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Seite:Die Gartenlaube (1884) 635.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Der Hahnentanz.

(Mit Illustration S. 632 und 633.)

Hellauf! Juhuh!“ tönt der gellende Jauchzer des Burschen, der mit seinem Mädel den Reigen springt im Hahnentanz. Ob er sich wohl schon Gedanken darüber gemacht hat, warum gerade ein Hahn da droben sitzt, in dem bändergeschmückten Korb auf dem seltsamen Gerüst? Schwerlich! Witze hat er vielleicht schon über den Gockeler gemacht, ziemlich derbe Witze wahrscheinlich; aber über Sinn und Herkunft des Herrschers vom Hühnerhof da droben hat er so wenig nachgedacht als darüber, warum auf dem Kirchthurm überm Knopf ein vergoldeter Gockelhahn sich im Winde dreht und nicht etwa eine silberne Ente. So ist’s eben und so ist’s gewesen, seit die ältesten Leute sich’s denken können. Damit Basta! „Hellauf! Juhuh!“

Eine ärgere Langweilerei gäb’s nicht für einen Bauernbuben, als wenn man ihm erklären wollte, woher seine Bräuche kommen, was etwa für uralter Sinn noch darin stecke. Aus Höflichkeit hört er vielleicht dem wohlweisen Stadtherrn eine Weile zu, aber schon zuckt’s um seine Mundwinkel, schon läßt er einen verstohlenen Blick seitwärts nach seinem Kameraden oder nach seiner Tänzerin laufen, dessen Sinn ohne Worte verstanden wird und wörtlich übersetzt auf Schwäbisch lautet: „Descht a’ Lalle[1], a’ g’schtudirter! Moi’t dear, miar wöllet wissa’, was en seine Büacher stôht? Miar tanzet um den Gockeler ond staußet ’s Wasser ra, daß patscht, ond nôche zahla’ mer en Schoppa’! Isch et wôhr, Kathre’? Hellauf, Juh!“

Wir Gebildeten, wie wir uns nennen, haben sie fast völlig eingebüßt, diese sinnenfreudige Unmittelbarkeit, die einfach und frischweg am Festtag genießt, ohne sich über Warum und Woher den Kopf zu zerbrechen, wie sie am Werktag sich schindet und plagt, ebenfalls ohne zu fragen, warum? Und wenn wir nicht gerade Maler oder Poeten sind, die am schönen Schein sich freuen, so können wir’s auch den noch vorhandenen Volksbelustigungen gegenüber schwer lassen, nach Herkunft und Bedeutung zu fragen, und wir sind königlich entzückt, wenn wir die Spuren eines Brauches oder Festes bis in die graueste Urzeit hinein verfolgen und etwa auf den altgermanischen Mythus zurückführen können.

„Sagen Sie: in diesem Hahnentanz steckt doch gewiß noch ein Stück Edda?“ fragte mich einmal aus Anlaß des Schaumann’schen Bildes ein sonst recht liebes und gescheidtes Mädchen, das nur etwas viel gelernt hat. Merkwürdigerweise sieht sie der jungen Dame auffallend gleich, welche auf dem genannten Bilde, rechts vom Beschauer, Beutel und Fächer so zierlich hält, ohne daß der mißvergnügte Festhammel im Vordergrund mehr Notiz davon nehmen würde, als von dem Locken der Kindsmagd.

Ich neigte mich respectvoll vor dieser schwierigen Frage, und all mein bischen germanistische Weisheit zusammennehmend, holte ich in möglichst gelehrtem Tone aus:

„Mit der Edda, mein liebes und verehrtes Fräulein, ist es leider so eine Sache. Wir verehren sie als die allerälteste Urkunde des Glaubens unserer Väter und ersterben in sothaner Ehrfurcht auch vor jenen Bestandtheilen derselben, welche so gewiß den Namen Zopf verdienen, wie das, was den Musikanten auf unserem Bild über den Nacken baumelt oder dem zur Zeit in der Luft schwebenden Helden, dessen civile oder militärische Bedeutung im Staate des Herzogs Karl Eugen von Württemberg vorläufig dahingestellt sein mag. Ebenso freilich muß ich vorderhand auch dahingestellt sein lassen, wie viel in Ihrer Edda Dichtung christlicher Priester und wieviel Aufzeichnung altheidnischer Lieder ist. Ich eile, zu unserem Hahn zu kommen. Hähne krähen allerdings in der Edda zu wiederholten Malen, zuweilen in recht entscheidenden Augenblicken, beispielsweise vor der Ihnen sicherlich und nicht blos durch Richard Wagner bekannten Götterdämmerung. Ob wir die letztere bisher richtig verstanden haben oder ob der von den Herren vom Fach hartnäckig todtgeschwiegene G. A. B. Schierenberg Recht hat, welcher dieselbe als das ,Gottesgericht über Roms Sieggötter‘ deutet und die Wurzeln der Eddasage im Teutoburger Walde findet – darüber müssen Sie einen Gelehrten fragen! Wir bleiben bei unsern Hähnen. Diese setzt die Sage gern als Wächter auf heilige Bäume und es ist nicht undenkbar, daß man im germanischen Alterthum auch in Wirklichkeit es gern gesehen hat, wenn sie dort wie der Auerhahn aufbäumten, daß man überhaupt bei dem noch bescheidenen Stand der Geflügelzucht es ihnen überlassen hat, sich auf Bäumen für die Nacht niederzulassen.

Sicherlich war der Hahn ein geachtetes, wonicht heiliges Thier, und sicherlich stand er auch in Beziehung zu heiligen Bäumen. Deswegen wohl sitzt er heute noch auf unsern Kirchthürmen. Im Volksbrauch erscheint er wiederholt auf der Spitze eines Bäumchens, so insbesondere bei Erntefesten, bei denen Bäumchen und Hahn den letzten Garbenwagen zieren. Mit der Ernte und dem Ernteschlusse hat der Hahn überhaupt vielfach zu thun, und da an die letzte Garbe sich jederzeit religiöse Pflichten und Bräuche knüpfen, so wird wohl auch hier der Hahn irgendwie geheiligter Herkunft sein. Der Hahnentanz aber fällt, wo er noch Brauch ist, meist in die Zeit des Ernteschlusses, der schwäbischen ,Sichelhenket‘, wohl auch ,Schnitthahn‘ oder ,Erntehahn‘ genannt – und so werden Sie schwerlich fehlgehen, wenn Sie in dem galgenartigen Gerüste, um das der Hahnentanz sich dreht, den etwas verweltlichten Nachkommen irgend eines altheiligen Baumes sehen wollen und in dem Hahn da droben, der in starkem Unbehagen zuweilen ein verlegenes Kikeriki in das Jauchzen der Tanzenden mischt, den ziemlich verbauerten Abkömmling des goldgekämmten Hahnes Fialar, der in der Edda die Asen zum Kampfe der Götterdämmerung weckt – falls dieser nicht einfach das Ernteschluß- und Herbstfest bedeutet, das dem Quintilius Varus im Jahre 9 verhängnißvoll wurde.“

Meine junge Freundin machte ein so ernsthaftes und belehrtes Gesicht, daß ich rasch aus meiner gelehrten Rolle fiel und sagte: „Ich will aber damit durchaus keine genügende Erklärung des Hahnentanzes gegeben haben!“

„Nicht?“ erwiderte sie. „Dann sind Sie ein bescheidener Gelehrter!“

„Bitte, gar keiner!“ gab ich zurück, sie aber frug getrost weiter: „Und was ist denn Ihre Erklärung für das Wassergefäß, das der Bursche beim Hahnentanz herunterstoßen muß, wenn seine Tänzerin ihn kraftvoll emporschwingt? Wasser spielt doch auch eine Rolle in der Mythologie?“

Nun wurde mir’s heiß, und wenn mir’s heiß wird bei allzu klugen Fragen, so kann ich ein klein wenig Bosheit nicht unterdrücken. Ich stellte daher die Gegenfrage: „Waren Sie schon auf dem Schäferlauf in Markgröningen und haben Sie dort schon einen Bauernburschen gefragt, warum er vor Beginn des Hahnentanzes sein Schnupftuch um’s Knie bindet?“

„Hat das symbolische Bedeutung?“ fragte sie rasch und harmlos.

„Gewiß!“ erwiderte ich; aber nun verrieth mich mein ehrliches Gesicht, sie merkte die Bosheit und sagte spitzig:

„Ich war überhaupt noch nie in Markgröningen.“

„Das thut mir leid,“ gab ich zur Antwort, „denn in diesem abseits von der Bahn gelegenen schwäbischen Städtchen steht gewissermaßen die Wiege württembergischer Landeshoheit; auch die Reichssturmfahne ist von dort in’s württembergische Wappen gekommen, und für den Freund alter Städte bietet das Städtchen in seiner Art noch heute viel Anheimelndes, ganz abgesehen von Schäferlauf und Hahnentanz.“

Nun war meine liebe Kleine schon wieder versöhnt, denn dem Zauber des Alterthümlichen widersteht ja heutzutage kein gebildetes weibliches Gemüth mehr.

„Ach, wie interessant!“ sagte sie; „da ist’s gewiß Markgröningen, was dem Maler unseres Bildes als Hintergrund vorgeschwebt hat?“

„Was und wieweit ihm etwas ,vorgeschwebt‘ hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Seine Skizzen und Motive werden sehr bestimmter localer Art sein. Markgröningen kenne ich genau, von dem ist nichts auf dem Bild; eher etwas von Urach, das auch einen Schäferlauf hat, oder von Teinach, wo der Hahnentanz noch lebt – doch, da müßten Sie den Maler selbst fragen.“

„Ach, erzählen Sie mir von Markgröningen, vom Schäferlauf – und,“ fügte sie etwas kleinlaut bei, „was ist’s denn mit dem Taschentuch der Bursche beim Hahnentanz? Auf unserem Bilde ist nichts dergleichen zu sehen.“

„Von Markgröningen und vom Schäferlauf ein andermal, liebes Fräulein! Heute nur so viel, daß auch dieser Schäferlauf nach Ernteschluß, am Feiertage Bartholomäi, stattfindet, und daß unter den verschiedenen Belustigungen, welche sich an den eigentlichen Schäferwettlauf schließen, auch der Hahnentanz seine Stelle findet. Was aber die genannten Schnupftücher angeht, so werden sie zu dem einfach praktischen Zwecke um’s Knie gebunden, damit die Tänzerin, welche den Tänzer nach dem Wassergefäße emporzuschwingen hat, eine festere Handhabe findet. An dem kranzumwundenen Arme des Hahnengalgens ist, wie Sie auch auf dem Bilde sehen, eine Art Klappe oder auch ein an Schnüren baumelndes Brettchen angebracht, worauf das Wassergefäß steht. So oft nun beim Rundtanze ein Paar unter diesem Gefäße angelangt ist, hüpft es auf der Stelle so lange, bis der Schwung gefunden wird, welcher den Tänzer emporschnellt, sodaß er mit dem Kopfe an die Klappe oder an das Brettchen stößt und das Gefäß herunterwirft. Ob sich der Inhalt desselben über das schwingende Paar selbst oder über das nächste Paar ergießt, hängt ganz von der jeweiligen Gewandtheit der Paare ab; am Gelächter und Jubel der Zuschauer fehlt es in keinem Falle, und drollige Scenen bleiben namentlich dann nicht aus, wenn durch das oft vergossene Wasser der Boden, auf dem der Halt beim Schwunge zu suchen, allmählich ,glitschig‘ geworden ist. Hat der Jubel lange genug gedauert, so thut das Preisgericht seinen Spruch: den Preis, den Hahn sammt Korb, etwa auch einen Festhammel, erhält das Paar, welches am häufigsten, gewandtesten und zierlichsten das Wasser geworfen hat.

Was nun Sinn und Ursprung dieses Wasserstoßens sein mag, weiß ich nicht. Ich glaube, wir suchen Sinn und Bedeutung in manchem Brauche, der einfach dem lieben lustigen Unsinne der fröhlichen Jugend seinen Ursprung verdankt und nichts ist, als eine heitere Kinderei. Aber das weiß ich, welchem Paare auf unserem Bilde ich als Preisrichter unzweifelhaft den Sieg zusprechen würde! Das ist das herrlich frische Pärchen, das dort links hinter dem geschwungenen Dreispitz des vorderen Tänzers hervorkommt. Wenn dies Paar an der Schwungstelle ist, wird’s noch ganz anders aussehen, als jetzt, da jenes Mittelding zwischen Amtsschreiber und beurlaubtem Musketier über den Schultern seiner nicht mehr ganz jugendlichen Tänzerin schwebt. Meine Ansicht theilt wahrscheinlich auch der fidele alte Geiger, der dort unter dem Hahnenbaume über den Weinkrügen sitzt und streicht. Was der listig sentimentale Guitarrespieler daneben für einen Geschmack hat, ist eine andere Frage. Darüber vollends erlaube ich mir keine Muthmaßung, was etwa Serenissimus zu denken geruhen mag, welcher mit „seinem Frauenzimmer“ im Hintergrunde erscheint und die Bücklinge der Stadtgewaltigen huldvoll entgegen nimmt, dafern er nicht gnädigst an denselben vorbeisieht. Aber so viel ist sicher, daß mit dem Ende des Hahnentanzes der Festtag noch nicht aus ist! Mit Sonnenuntergang geht es auf’s Rathhaus, und dort geht Schmaus und Tanz weiter die ganze Nacht. Selbst die Honoratioren des Städtchens verschmähen es nicht, sich unter die Tanzenden und Trinkenden zu mischen. Möchten Sie auch mitthun, verehrtes Fräulein?“

„Ich weiß doch nicht,“ sagt sie etwas nachdenklich.

„Ich möchte Ihnen auch nicht unbedingt zureden. Wenn’s einmal heißt:

,Lustig Bäsle,
Lupf’ dei Gläsle!’

– ich bin nicht ganz sicher, wie Sie sich dabei zurechtfinden würden.“

Carl Weitbrecht.     
  1. Ungeschickter, unbeholfener Mensch.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_635.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2024)
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