Verschiedene: Die Gartenlaube (1884) | |
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Der Herzog lachte laut auf: „Himmlischer Anblick das! Wie er es nur angefangen hat, Freund Wolf, Luise als Gegentänzerin zu bekommen? Ich dachte, sie bisse sich lieber den kleinen Finger ab, als meinem armen Parvenü die Ehre zu erzeigen! Na, mich freut’s, wenn sie Raison annimmt, wenn er sie zu uns herumkriegt.“
In diesem Augenblicke wurde der Contretanz beendigt; als der Herzog nach der Verabschiedung von seiner Tänzerin sich wandte, stand der kleine Baron voll Göchhausen vor ihm, tief dienernd, submissest lächelnd und offenbar mit einem Anliegen auf dem Herzen.
„Eh, Baron, was wollen Sie? Wo drückt der Schuh?“ fragte der Fürst gnädig.
„Durchlaucht verzeihen, Durchlaucht gestatten“ – murmelte der kleine Mann. „Supponire, daß dies Schreiben – meine ergebenste Pflicht und Schuldigkeit Dero Einsicht zu unterbreiten.“
Damit hielt er dem Herzoge einen zusamnlengefalteten, adressirten, aber nicht gesiegelten Brief hin. Karl August griff mechanisch danach.
„Goethes Handschrift und an Luise! Gewiß ein poetischer Erguß, ein Festcarmen! Wie kommen Sie dazu?“
„Durchlaucht zu dienen, der Brief fiel aus der Tasche des Herrn Legationsrath Goethe, als er in der Quadrille avancirte. Ich stand hinter ihm und enlevirte das Schreiben.“
Als der Oberkämmerer sah, daß er nicht weiter beachtet werde, zog er sich mit einigen Bücklingen zurück. Der Herzog aber trat zur Seite und entfaltete sonder Arg und Bedenken den Brief.
Aber welch ein Wechsel auf seinem Antlitze! Flammende Röthe und fahle Blässe, eine zornig gestaltete Stirn, zerbissene Lippe, und endlich wilden Griffs ein Zerknittern, Zusammendrücken des Papiers, das er mit plötzlichem Rucke in die Tasche schob. Ohne sich umzusehen, ohne zu zaudern, verschwand er hinter der Schießmauer und verfolgte mechanisch den Weg an der Ilm her, der ihn zum Fürstenhause führte.
Die Musik zu einem Menuet, Gläserklirren und lachende Stimmen folgten ihm; er aber hörte nichts davon, seine Gedanken wühlten und bohrten zu gewaltig in ihm; das Blut kochte in seinen Adern und jede Spur froher Weinlaune, die ihn belebt hatte, war erstorben.
In seinem Palais angekommen, befahl er: „Ein Pferd!“ und ritt wenige Minuten später allein im Gesellschaftsanzuge zum Thore hinaus. Da hing er wie willenlos und gebrochen im Sattel, in seinem rothen, goldgestickten Sammetrocke, schlaff eine Reitpeitsche haltend, die sein Groom ihm eingehändigt hatte.
Die Stallbedienten, welche ihm nachsahen, schüttelten die Köpfe.
„Wenn er noch wetterte und fluchte, wär’s mir lieber,“ sagte ein alter Kutscher.
„Das schöne Zeug, die weiße Seidenhose ist hin,“ meinte bedauernd ein junger Reitknecht.
Der aber, dem diese Bemerkungen galten, ahnte nicht, daß er etwas thue, was auffallen müsse. Er hatte überhaupt kein anderes Gefühl als das eilte entsetzliche: sein Freund, sein Liebling, sein herrliches Vorbild - war ein gemeiner Heuchler und verrieth ihn unter gleißendem Schein; Irrthum schien ihm unmöglich. Er hatte die ganze Sachlage mit eigenen Augen gesehen; Göchhausen stand hinter Goethe, Luise tanzte ihm gegenüber; gewiß hatte dieser es so eingerichtet, um ihr den Brief zu geben!
Was nur Luise zu dem Briefe gesagt hätte? Er mußte doch mit ihr schon seiner Sache gewiß sein, um dies zu wagen! Also auch sie eine Scheinheilige? Sie, die Strenge, gegen ihn so Kühle! Aber freilich, ein Apoll, ein genialer Feuerkopf wie Goethe! Er wußte und fühlte es ja selbst, wie ihm die Herzen zuflogen! Ein tiefer Seufzer hob seine Brust. Nein, dies konnte er ihm nicht verzeihen! Liebte er auch Luise nicht, so war sie doch sein Weib, die Herzogin, die Hüterin seiner Ehre!
Trennung von Beiden war der einzige, der Endgedanke aller Ueberlegungen. Wo hatte er nur seine Augen gehabt, daß er nicht längst gesehen, wie der Freund sie inniger verehrte, als recht war? Freilich, so wie es der Brief aussprach, das hätte er doch nicht gedacht. Und es war nicht allein Goethe’s Handschrift, es waren Redewendungen, Worte, wie er sie oft von ihm gehört, und doch dies Unglaubliche, diese kecke Sprache sinnlicher Leidenschaft! Er wiederholte sich einzelne Sätze, die sich seinem Gedächtniß eingebrannt:
„Süßer, verschmähter Engel, den zu besitzen, zu entschädigen mir Seligkeit wäre! - Ich sehe und träume nichts, als die Himmelssterne Deiner Augen; o Luise, wenn Du Dich zu mir herab neigen, mich glücklich machen wolltest! - Er, der Dich nicht zu würdigen versteht, entbehrt auch nichts!“
„Seine Liebe für die Stein ist fingirt, ist ihm ein Deckmantel,“ fuhr der Herzog in seinem Selbstgespräche fort. „Die Frau ist seine Vertraute, Hehlerin, Zwischenträgerin. Welch ein erbärmliches, verworfenes Gezücht, unter dem ich lebe! Ich, dem das Höchste ist: ein edler Menschenkreis!“
Sein Pferd blieb in diesem Augenblicke an einem Gebüsche stehen und zupfte Blätter ab.
Jetzt zuerst kehrte er zur Gegenwart zurück, sah sich um, wo er sich befand, und nahm die Zügel fester. Er war, ohne es zu wissen, den Weg an Goethe’s Gartenhaus vorbei, nach Oberweimar geritten.
Die Sonne sank bereits; am liebsten wäre er landein gesprengt, hätte alles, was Klärendes und Trennendes geschehen mußte, brieflich abgemacht, aber so im Staatskleide ohne alle Vorbereitung und Begleitung? Er nannte sich selbst feige und riß plötzlich sein Pferd herum. Ein wilder Zorn flammte in ihm auf; er schlug mit der Peitsche über des Rosses Flanke und flog in sausendem Galopp den Weg in wenigen Minuten zurück, für den er vorhin im träumenden Verweilen so lange Zeit gebraucht hatte. Die rasche Bewegung that ihm wohl; die Sonne war jetzt im Untergehen, ein schönes, tiefglühendes Abendroth verklärte die Gegend; er mäßigte die rasche Gangart seines Pferdes, hielt sich gerüstet für alles, was geschehen mußte, und fühlte sich älter, aber auch fester geworden.
Sein Empfinden der bittern Erfahrung war aus dem dumpfen Wehgefühl in das Begreifen der Sachlage übergegangen. Er erkannte, daß er kurz und kräftig mit den Dingen fertig werden müsse.
So weit in seinem Gemüthe gekommen, wurde er durch einen Anruf aus seinem Gedankengange aufgeschreckt; unwillkürlich hielt er beim Ton dieser Stimme sein Pferd an und wandte den Blick hinauf, woher der Ruf kam.
Da stand Goethe in feiner Alltagskleidung auf dem Altan, vom warmen Abendroth umflossen, mit heiter strahlenden Blicken, und rief ihn noch einmal an:
„Mein lieber gnädiger Herr, wohin sind Sie uns enflohen? Warum verließen Sie das Fest?“
„Elender!“ knirschte der Herzog. Er wollte ihn ja nicht wiedersehen, hielt es unter seiner Würde, je wieder ein Wort mit ihm zu wechseln; dennoch, bei seinem herzbewegende Anblick, dem Ruf dieser geliebten Stimme widerstand er nicht. Rasch entschlossen wollte er jetzt alles gleich persönlich mit ihm abmachen, das war der einzig richtige, männlich tapfere Entschluß!
Er sprang vom Pferde, Philipp nahm dessen Zügel, und Karl August eilte in’s Haus.
Schon auf der Truppe zog er den verhängnißvollen Brief hervor, glättete denselben mit zitternden Händen und reichte ihn dem verrätherischen Freunde, als dieser ihm oben an der Treppe entgegen kam.
„Was soll dies Papier?“ fragte Goethe.
„Lies!“ herrschte der Fürst ihn an.
Beide traten, mechanisch vorgehend, in Goethe’s Zimmer; dieser wandte sich zum Fenster, um bei dem scheidenden Licht sehen zu können, was ihm der Herzog gegeben.
„Ein Brief von mir?“ fragte er erstaunt, „und an die Herzogin?“
Der Herzog lachte höhnisch auf; der Andere hatte diesen Ton nie von ihm gehört.
Goethe las und erstarrte.
„Meine Schrift!“ sagte er. „Manches von meinen Gedanken und Redewendungen, und doch so – das ist infam!“
Er warf in tiefem Widerwille den Brief mitten in’s Zimmer und rief:
„Durchlaucht, das schrieb ich nicht!“
„Du – Du leugnest?“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_699.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2024)