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Seite:Die Gartenlaube (1884) 703.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Was macht nur Bartenstein für einen Trara darüber, daß die langweilige Schultante nicht ausgehen will!“

„Reden Sie keinen Kaff! es ist ihm Ernst gewesen. Er hat keinen Bissen gegessen.“

„Wenn sie doch nur tanzte. Da könnte man sie zur Strafe einen ganzen Winter sitzen lassen!“

„Die Clusia ist also nicht eingeladen,“ kicherten die jungen Mädchen.

„Es ist eine furchtbare Blamage für sie,“ sagte mit schwerer Betonung die junge Wittwe in schwarzem Krepp.

Und die Mama von Stella und Bella schloß das weibliche Vehmgericht: „Sie versteht die Herren nicht zu behandeln. Was hilft ihr nun alle Gelehrsamkeit? Wollt Ihr nicht ein wenig auf der Terrasse promeniren?“ wandte sie sich an ihre Töchter und legte ihnen die langen braunen Zöpfe zurecht, während ihr Blick die Distance zwischen ihnen und dem stumm in das Abendroth blickenden Bartenstein maß.

Betty und Heddi schlossen sich an; allmählich schlugen noch mehr Damen den Weg ein; es zog ein Corso von jungen Schönheiten an Witold vorüber.

Wie viele Vergißmeinnicht- und Veilchenaugen sah Melanie verstohlen ihn anlugen! Alle die klopfenden Herzen unter den duftigen Spitzenfichus und Mullblousen waren bereit, ihn zu trösten. Und ließen sich unglücklich Liebende nicht so gern trösten?

Eine Gruppe von Professoren trat auf der andern Seite zusammen.

Die Blicke des Physiologen folgten den jungen Damen, und während er einen Chartreuse nahm, sagte er mit seinem satirischen Lächeln: „Man merkt, daß der Löwe der Gesellschaft wieder vacant ist. Der Chor der Mütter rüstet seine Schaaren zum Kampfe um den Mann.“

Der Weltumsegler lachte. „In China setzt man die überflüssigen kleinen Mädchen aus, in der Türkei bietet man sie aus, hier führt man sie aus. Ueberall dieselbe Sache, nur eine andere Form.“

Der Rector Magnificus war weniger gut gelaunt. Während er sich eine Cigarre anzündete, bemerkte er sichtlich verstimmt: „In Sachen der Clusia contra Bartenstein hätte ich doch gewünscht, daß die unserem Kreise angehörige Dame etwas vorsichtiger zu Werke gegangen wäre. Sie hat unser gutes Einvernehmen mit dem Militär, das doch einmal allseitig gewünscht wird, auf’s Spiel gesetzt. Ein kühler Hauch ist nicht zu verkennen.“

Mit dem Oberst war heute nicht zu scherzen. Unwirsch verdarb er auch dem Doctor Gerhard sein Vergnügen, der eben Melanie sein Compliment machen wollte. Er setzte sich selbst neben sie auf die Steinbank.

„Gott sei Dank!“ sagte er, „Bartenstein ist glücklich curirt. Das fehlte noch, daß wir diesen unausstehlichen Blaustrumpf in’s Regiment bekommen hätten mit ihren großartigen Manieren und dieser Häuslichkeit, wo Alles festgemauert in der Erde steht. Sie kann sich nun mit ihrer steinernen Pallas Athene trösten, der ebendige Mars läßt sie sitzen.“

Melanie schüttelte leise das Haupt, an dessen braune lockige Scheitel blasse Theerosen sich schmiegten. „Ich glaube nicht, daß wir den Vorgang so bezeichnen dürfen. Auch zur Ehre des Herrn von Bartenstein nicht. Ich halte ihn zu hoch, um anzunehmen, daß er ein leichtsinniges Spiel getrieben hat. Die beiden ausgezeichneten Menschen haben sich nicht verstanden, und daher kam der unbesonnene Angriff und die ebenso unbedachte Abweisung.“

Der Oberst bekam einen noch rötheren Kopf und rückte ungeduldig hin und her. „Meine Gnädigste, lassen Sie die Haarspaltereien nach dem Diner. Und ich muß unterthänigst und entschieden betonen: einen Korb hat er nicht bekommen. Aber aus ist die Sache allerdings.“ Und er zog mit der ausgestreckten Hand einen horizontalen Strich durch die Luft, als hiebe er einen Strick durch.

Melanie hielt den Fächer ruhig gesenkt wie ein Engel des Friedens das Palmenblatt und sagte nur: „Schade!“

„Ja, schade für sie,“ entschied der Oberst voll Energie. „Mich ärgert nur meine Frau,“ brummte er weiter. „In ihrem Gesichte steht geschrieben: ich habe wieder einmal Recht gehabt. Sagen wird sie’s nicht. Das habe ich ihr längst abgewöhnt. Aber, weiß der Henker! selbst beim strammsten Regimente finden die Frauen einen Weg, ihre Meinung kund zu thun. Da kommt Bartenstein. Wahrscheinlich will er Ihnen auch seine Meinung über Ihre liebenswürdige Freundin sagen. Geben wir ihm Gelegenheit dazu. Den Doctor, der schon lange um Sie herum courbettirt, nehme ich auf mich. Thut ihm ganz gut, wenn er warten lernt. Er hat so wie so einen Ansatz zum Größenwahn.“

Er erhob sich, und den wiederum heranschießenden Gerhard, der in der Uniform eines Reserve-Officiers anwesend war, mit sich nehmend, sagte er lachend: „Heute ist einmal Abonnement suspendu, bester Herr Doctor. Sie müssen sich gedulden.“

Melanie dachte: „So ist die Gesellschaft. Daß zwei seltene Menschen das Glück ihres Lebens verfehlen, darum kümmert sich Niemand. Der Oberst ist nur besorgt, den Verdacht abzuwenden, als habe einer seiner Officiere einen Korb davongetragen; der gute Rector hegt die Befürchtung, von seiner Regierung eine Nase zu bekommen, wenn Frictionen zwischen den beiden Gewalten hier entstünden; die anderen Collegen des seligen Clusius benutzen die Gelegenheit, sich von der geistreichen Seite zu zeigen, und die Damen sind bestrebt, aus der Verblendung der Jugendbekannten Vortheil zu ziehen. Wo ist denn noch ein unverfälschtes menschliches Gefühl zu finden?“

Da stand Bartenstein vor ihr. „Es ist unendlich öde heute,“ sagte er mit müder Stimme.

„Nicht anders als sonst,“ entgegnete Melanie. „Die Jugend scheint vergnügt zu sein.“ Sie deutete auf eine tiefere Terrassenstufe, wo Kronheim ein Croquetspiel arrangirte.

„Ja, wer daran noch Freude findet!“ antwortete er; „aber ein kluges fesselndes Wort habe ich heute noch nicht gehört.“

Sie sah ihn sanft an. „Sie sind verwöhnt. Ein Mädchen wie Ereme ist freilich nicht unter den lachenden rosigen Kindern.“

Seine Augen flammten zornig auf. „Auch keine, die es wie sie versteht, einen Mann bis in die Seele zu kränken, vor seinen Augen das mit Füßen zu treten, was ihm das Heiligste ist. Und ich habe sie doch so gern gehabt!“ stöhnte er, indem er den Kopf sinken ließ.

„Also nur gern gehabt?“ fragte Melanie.

Er wurde roth und wendete das Gesicht ab.

Sie neigte, als werde ihr eine lange Gedankenfolge bestätigt, das Haupt. „Gern gehabt nennen Sie es,“ sprach sie, „weil Sie nicht sagen wollen: ich habe sie geliebt. Es gilt ja für lächerlich bei unseren jungen Herren, einer edlen Empfindung edlen Ausdruck zu geben. Sie rechnen es sich als Verdienst an, das, was höheren Flug nimmt, in den Staub der Alltäglichkeit zu ziehen. Diesen Ton haben Sie auch Ereme gegenüber angeschlagen und dadurch jede Verständigung mit ihr von Anfang an unmöglich gemacht. Statt einzusehen, daß, um eine Ereme zu gewinnen, auch ein tüchtiger Mann seine besten und edelsten Eigenschaften einsetzen muß, haben Sie sich viel oberflächlicher gezeigt, als Sie sind. Sie sind ihr zuerst entgegen getreten wie einer Abenteurerin, und als Sie längst wußten, daß sie ein außergewöhnlich hochbegabtes Mädchen ist, haben Sie sie doch behandelt wie eine von den vielen jungen Damen der Gesellschaft, welche mit einem Bouquet und einem Ständchen zu erobern sind, die weibliche Würde darin suchen, nie ohne Ehrendame auszugehen, und es als höchste Weisheit erachten, Beleidigungen lieber mit lächelnder Miene hinzunehmen, als einen Eclat herbeizuführen. Es war natürlich, daß Ereme sich von einer solchen Behandlung verletzt fühlte, und Sie können sich nicht wundern, daß sie dem Spiele, welches ihrer ernsten Natur frivol erscheinen mußte, ein strenges Ende gemacht hat.“

Er ließ sich geduldig den Text lesen. Jetzt sah er sie vorwurfsvoll an. „Sie muß doch herausgefühlt haben,“ murmelte er, „daß hinter der Neckerei ein tiefer ehrlicher Ernst stand.“

„Glaubten Sie denn zu fühlen, daß hinter Ereme’s Widerstand doch eine Sympathie für Sie sich barg?“ fragte Melanie, theilnahmsvoll in die schönen bewegten Züge blickend.

Eine lichte Röthe stieg ihm bis unter die Augen.

„Ja,“ rief er mit schmerzbebender Stimme. „Ich hatte stets das Gefühl, wenn wir uns begegneten, daß auch für sie Niemand auf der Welt war, als ich. Sie antwortete auf jeden Gedanken, jede Handlung, wenn auch abweisend. Wie hätte ich denken können, daß sie einem gleichgültigen oder gar ihr widerwärtigen Menschen bis auf jeden Blick folgen würde, um sofort darauf zu reagiren – zum Donnerwetter!“ schloß er in heller Verzweiflung.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_703.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)
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