Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Kleine Bilder aus der Gegenwart.
Die gegenwärtig im Hafen von Swinemünde vor Anker liegende Panzercorvette „Ting Yuen“ – „Der ewige Friede“ – welche für die chinesische Regierung auf der Werft der Stettiner Maschinenbau-Actiengesellschaft „Vulcan“ gebaut worden ist und neuesten Nachrichten zufolge in nächster Zeit nach den chinesischen Gewässern abgehen wird, ist ein so hervorragendes Werk deutschen Gewerbfleißes und deutscher Kunst, daß wir wohl mit gerechtem Stolz auf dasselbe blicken können. Mit dieser Panzercorvette hat sich die deutsche Schiffsbaukunst mit einem Mal ebenbürtig an die Seite der berühmten Schiffsbauwerften Englands und Amerikas gestellt, wie dies nicht nur von ersten fachmännischen Autoritäten Deutschlands, sondern auch Frankreichs anerkannt worden ist.
Der „Ting Yuen“ ist das erste größere, auf einer deutschen Werft gebaute Kriegsschiff, welches für das Ausland bestimmt ist. Es entspricht den für die deutsche Reichsmarine gebauten Panzercorvetten der sogenannten Sachsenclasse und hat folgende Dimensionen: 91,000 Meter Länge in der Wasserlinie, 18,300 Meter in der Breite, 6,000 Meter Tiefgang und 7355 Tonnen à 2000 Kilogramm Rauminhalt (Deplacement). Die Maschine von 6000 indicirten Pferdekräften giebt dem Schiffe vermittelst eines Zwillingschraubenpaares eine Geschwindigkeit von 15,386 Seemeilen in der Stunde, während nach dem von der Gesellschaft „Vulcan“ mit der chinesischen Regierung abgeschlossenen Vertrage das Schiff nur eine Geschwindigkeit von l4,5 Seemeilen zu erreichen brauchte. Die contractliche Geschwindigkeit ist also um nahezu 1 Seemeile per Stunde überschritten worden, wie sich bei der zweiten Probefahrt der Corvette, die am 5. Juli von Eckernförde aus stattfand, herausgestellt hat. Acht große Kessel mit je drei Feuerungen erzeugen den erforderlichen Dampf von fünf Atmosphären Druck. Selbstverständlich ist die Maschine mit den neuesten Einrichtungen versehen. Die Armirung des Schiffes besteht in der Hauptsache aus vier Krupp–Geschützen von 30,5 Centimeter im Durchmesser, welche zu je zweien in einem Panzerthurm in der Art Aufstellung gefunden haben, daß jedes einzelne Geschütz fast den ganzen Horizont zu bestreichen vermag. Das einzelne Geschoß, welches mit einer Ladung von 90 Kilogramm prismatischen Pulvers abgefeuert wird, wiegt 329 Kilogramm.
Außer den genannten Geschützen schwersten Calibers befinden sich am Bord auf dem Vordertheil und auf dem Hintertheil noch je ein Krupp’sches Geschütz von 15 Centimeter Caliber und sechs Hotchkiß Revolvergeschütze (vergl. „Gartenlaube“ Nr. 13), letztere zur Abwehr von Torpedo-Angriffen bestimmt. Um selbst Torpedos abschießen zu können, besitzt das Schiff vier Torpedolancir-Apparate. Die Torpedos sind von der Berliner Maschinenbau-Actiengesellschaft (vormals L. Schwarzkopf) geliefert. Diese Fabrik fertigt diese gefährlichste aller Waffen im Seekriege aus Phosporbronze, einer Metalllegirung, welche bei größter Zähigkeit den Vortheil des Nichtoxydirens besitzt, während die aus Stahl hergestellten Torpedos leicht rosten und demzufolge bei ihrem complicirten Mechanismus leicht unbrauchbar werden. Durch einen 36 Centimeter starken Stahl- und Eisenpanzer sind die Maschinen, Kessel und die Geschützmannschaften gegen die feindlichen Geschosse geschützt. Ein vollständiger in viele kleine Zellen eingetheilter Doppelboden ist dazu bestimmt, das Schiff bei Verletzungen der Außenhaut, seien solche durch einen Torpedotreffer oder durch ein unglückliches Stranden verursacht, am Sinken zu verhindern.
Das Material des Schiffes ist durchweg deutschen Ursprunges. Das Eisen stammt aus deutschen Bergwerken, die Stahl und Eisenplatten des Panzers hat die Dillinger Hütte geliefert, und der „Vulcan“ hat seine Ehre darein gesetzt, in der ganzen Ausführung des Baues das Vorzüglichste zu leisten. Die innere Einrichtung entspricht derjenigen, welche auf den deutschen Kriegsschiffen üblich ist; sie ist einfach, entbehrt aber keineswegs der Eleganz. Die Räumlichkeiten für Capitain, Officiere und Mannschaften sind bequem und sehr gut ventilirt. Hierzu trägt die in allen Theilen des Schiffes eingerichtete elektrische Glühlicht-Beleuchtung nicht wenig bei.
Der „Ting Yuen“ wurde im Januar 1881 von dem kaiserlich chinesischen Gesandten in Berlin bei der Stettiner Actiengesellschaft „Vulcan“ zu Bredow bei Stettin in Bestellung gegeben. Am 28. December desselben Jahres fand bereits unter regster Theilnahme Seitens der Mitglieder der deutschen Reichsbehörden und des Publicums der Stapellauf des Schiffes statt. Am 2. Juni erfolgte die schon obenerwähnte Probefahrt in Eckernförde, welche den Beweis lieferte, daß die neue Panzercorvette die Panzerschiffe aller maritimen Mächte von annähernd gleicher Größe an Offensivkraft und Defensivkraft übertrifft und an Schnelligkeit vielleicht nur von dem englischen Panzerschiffe „Agincourt“ übertroffen wird, das, allerdings um die Hälfte größer, in einer Stunde 15,430 Seemeilen zurücklegt. Am 7. Juni lief der „Ting Yuen“ wieder in den Hafen von Swinemünde ein.
Zum chinesischen Commandanten des Schiffes war der Capitain zur See Loo bestimmt, der mit dem früheren französischen See-Officier Prosper Giquel, dem Erbauer des Marine-Arsenals zu Fucheu, der zweiten Probefahrt in Eckernförde beiwohnte, bei welcher der Geschwaderchef der deutschen ostasiatischen Flottenstation, Capitain zur See Freiherr von der Goltz, als unparteiischer fungirte. Während der Bauzeit des Schiffes waren auf dem „Vulcan“ eine beträchtliche Anzahl dahin commandirter chinesischer Officiere und Ingenieure mit Erfolg beschäftigt, mit der Handhabung aller Schiffseinrichtungen sich vertraut zu machen.
Ursprünglich sollte der „Ting Yuan“ durch Officiere und Mannschaften der deutschen Reichsmarine nach China überführt werden; in Folge der kriegerischen Verwickelungen zwischen Anam, dessen souverainer Staat China ist, und Frankreich hat die deutsche Reichsregierung, welche die stricteste Neutralität zu wahren bestrebt ist, davon Abstand genommen, und das Schiff wird nunmehr voraussichtlich unter deutscher Nationalflagge von deutschen Kauffahrteimannschaften, die von dem chinesischen Gesandten geworben worden sind, nach China überführt werden. Inzwischen hat die chinesische Regierung, die von der vorzüglichen Beschaffenheit und Leistungsfähigkeit der Panzercorvette sich überzeugt hat, ein Schwesterschiff des „Ting Yuen“ und außerdem ein Panzerschiff anderer Construction, sowie einen großen Dampfbagger und einen Krahn, welcher Lasten bis zu 1200 Centner heben kann, bei dem „Vulcan“ in Bestellung gegeben. Und so ist denn wohl zu erwarten, daß künftig auch in den chinesischen Meeren Zeugniß von deutscher Thatkraft und deutscher industrieller Tüchtigkeit abgelegt werden wird.
H. Steinitz.
Es war wirklich nicht hübsch von ihr, den Vetter gerade jetzt, da sie ihn während der letzten halben Stunde vergessen zu haben schien, in solchem fürsorgenden, liebevollen Tone zu erwähnen. Sie mußte doch wissen, daß das für Alfred unangenehm sei.
Er zog sich denn auch sofort verstimmt in den Hintergrund des Ladens zurück und blätterte mechanisch in den dort aufgestellten Büchern, da er keine Lust hatte, für „Max“ etwas finden zu helfen. Er griff nach einem Bändchen in Goldschnitt – Mirza Schaffy’s liebliche Dichtungen – und schlug ein kleines Gedicht auf, das ihm alle diese Tage in den Ohren geklungen hatte, ohne daß er sich des Wortlautes genau erinnern konnte.
Da standen sie, die sechs Zeilen, die den glühenden Wunsch seines Herzens so duftig-zart ausdrückten; er las sie mit brennenden Augen wieder und wieder. Rosa mußte ihn dabei schon einige Zeit beobachtet haben, denn sie sagte plötzlich:
„Darf man fragen, was Sie so eifrig lesen?“ indem sie hinter ihn trat, um über seine Schulter in das Buch zu sehen. Noch ehe sie dazu gelangt war, schlug es der junge Mann hastig zu und steckte es an seinen Platz zurück.
„Solch ein Geheimniß machen Sie aus Ihrer Lectüre?“ lachte sie. „Wenigstens will ich mir den Verfasser ansehen. Es war dieses Bändchen hier, in rothgoldenem Einband; ich habe genau Acht gegeben, als Sie es fortlegten.“
Draußen vor dem Laden kam ihnen unerwartet der Commerzienrath entgegen. Der alte Herr, welcher für Alfred große Vorliebe gefaßt hatte, entführte ihn zu einem Frühtrunk und versuchte nun bei einem ausgezeichneten Spatenbräu den Referendar zu bewegen, daß er mit der Familie Jung von Bayreuth aus die Ausstellung in Nürnberg besuche.
„Hillmann und ich werden uns, als Geschäftsleute, auf der Ausstellung und auch in den Nürnberger Fabriken manches sehr
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_521.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2024)