einem Begriffe oder einer Vorstellung verknüpft sind. Wo liegt denn dieses Maxfeld, und wie hat es früher geheißen?“
Das Letztere wußte natürlich der Kellner nicht; denn er war kein Nürnberger. Aber die Lage des Maxfeldes beschrieb er ganz richtig. Es liegt im Nordosten der Stadt, außerhalb des Lauferthores, wohin man früher selten zu kommen pflegte, wo aber jetzt ganz neue Häuser-Viertel entstanden sind. Die neuen Häuser vor dem Lauferthore bestehen zum Theil, statt der scheußlichen Miethcasernen, welche man in Hamburg „Etagenhäuser“ und in Wien „Zinshäuser“ nennt, aus hübschen Einzelwohnungen – für je ein Haus nur eine Familie, ein Wohnungssystem, welches in England das herrschende ist, in Deutschland aber bis jetzt, soviel ich weiß, nur in Bremen festen Fuß gefaßt hat, obwohl es auf das Nachdrücklichste empfohlen zu werden verdient.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_572.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2023)