Verschiedene: Die Gartenlaube (1884) | |
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Die Tulpenmanie in Holland.
Ueber die Tulpenmanie, welche im 17. Jahrhundert das holländische Volk ergriff, ist viel gesagt und geschrieben worden. Allein je mehr Geschichten man davon erzählte, desto weniger beschäftigte man sich mit ihrer Geschichte. Nun will ich mir durchaus nicht anmaßen, Ursache und Wirkung jener merkwürdigen Episode aus dem Völkerleben erschöpfend darlegen zu wollen. Immerhin hoffe ich, über den Gang der Ereignisse einiges Neue und eben das zu sagen, was zur Erklärung des Unerklärlichen beiträgt. Denn wohl unerklärlich muß auf den ersten Blick jene Tollheit bei einem so hervorragend wirthschaftlichen Volke wie das holländische erscheinen. Der Wirthschaftlichkeit, dieser „Tochter der Klugheit, Schwester der Mäßigkeit und Mutter der Freiheit“, verdankte ja Holland seine materielle Macht. Die republikanische Regierungsform schien Adam Smith die Hauptstütze der Größe Hollands zu sein, aber sie war selbst hinwieder die Frucht der volkswirthschaftlichen Ueberlegenheit der Holländer über die Spanier. Wirthschaftliche Interessen hauptsächlich bewogen die sieben nördlichen Provinzen der Niederlande, sich von Spanien loszuringen und als eine holländische Nation aufzuthun. Kriegstüchtig und reich, errangen diese „beidlebigen“ Niederländer, wie sie Goethe im Hinblicke auf ihr Heimathsrecht zu Wasser und zu Lande nennt, ungeheure Erfolge. Ihre Flagge wehte auf allen Meeren, die ostindische Compagnie beherrschte die reichsten Länder der Welt, die westindische wetteiferte wenigstens eine Zeit lang glücklich mit ihrer Nebenbuhlerin, die Union hatte, wie man zu sagen pflegte, mehr Schiffe als Häuser, die Bank von Amsterdam war die erste Geldmacht der Welt. Dabei blieb der Holländer seiner Natur getreu: äußerst sparsam. „Es will den Holländern nicht in den Kopf,“ schrieb Temple, „daß der regelmäßige Belauf der Ausgaben dem Einkommen gleich sein sollte, und wo dies ja der Fall wäre, glauben sie ein verlornes Jahr gelebt zu haben.“ Roscher führt eine Stelle aus „Richesse de Hollande“ an, die Schilderung eines reichen Dorfes bei Amsterdam, wo ein Mann mit 120,000 Gulden Einkommen jährlich vielleicht nur 1000 Gulden für sich ausgiebt.
Wie aber stimmt mit allem Dem die Tulpennarrheit überein?!
Ich werde zeigen, daß der Wahnsinn „doch Methode“ hatte, oder um sachlicher zu sprechen, daß das Uebel in einem volkswirthschaftlichen Vorzuge wurzelte, in der Sitte nämlich, jede Handelswaare so viel wie möglich als Grundlage von Umlaufsmitteln zu benutzen, welchen Brauch ebenso wie die unbegrenzte Arbeitstheilung die Holländer vor den Engländern voraus hatten.
Es ist eine Erzählung in zwei Capiteln. Im ersten spielt der Blumist und seine Tulpe, im zweiten der Speculant die Hauptrolle.
Aus Martin Zeiller’s Beschreibung und verschiedenen Reiseberichten wissen wir, daß in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Gartenbau und Landwirthschaft in Holland erfreulich entwickelt waren. Wo immer der Boden es gestattete, wechselten fette Weiden mit Saatfeldern; die Straßen waren mit Alleen von Obstbäumen oder Linden besäumt, ein Garten schloß sich an den andern an.
Der Holländer verkannte bei seinem ebenso gesunden wie praktischen Sinne nicht die Vortheile und Reize des Landlebens. Der Kaufherr, der den Tag angestrengter Arbeit widmen mußte, wollte doch Abends eine Stätte haben, wo er frische Luft schöpfen, behaglich spazieren wandeln, ungestört seiner Familie leben konnte; er baute sich also in unmittelbarer Nähe der Stadt ein Landhaus, und dabei durfte der Lustgarten nicht fehlen. Da in den meisten Fällen nur ein enger Raum gegeben war, verbot sich Abwechselung der landschaftlichen Scenerie durch zwanglose Zusammensetzung von Wiesen, Buschwerk und Hain, Wasser und Höhen von selbst.
Dafür bildete sich ein eigenthümlicher holländischer Gartenstil aus, dem zwar auch wie dem französischen Symmetrie des Plans als Gesetz, bunteste Farbenpracht eines Blumenflors aber als höchster Reiz galt. Wenn der französische Gartenkünstler auch schon vor Le Nôtre’s epochemachenden Schöpfungen wie ein Architekt wirkte und der englische Geschmack später den Gärtner zum Landschaftsmaler machte, so war der Holländer dem Mosaikbildner vergleichbar, der durch Reinheit, Helle und Feuer harmonisch gemischter Farben bestrickende Wirkung erzielt. In den zierlichen Gärtchen der „hochmögenden Mynheers“ kamen zuerst die sanften Tinten einer Hyacinthe, die feinen Schattirungen der Nelke, die Gluth der Rose zur Geltung.
Es ist gewiß kein Zufall, daß sich gerade in Holland und in der Zeit, da die Blumenzucht eine so hohe Stufe erreichte, auch eine echt künstlerische Blumenmalerei entwickelte, während sie in allen anderen Ländern und Zeiten nur decorativen Zwecken dienstbar gewesen war. Hier, wo eine reiche Pflanzenwelt mannigfaltiges Material bot, wurde nicht blos nach getreuer Nachahmung der Natur getrachtet, sondern auch sinnige Anordnung, Farbenharmonie, kurz, eine ästhetisch geläuterte Darstellung angestrebt. Hier legte ein Jan Breughel, der „Sammetbreughel“, den Grund zu freierer Kunstentfaltung, schuf David de Heem Blumenportraits von unübertroffener natürlicher Frische, erreichte Huysum einen Glanz der Farbe, welchen Jahrhunderte nicht zu trüben vermochten, ließ Rachel Ruysch Blumen auf der Leinwand erblühen, deren Lob begeistert die Dichter sangen.
Hier strebte man auch bald erfolgreich, der Natur durch künstliche Mittel neue Bahnen zu weisen, sodaß der ursprüngliche Typus der Art oft gar nicht mehr zu erkennen war; für die sogenannte „Veredelung“ der Flora war Holland gleichsam die classische Scene. Wenn dadurch einerseits manche schätzbare Neuerung erzielt wurde, so lag andererseits die Gefahr nahe, daß die Kunst in Künstelei ausarte und schließlich nicht mehr die Anmuth und Lieblichkeit, sondern die Curiosität den Werth bestimme. Guter Geschmack ist ohnehin nicht allzu häufig ein Begleiter des Reichthums; auf diese Wahrnehmung gründet sich Falconer’s Behauptung, bei Handelsvölkern sei am seltensten die Fähigkeit ausgebildet, die Schönheit zu erkennen. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch in Holland da und dort die Begierde, mit dem durch Handelsglück erzeugten Ueberfluß zu prunken, zu nichtigen Schaustellungen verführte. So sah man z. B. in einem Garten zu Broek einen mit Flaschen und Gläsern besetzten Tisch, ein großes Kriegsschiff, eine Hasenjagd u. dergl. m., Alles aus Buchs geschnitten. Eine Geschmacklosigkeit war die Anpflanzung von weit ausgedehnten Blumenbeeten, deren Farbenfülle das Menschenauge nur verwirren, nicht fesseln konnte. Auch die Vorliebe der Holländer für Einleitung von Gräben und Teichen mit stehendem Wasser tadelt Hirschfeld in seiner Theorie der Gartenkunst; die Gothen, spottet er, hätten nicht barbarischer zu Werke gehen können.
Keine von diesen Verirrungen stand jedoch mit der anmuthigen Kunst in so unversöhnlichem Widerstreit, wie der Mißbrauch, die holden Geschenke des Frühlings als Objecte der Speculation in den Handel zu bringen.
Der Zeitraum, den wir nun zu betrachten haben, gehört nicht mehr der Blüthezeit der holländischen Handelsgeschichte an. Wie durch das Aufstreben des absolutistischen Militärstaates Frankreich die politische Bedeutung, so wurde der Handel der Niederlande durch die siegreiche Concurrenz Englands schwer geschädigt, und ein noch gefährlicherer Feind war der eigene Materialismus. Freilich war im kleinen Holland noch immer mehr Capital aufgestapelt, als in irgend einem großen Reiche Europas, allein gerade dieses Uebermaß verleitete zu einseitiger Begünstigung des Geldhandels und damit ebenso zu Habgier wie zu kleinlichem Krämersinn. Im Privatleben und in der Regierungspolitik traten trübe Symptome zu Tage. In vielen Kreisen überwucherten Gewinnsucht und Speculationslust die alte, sprüchwörtlich gewordene Solidität, leichtfertige und betrügerische Bankerotte waren an der Tagesordnung.
„Fixen“, das heißt Betrieb von Differenzgeschäften, die gar nicht auf wirkliche Lieferung von Waaren und Effecten berechnet sind, sondern wobei nur der Betrag der in Folge des Schwankens der Preise erwachsenden Differenz bezahlt wird, war schon nach römischem Recht verboten. Auch die Hansa untersagte auf’s Strengste dergleichen volkswirthschaftlich unfruchtbare Speculationen, so durften z. B. die Eigenthümer der auf Häringsfang ausziehenden Schiffe nicht den erhofften Gewinn verkaufen, durfte die Ernte nicht auf dem Halm veräußert werden etc. In Holland dachte
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_720.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2024)