Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1884) 718.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Hände. Uebergeben wir sie der Vergessenheit. Gute Nacht.“ Sie überließ die Tante ihrem Entsetzen darüber, daß eine herunter gefallene Masche vergessen werden sollte, und zog sich in ihr Schlafgemach zurück.

Heute beunruhigte sie das Bild des zürnenden Mannes nicht. Statt dessen sah sie Elsa, wie sie ihr einmal bei einem Besuch aus der Küche entgegengekommen war, gleich einer kleinen Hausfrau in der weißen Schürze, die auf der Rückseite des blauen Kleides große Schleifen schlossen, mit einem Quirl in der Hand.

Und wunderbar! Diese Erscheinung quälte sie noch viel mehr als die vorige.

Am andern Tag trat Ereme’s Stimmung in ein neues Stadium. So erhaben auch ihre Weltanschauung war, sie empfand doch wie alle jungen Mädchen. Wenn sie ihren Kopf durchgesetzt haben, befällt sie eine ängstliche Neugierde, die Folgen ihrer Handlungsweise kennen zu lernen.

Wie eine Erlösung kam ihr der Gedanke, zu Melanie zu gehen. Die hatte gewiß das Fest im Casino besucht.

Es war wirklich nicht nur Einbildung von Ereme, daß die Welt anders aussah seit ein paar Tagen. Verändert trat ihr Alles entgegen.

Die jungen ihr begegnenden Officiere, die sonst mit so viel Zuvorkommenheit gegrüßt hatten, blinzelten sie von Weitem mit zugekniffenen Augen an, als wüßten sie nicht, wer sie sei, und erhoben dann nur lässig die Hände zum Gruß.

In der Promenade flog der Wagen des Bankiers vorüber. Miß Smith starrte sie nicht mehr wie früher mit mißgünstigem Staunen an. Ihre ganze Aufmerksamkeit war von Kronheim in Anspruch genommen, der ihr gegenüber saß und durch die Vertraulichkeit, mit der er ihren Schirm für sie entfaltete, bewies, daß er noch vor dem Ausrücken zum Manöver ein festes Recht auf die blaßblonde Dame und ihre Millionen erworben hatte.

Ereme erreichte ihren Zweck, sich vertraulich mit Melanie auszusprechen, nicht. Sie fand schon Besuch vor.

Die alte Pröbstin, eine kleine vom Alter gebeugte Dame mit harten hochmüthigen Zügen, die aus Altersschwäche mit dem Kopfe wackelte, saß im Sopha. Ihr gegenüber der Oberst mit einem rothen Gesicht, das noch eine Schattirung dunkler sich färbte, als Ereme eintrat. Er grüßte sie wie eine gänzlich Fremde.

Melanie war sichtbar erschrocken über das Zusammentreffen und drückte ihr die Hand wie bei einer Condolenz.

Nur Darling empfing sie freudig, indem er sein blauseidenes Kissen verließ und, mit seinem Schweifchen wedelnd, ihr entgegen ging.

Die Pröbstin nahm den Oberst gleich wieder in Anspruch und half so über die erste Verwirrung hinweg. „Vier Herren, die sechszehn Ahnen haben,“ sprach sie, brauchen wir zu der Aufschwörung einer neuen Stiftsdame. Sie müssen die sechszehn Ahnen derselben bezeugen. Nun ist der alte Major von Ebra gestorben. Udo von Ebra, ein Zeitgenosse von mir. Habe ich Ihnen erzählt, wie er 1823 Officier wurde? Das war höchst amüsant. Ich habe es mit erlebt. Ich that damals Dienst als Hofdame der hochseligen Herzogin. Er war das enfant gâté bei Hofe. Eigentlich sollte er die diplomatische Carrière machen; aber er hatte nach alter Weise studirt, und man examinirte ihn auf moderne demagogische Weise. Eh, er bestand nicht. Da half ihm die Herzogin in ihrer feinen capriciösen Art. Beim Thee behauptete sie vis-à-vis ihrem Gemahl, daß man auch eine Sonnenblume im Haare tragen könne. Und da er sie auslachte, versprach sie es zu thun. Dafür mußte er sein Wort geben, wenn ihm die extravagante Coiffure gefiel, Herrn von Ebra zum Officier zu ernennen. Der joviale Herr willigte lachend ein. Am nächsten Theaterabend erschien die Herzogin und trug auf der Frisur eine Rosette von schwarzen Spitzen, in deren Mitte die Sonnenrose lag. Sie sah superbe aus und hatte gewonnen. Herr von Ebra wurde Officier.“

„Aber gnädigste Frau,“ wollte der Oberst, dem vom Anhören dieser Widersinnigkeiten die Perlen auf die Stirn getreten waren, sie unterbrechen.

Sie wehrte mit der Hand. „Revenons à nos moutons! Haben Sie nicht einen Bartenstein unter den Officieren? Das ist Uradel. Es kommt nur darauf an, ob die Stammtafel rein ist.“

„Der Stamm ist rein, nur die Tafel zeigt kleine Unregelmäßigkeiten,“ durchbrach der Oberst ihren Redefluß. „Im Bauernkrieg hat ein Bartenstein ein Landmädchen geheirathet, das mit Lebensgefahr Hülfe für ihn gegen die stürmenden Haufen herbeirief, und zu den Zeiten des siebenjährigen Krieges hat ein solcher mit einer Pfarrerstochter ein Stück aufgeführt wie ,Leonore‘, nur mit glücklichem Ausgang.“

„Oh, oh,“ machte die Pröbstin, als habe sie sich an eine Ecke gestoßen. „Dann ist kein Gedanke daran, daß wir ihn zur Aufschwörung zulassen können.“

Der Oberst wurde bläulich im Gesicht. „Gnädigste Frau, jede Dame müßte es sich zur Ehre schätzen, wenn Bartenstein für sie nach irgend einer Seite hin mit seinem Wort eintreten wollte. Einen vornehmeren Charakter, ein braveres Herz, einen helleren Kopf finden Sie in der ganzen Welt nicht. Und was für ein Officier ist er! Der geborne Führer im Kampf, tollkühn in der Attake, dabei voll Geistesgegenwart, Ruhe, Entschlossenheit, nie kriegsmüde und genügsam wie der ärmste Soldat. Ich bin überzeugt, daß ihm eine große Carrière offen steht. Und ich fann es ihm nicht verdenken, daß er vor allen Dingen wieder aus diesem kleinen Nest hinaus will, wo ihn die Engherzigkeit zur Verzweiflung treibt.“

Er hatte, während er sprach, Ereme fürchterliche Augen gemacht, und diese auch jedes Wort wie einen Dolchstich empfunden.

Aber die Pröbstin meinte, daß die ganze Rede nur an sie gerichtet sei. Sie begegnete derselben, wie es bei Hofe Sitte war, indem sie vornehm jedes Echauffement als nicht salonfähig zurückwies. „Ich hatte nicht die Intention,“ erwiderte sie, „mich über die Meriten dieses Herrn von Bartenstein unterrichten zu lassen, für den ich mich durchaus nicht interessire; aber“ und sie hob die Krücke empor, wie eine Wahrsagerin den Zauberstab, und sprach feierlich: „Denken Sie an mich. Wenn den Zuständen, in welchen wir jetzt leben, nicht bald ein Ende gemacht wird, dann wird der Tag kommen, an dem nicht vier Cavaliere mehr zu finden sind, welche eine Ahnentafel beschwören können.“

Der Oberst fuhr von seinem Stuhle empor. „Auf Wiedersehen, meine Gnädigste, nach dem Manöver,“ sagte er zu Melanie. Und mit einem malitiösen Lächeln fuhr er fort: „Uebermorgen rücken wir aus der Pyramide, Greifenberg geheißen, aus und wünschen den – Bewohnern derselben, welche allerdings gleich den Mumien kostbare Gewürze statt eines Herzens in der Brust zu tragen scheinen, angenehme Ruhe. Aber in drei Wochen kommen wir wieder und werden schon nach und nach frische Luft in die Grabkammern bringen.“ Er verbeugte sich kurz und stramm gegen die Pröbstin und Ereme und klirrte fort.

Ereme saß ganz niedergeschmettert in ihrem Fauteuil. War es denn möglich, daß sie als Parteigenossin der vorurtheilsvollen beschränkten alten Dame aufgefaßt werden konnte? Ja, er hatte sie beide unter die Mumien gerechnet; es ließ sich nichts daran ändern, und das Schlimmste war: der Hieb hatte gesessen. Fühlte sie sich nicht auch gleich einer Mumie eingeschnürt, eingemauert, von todten Steinen und tiefsinnigem Schriftwerk umgeben?

Die Pröbstin fauchte: „Ein Cavalier wie ein Revolver.“

Während sie, geleitet von Melanie, fortging, sprach sie vertraulich zu ihr: „Dieser gute Oberst war aigrirt, daß wir ihn nicht zur Aufschwörung verlangten. Aber das verbietet sich von selbst. Sein Urgroßvater hat von der Pike auf gedient und ist von Friedrich dem Zweiten nobilitirt worden. Daher die brüsken Allüren. Der Salon ist ihm nichts Besseres als die Manège.“

Sie krückte fort.

Melanie drückte Ereme die Hand. „Es thut mir leid, daß Sie diese Scene erleben mußten. Aber Sie dürfen die barsche Art des Oberst nicht übelnehmen. Im Grunde ist es doch schmeichelhaft, daß das Regiment so ungern den Gedanken aufgiebt, Sie zu seinen Damen rechnen zu dürfen. Auch mir ist es schmerzlich, daß Sie Bartenstein’s Gefühle nicht erwidern. Wenn Ihre Neigung ihm entgegen gekommen wäre, hätte sich wohl die Verschiedenheit Ihrer Anschauungen ausgleichen lassen. Er fühlt sich tief unglücklich; denn er hat Sie sehr geliebt.“

Es war das erste Mal, daß offen vor Ereme ausgesprochen wurde, was nur als Ahnung in ihr gedämmert hatte.

Sie stand wie geblendet, fassungslos, wortlos vor Melanie. Mit großen hülfesuchenden Augen sah sie die Freundin an. Aber

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_718.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)
OSZAR »