Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Dort begegnen wir unserem Kautschukbaume, der oft wahre Wälder im Urwalde bildet; er ist ein imposanter Baum von zwanzig bis fünfundzwanzig Meter Höhe und bis zu drei Meter Umfang; er hat einen geraden, glatten, meist astlosen Stamm mit stattlicher Krone und trägt eßbare, kastanienartige Früchte. Seringa nennen ihn die Eingeborenen, und Seringa heißt auch in ihrer Sprache der aus diesem Baume gewonnene Kautschuk. Die Vollkraft seiner Leistungsfähigkeit erreicht der Baum mit ungefähr fünfundzwanzig Jahren, aber auch schon Bäume von fünfzehn Jahren liefern reichliche Mengen Saft. Wie lange er dann weiter ertragsfähig bleibt, ist noch nicht festgestellt worden; das ist indessen auch für die nächsten Interessenten, die Kautschuksammler oder Seringueiros, nicht von Bedeutung, so lange nicht eine bedeutende Abnahme im Vorkommen der Hevea sie nöthigt, den einzelnen Baum bis zur äußersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit zu verfolgen.
Die Seringueiros sind vorzugsweise Mestizen (Abkömmlinge von Weißen und Indianern), welche die halbwilde, nur zu geringem Theile seßhafte Bevölkerung der nördlichen Provinzen Brasiliens bilden. Sieben Monate des Jahres leben sie wie der Vogel im Walde; die übrigen fünf bringen sie an den Flüssen des unteren Amazonenstrombeckens zu, um Kautschuk zu sammeln und Feste zu feiern. Von Ende August bis Anfang Januar ist die Erntezeit; denn da fließt der Saft am ergiebigsten und gehaltreichsten.
Im Juli aber beginnt schon die Völkerwanderung; ist die Reise doch mitunter lang; Vorbereitungen müssen an Ort und Stelle getroffen werden, und der Mestize überarbeitet sich nicht gern. Die Ausrüstung für die Reise ist bald besorgt, und der Fahrplan braucht nicht studirt zu werden, um die kürzeste und bequemste Route aufzufinden. Das Canoe, der hohle Baumstamm, das kunstlose Floß, wird auf den nächsten Wasserlauf gesetzt, und da nicht zu befürchten ist, daß es stromauf gleite, so ist keine Gefahr, daß es seinen Weg verfehle. So reisen die Kautschuksammler mit Weib und Kind; all ihre Habe nehmen sie mit als Reisegepäck; nur die Hütte bleibt zurück. Trotzdem bedarf es nicht vieler Koffer: außer den Kleidern, die man am Leibe trägt, hat man etwa noch einige Bastkörbe voll Maniokmehl mitzunehmen; außerdem besteht die Habe aus einer Anzahl getrockneter Fische, wenn solche beim Aufbruche gerade vorräthig waren, aus einer Flinte, einem Angelzeuge, einigen Beilen, einem Feuerzeuge und dem kurzen Hirschfänger, Machete genannt, der als Waldmesser unentbehrlich ist, sowie aus den Fruchtschalen des Tutuma-Baumes (Crescentia Cujete). Man benutzt diese ausgehöhlten Schalen, welche bei einsam in der Wildniß wohnenden Eingeborenen oft fast das einzige Hausgeräth bilden, als Trinkgefäße, Schüsseln und Löffel. Auch zu musikalischen Zwecken werden die kleineren Exemplare derselben benutzt, indem man sie mit trockenen Maiskernen füllt, wie sie auch, wenn man sie hin- und herschwingt, die Stelle der Castagnetten vertreten. Ebenso findet man sie als kunstvoll geschnitzte und bemalte Ziergefäße. Zur Vervollständigung der Ausrüstung eines Kautschuksammlers gehört übrigens ferner noch eine bunte Sammlung von flachen Thon- und Holzgefäßen zum Auffangen des Saftes, und vor Allem eine Anzahl Hängematten. Die Kleidung der Leute ist höchst einfach: Hose und Kittel aus Baumwolle für den Mann, Rock und Jacke für die Frau – das ist Alles. Die Kinder kommen jahrelang ohne Kleidung aus; sie leben ja vorzugsweise im Wasser, und da würden die Kleider nur naß.
Als Wegzehrung dient der mitgenommene Vorrath, wenn es nöthig ist. Meist indessen genügt der Ertrag der unterwegs ausgeübten Jagd und Fischerei. Wo ein schattiges Plätzchen am Ufer winkt, wird gerastet, und drei- bis viermal täglich wird der müde Leib im Bade erfrischt, um zu neuen Leistungen im Essen und Trinken gestärkt zu werden; denn der Mestize ißt viel, sehr viel, wenn er es hat, und das Trinken ist ihm auch nicht zuwider. Allerdings findet er auf seinem Wege nicht so viele Schenken, wie an den belebteren Straßen unserer großen und kleinen Städte, aber ab und zu trifft er doch auf eine Niederlassung, wo ein guter „Táfia“ oder „Rou“ (Rum) zu haben ist, und die Gelegenheit wird stets benutzt, um gegen Wild- oder Wasserbeute einen kleinen Vorrath des köstlichen Getränkes einzutauschen.
So geht die Reise langsam weiter; bald mit dem Strome treibend, bald rudernd, bald mit einfachem Bastsegel segelnd, gelangt der Seringueiro endlich zum Schauplatz seiner Thätigkeit. Die erste Aufgabe ist jetzt, eine geeignete Stelle für die Hütte zu wählen, die zweite, letztere zu bauen. Für den ersten Punkt ist es wesentlich, daß eine ausreichende Zahl von Heveas bequem zur Hand stehe und daß weder zu dichtes Unterholz noch Wasser den Bau der Hütte und den Zugang zu den gewählten Bäumen erschwere. Die Nähe der
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_008.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2023)