Verschiedene: Die Gartenlaube (1884) | |
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„Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß ich doch keine
Frau brauchen kann, die mir geistig nicht ebenbürtig ist. Bei
der ätzenden Kritik, die ich der Beschaffenheit meines Geistes nach
üben muß, bedarf ich durchaus einer Frau, welche dieselbe durch
Klugheit, Milde und Schonung mit dem Bestehenden zu versöhnen
strebt.“
„Ich glaube eher,“ erwiderte Melanie, „daß diese Versöhnung in Ihnen selbst durch einen Läuterungsproceß sich vollziehen wird und Sie, wie jeder edel beanlagte Mensch, zu der Milde gelangen werden, welche die höchste Auffassung des Lebens, die klarste Beurtheilung der Menschenseele mit sich bringen. Denn Sie sind mit Ihren jungen Jahren noch lange nicht am Ende Ihres geistigen Wachsthums.“
Bartenstein kam aus dem Saal zurück. „Wo ist Fräulein Clusius?“ fragte er Melanie.
Die vorübergehende Hausfrau antwortete lächelnd: „Die Damen Clusius haben uns leider schon verlassen. Sie sind eben nach Haus gefahren.“
Sein Gesicht verfinsterte sich.
„Reizen Sie Ereme nicht unaufhörlich,“ sprach Melanie. „Ich warne Sie. Ein Mädchen wie sie ist doch nicht ein Feind, den man nicht zur Rnhe kommen lassen darf.“
„Ach, gönnen Sie uns doch unseren lustigen Krieg,“ entgegnete er, wieder lachend. Und ohne von der übrigen Gesellschaft, die sich eben zum Cotillon arrangirte, Notiz zu nehmen, begab er sich in das Rauchzimmer, wo die älteren Herren bei Cigarren und baierischem Bier abwarteten, bis der letzte Ton verklungen war.
Dann erlosch das Gaslicht, die Blumen des Ballschmuckes zerflatterten, die leichten Roben wanderten zerdrückt und von den Tanzsporen arg verwüstet in die Ecken der Garderoben, und die jungen Köpfe mit den blonden und braunen Bärtchen verschliefen die Erinnerung an alle die süßen Lügen, deren sie sich schuldig gemacht hatten.
Nur ein Eindruck blieb in den Theilnehmern des Festes
haften: die Beziehung, in welche die hochmüthigste Professorentochter
und der schneidigste Officier zu einander getreten waren.
Und das Interesse, welches hervorragende Liebespaare immer
erregen, heftete sich an die beiden ausgezeichneten Menschen.
Miß Smith saß ganz verblüfft mit ihren Gastfreunden auf dem Balcon, welcher, der neuesten Mode entsprechend, mit grün blühenden Petunien und rothen Blattgewächsen besetzt war. Ihre blaßblauen Augen starrten Ereme an, welche unten durch die Akazienallee wandelte, als könne sie ihr absehen, wie sie es angefangen habe, Bartenstein zu erobern.
Ihre Freundin flüsterte etwas von „flirtation“, und der Hauch des Windes mußte das Wort Ereme zugeweht haben; denn sie sah geringschätzig an ihrer feinen Nase herab, als sie langsam vorüber schritt.
Der Banquier tröstete die Damen: „Etwas Anderes als flirtation ist es auch nicht. Denn dieses Fräulein Clusius ist keine Partie. Sie besitzt meiner Schätzung nach ungefähr ein Capitalvermögen von dreißig- bis vierzigtausend Thalern. Wir wissen aber, daß bei der Cavallerie erst hunderttausend Thaler für anständig gelten. Und wenn er auch ein Gut hat, so verwöhnen unsere jungen Herren sich jetzt viel zu sehr, als daß sie nicht eine Frau mit großem Zuschuß sehr gut brauchen könnten.“
In dem nächsten Professorium, einer intimen Geselligkeit der Universitätslehrer und ihrer Familien, hielt der Professor, welcher deutsche Literaturgeschichte las und als Goethe-Kenner bedeutenden Ruf genoß, einen Vortrag über die „Iphigenie“ seines Lieblingsdichters. Als er die Werbung des Thoas berührte, sprach er:
„Iphigenie mußte vor ihm zurückschaudern; denn in ihr krystallisirte der hellenische Geist, und er war der Barbar. Allerdings aber,“ fügte er mit einem Lächeln um die feinen bartlosen Lippen hinzu, „gehörten er und seine Taurier einer Bevölkerung an, der noch eine große Zukunft bevorstand. Es war die cimmerische, von welcher die Cimbern, die Urväter des deutscheu Volkes, abstammen. Wer weiß, ob ein Goethe unserer Tage die Iphigenie nicht eine andere Entscheidung hätte treffen lassen,“ schloß er mit einem Blick nach der Seite, wo Ereme saß.
Aller Augen hefteten sich auf sie und bemerkten, wie sie die Farbe wechselte, so unbewegt auch ihre Miene blieb.
In den Damencafés wurde von nichts gesprochen als von der auffallenden Art, in welcher Bartenstein Ereme auszeichnete.
„Sagen wir lieber: er compromittirt sie,“ verbesserte die Mutter von Betty und Hedi, während sie geärgert ihren Mandelkuchen in den Kaffee tauchte.
„Alle seine Pferde führt er ihr täglich vor,“ erzählte die Hausfrau, die als Nachbarin Ereme’s genau unterrichtet war; „und er weicht nicht eher vom Universitätsplatz, bis sie sich am Fenster zeigt, was oft recht lange dauert.“ Dazu präsentirte sie die Windbeutel mit Schlagsahne.
„Sie versteht es die Männer zu behandeln,“ sagte empört die Mama von Bella und Stella, ihren Kirschkuchen verspeisend.
„Es war auch zu viel, daß er der Frau Doctor zu ihrem Geburtstag ein Ständchen bringen ließ: einen Choral, ein Lied, einen Tanz,“ rügte die junge Wittwe im dritten Trauerjahr und nippte einmal auf die Alteration an der Resedabowle.
„Sein Bursche hat zwei radgroße Bouquets hingetragen: Heliotrop und Pelargonien für die Frau Doctor, für Ereme die kostbarsten Rosen,“ klagten die jungen Mädchen und beluden ihre Krystalltellerchen mit Eistorte.
Dann verschob man die Heimkehr noch eine Stunde, um eine der Fensterparaden zu belauern, ging endlich mit verdorbenem Magen und verdorbener Laune nach Haus und machte seiner Bosheit wenigstens dadurch Luft, daß man die Köpfe von Ereme, die an ihrem Fenster saß, abwendete, als habe sie das Recht auf einen Gruß verwirkt.
Auch die alten Freunde der Clusius’schen Familie fühlten sich verstimmt.
Als der Professor der Geschichte mit Frau und Tochter von einem Gegenbesuch, den sie bei Ereme gemacht hatten, heimkehrte, bemerkte die Frau Professorin: „War das ein Gewühl von Officieren, die Visite machten und in der Bibliothek umhergingen, als seien sie da einquartiert. Ich konnte auch gegen Ereme die Bemerkung nicht unterdrücken, was wohl ihr seliger Vater dazu sagen würde, wenn er sein Haus von diesem militärischen Hauch überzogen sähe.“
„Was antwortete sie darauf?“ fragte Thusnelda, indem sie sich noch einmal im Spiegel darauf ansah, welchen Eindruck sie bei dem Zusammentreffen mit den jungen Officieren gemacht haben könnte, und nachträglich eine verbogene Feder auf ihrem Hut ordnete.
Die Mutter erzählte verdrießlich: „Sie erwiderte mir ganz großartig: ‚Es ist altes Herkommen in unserer Familie, jedem Fremden unsere Sammlungen zugänglich zu machen!‘ Aber sie fühlte sich doch getroffen, das sah ich ihr an.“
„Sie hat doch unerhörtes Glück,“ meinte Thusnelda neidisch, „gerade Einer von den Ulanen, der famosesten Truppe.“
„Ach, es sind ganz junge Regimenter,“ knurrte ihr Vater. „Erst 1808 wurden sie aus den polnischen Towarczys formirt, und diese waren wieder aus den Bosniaken Friedrich’s des Großen gebildet worden. Der Name kommt zuerst in der ehemaligen polnischen Armee vor und soll von einem tatarischen Anführer Ullan stammen. Daher wird ja wohl auch der Spectakel rühren, den sie den ganzen Tag machen. Pferdetrappeln, Commandiren, Schießen, Blasen, Klirren, Rasseln, Stöpselknallen!“ Er stieg kopfschüttelnd in seine Studirstube hinauf; denn er arbeitete emsig an einer Geschichte der Befreiungskriege.
Und er fuhr fort, die Schlacht bei Leipzig zu beschreiben. Er ließ die Armeen aufmarschiren, die Kanonen donnern, die Cavallerie rasseln, die Infanterie stürmen. Und seine Familie ging auf den Fußspitzen; denn das kleinste Geräusch störte Papa.
Unterdessen verließen auch die jungen Officiere in langer Reihe das Clusius-Haus, als logire dort ein hochstehender Vorgesetzter. Aber sie sprachen nicht von Thusnelda’s Hut, sondern waren ganz „baff“ über die Gelehrtheit der hochinteressanten Dame, hofften, daß Bartenstein ihr die übertrieben großartigen Mucken austreiben werde, und beschlossen, das Werk: Clusius über Hellas zu kaufen, da dieser berühmte Name doch demnächst in Beziehung zu dem Regiment kommen werde.
Auch der Oberst hatte um Erlaubniß zur Besichtigung der Sammlungen gebeten und war mit Frau und Tochter bei Ereme gewesen. Als sich die Hausthür wieder hinter ihnen schloß, bot er seiner Gemahlin den Arm und sagte mit vergnügtem Angenblinzeln: „Die Kleine hat mir sehr gefallen, und ihr Chierwein war vorzüglich.“
Elsa’s Eifersucht auf Ereme war nach Backfischart in Schwärmerei
für sie umgeschlagen. „Und sie hat mir auch das Recept zu dem
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_687.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2019)