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Seite:Die Gartenlaube (1884) 639.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Ich muß ohnedies an den Heimweg denken,“ antwortete sie. „Es ist spät geworden.“

„Dann gestatten Sie wohl, daß ich Sie begleite,“ sagte er schnell. „Es wird wirklich schon dämmerig im Walde.“

Sie wollte ablehnen; aber sie fand nicht gleich die Worte dafür dem harmlosen Tone gegenüber, mit dem er seine Begleitung wie selbstverständlich antrug, und ehe sie nur einen Gedanken fassen konnte, hatte er schon sein Pferd am Zügel genommen und sich ihr ohne Weiteres angeschlossen.

Ritterlich paßte er seinen Schritt ihrem stolzen langsamen Gange an. Und wenn er gestern im hellen Sonnenlichte vor allen Menschen keck und dreist gewesen war, so ging er heute am hereindunkelnden Abend im einsamen Walde um so ehrbarer neben ihr, hob die überhängenden Zweige aus ihrem Pfade empor und ließ ihr die Mitte des Weges, während er mit seinem Rosse auf einer schmalen Linie weiter schritt, ohne den Saum ihres Schleiers oder ihr Gewand mit der leisesten Berührung zu streifen.

Die Lichter auf dem Waldboden erloschen, der rosige Schein an den dunklen Blattrosetten verglomm. Auf dem thaufeuchten Wege falteten sich die Kleeblätter zusammen, schlossen die Maßliebchen ihre weißen Wimpern. Die Vogelstimmen verstummten eine nach der andern. Schon strich eine Eule mit lautlosem Fluge vorüber; es dünkte Ereme ein schlechtes Zeichen, daß der Vogel der Athene von links kam.

Bartenstein’s Blick glitt prüfend über seine stumme Gefährtin auf dem stillen Waldpfade. Ihr weißes Kleid strich wallend über den moosigen Boden hin. Das reiche dunkle Haar lag in einem schlichten griechischen Knoten im Nacken; eine lange Locke hatte sich daraus gelöst und ringelte sich über ihre Schulter herab. Der Kopf der Gemme, die ihr Kleid schloß, war nicht reiner geschnitten, als das marmorweiße Profil.

„Woran denken Sie?“ fragte er plötzlich mit lauter Stimme, als müsse er einen Zauber brechen, der geheimnißvoll um ihn seine Schlingen zog.

Sie bezwang sich und suchte auf seinen unbefangenen Ton einzugehen. „Ich dachte daran, daß ich schon einmal von Cavallerie escortirt worden bin. Auf unserem Ausfluge von Athen nach Eleusis begleiteten uns zum Schutze gegen die Räuber griechische Husaren.“

Er sah sie überrascht an. „An griechische Husaren dachten Sie?“ forschte er gespannt. „Waren Officiere dabei?“

Sie zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht. Wie hätte auf jenem Wege nur ein Blick, ein Gedanke an die Menschen von heute streifen können? Wir fuhren auf der heiligen Straße hin, welche noch die Spuren der Geleise trägt, die einst für die Wagen der Götterbilder in den Felsenboden gehauen wurden. Hier und da ragte ein altes Grabdenkmal am Wege empor. Dann nahm uns der heilige Oelwald der Athene auf, dessen älteste Bäume noch die Blüthe Griechenlands gesehen haben. Auf dem steinigen trockenen Boden standen sie, vom Alter verkrümmt und verwachsen, vom graugrünen schmalen Laube nur dürftig umflattert. Fast versiegt schleppte sich der ehemals stolz rauschende Bach Kephissos zwischen ihnen dahin, und der eintönige Gesang der Cikaden erfüllte wie eine Todtenklage den Wald.“

Bartenstein hatte sichtbar gefesselt ihr zugehört; aber die unnahbare Ruhe, die aus ihren Zügen sprach, die kunstvoll gefügte Rede reizten ihn, und je mehr ihr ganzes Wesen seiner Natur einen Zwang auferlegte, um so energischer wehrte er sich dagegen.

„Da haben wir es hier freilich besser,“ antwortete er mit der größten Ungebundenheit, indem er sich fröhlich umsah. „Welch frischer grüner Rasen! Wie viele Blümchen drin! Der Teufel mag wissen, wie sie heißen. Und was sind die Eichen für stramme Kerle!“

Ereme war entrüstet über diese naturwüchsige Sprache. Abweisend entgegnete sie: „Mir erscheint diese Landschaft arm gegen die griechische.“

„Arm gegen das steinige ausgedörrte Land?“ rief er ungläubig.

„Ja, wohl dominirt dort der Stein, das Unvergängliche,“ antwortete sie, unwillkürlich in Eifer gerathend, weil ihr Heiligstes angetastet wurde. „Schroff und leuchtend steigt er aus den ewig bewegten Wellen empor, drängt er den vergänglichen Schmuck der Pflanzenwelt zurück, als wolle er sagen: Ich brauche euch nicht; in mir selbst schlummert ewiges Leben, wenn ich nur die Hand finde, die mich dazu erweckt. Und er hat sie gefunden bei einem Pheidias, einem Praxiteles. Andere Völker pflanzten Haine um ihre heiligen Stätten, die Griechen schufen Haine von schimmernden Marmorbildern um ihre Tempel.“

„Ein Hain von Statuen,“ rief er, sich schüttelnd, „von denen jede in alle Ewigkeit in derselben Pose dasteht, nur daß sie nach und nach Kopf und Glieder verlieren, die nicht wieder wachsen wie die Blätter am Baume!“ Und er murmelte noch weitere Worte für sich; ihr schienen sie zu lauten: „ich lobe mir etwas Lebendiges;“ aber sie traute ihren Ohren nicht.

Mit einer kleinen, Aufmerksamkeit heischenden Geste, wie er sie noch nie bei einer Dame der Gesellschaft gesehen hatte, und die ihm doch sehr gefiel, fuhr sie fort: „Selbst vor den letzten Ueberresten jener Schöpfungen, ja, vor dem Klange der alten Namen erscheint Alles, was unsere Zeit hervorgebracht und gethan hat, klein und epigonenhaft.“

Die Uebertreibung, die in den Worten lag, verletzte ihn wieder. „Einbildung!“ sagte er unmuthig.

„Sie wollen sagen,“ verbesserte sie ihn, „daß die Ideenverbindung die Trümmer uns schön und erhaben erscheinen läßt.“

Er lachte auf. „Ich ziehe die Schönheit vor, über die ich nicht vorher nachdenken muß, um ihre Reize zu ergründen, sondern bei der ich mir gleich etwas wünsche.“

„Wünsche wären jener versunkenen Welt gegenüber vergeblich,“ entgegnete Ereme. „Sie führt nur zu ernster Betrachtung und dient uns als Vorbild, wie wir unser Leben zu gestalten haben, daß es unter unserer Hand zu einem Kunstwerke werde.“

Jetzt riß ihm die Geduld. Vor ihnen lichtete sich der Wald, schon drang der Heuduft der Wiesen herein, und das schöne Mädchen neben ihm mit den korallenroten Lippen, zwischen denen so elfenbeinweiße Zähne schimmerten, hielt ihm noch immer einen Vortrag wie ein alter Professor einem jungen Studenten. Das war nicht die Stellung, die der Frau dem Manne gegenüber zukam.

Mit dictatorischem Ton, als ertheile er Instructionsstunde, sprach er: „Ihr Leben macht mir allerdings einen sehr künstlichen Eindruck, gnädiges Fräulein. Aber das wird nun am längsten gedauert haben. Das Schicksal, wie es der Frau bestimmt ist, wird an Sie herankommen. Dann werden Sie Ihre Lebensbildhauerei bei Seite werfen und sich dem Manne fügen, der es unternimmt, Sie zu einer deutschen Hausfrau zu erziehen.“

Mit maßlosem Staunen sah sie ihn an. Er nickte ihr bekräftigend zu und blickte tief in die schönen empörten Augen.

Da schürzten sich ihre Lippen spöttisch. „Glauben Sie, daß das einem Manne so leicht gelingen würde?“

„Leicht oder schwer,“ antwortete er hochfahrend, „ein rechter Mann setzt Alles durch, was er will.“

„Wenn seine Kraft dazu ausreicht,“ antwortete sie mit leisem Hohn.

In seinen Augen glimmte ein Funke auf.

„Das Wenn läßt sich kein Mann ungestraft bieten,“ sagte er drohend und fuhr dann in leichtem Tone fort: „Doch da sind wir am Ausgang des Waldes, Sie bedürfen meines Schutzes nicht mehr.“

Er grüßte, war im Sattel, und dort flog er auf seinem Goldfuchs dahin, als gelte es einen Siegeslauf.

Ereme starrte ihm sprachlos nach. War es Traum oder Wirklichkeit, daß ein Mann ihr mit solchem Blick und Ton zu nahe getreten war, so vermessene Worte zu ihr gesprochen hatte? Fürchtete er denn nicht das Walten der Nemesis, die jeden Frevelmuth unerbittlich straft?

O! Warum war sie nicht gestern, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ihres Weges gegangen? Warum hatte sie ihm heute geantwortet, seine Vorstellung angenommen, seine Begleitung geduldet und endlich die Welt, die so erhaben über der seinen war wie die Iliade über dem Kutschkelied, gegen ihn verteidigt, statt stolz zu schweigen? Warum war sie überhaupt nicht zu Hause geblieben? Ja, warum?


Melanie von Seebergen bewohnte eine Flucht von Zimmern, welche, beim Umbau des Klosters zu einem Damenstift, aus einer Reihe von Zellen hergerichtet worden war, indem man Wände herausnahm und Thüren einfügte. Noch immer gaben die dicken Mauern, niedrigen Decken und tiefnischigen Fenster den Räumen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_639.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2022)
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