Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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führt, und deren Puls er gleichzeitig unter dem Drucke seiner feinfühligen Finger prüft, in dem Momente, wenn sie sich dem Gegenstande, der versteckt worden ist, oder einer bestimmten Person nähern, in eine gewisse Erregung gerathen, wodurch der Gedankenleser auf den richtigen Weg geleitet wird. Auf diese Weise gelang es z. B. Bellini, im großen Saale des Saalbaues zu Frankfurt am Main unter Hunderten von anwesenden Personen eine Dame zu bezeichnen, auf welche vorher, als Bellini hinausgegangen, von einer dem Publikum bekannten Persönlichkeit als die zu Suchende gedeutet worden war. Weitere Experimente, wie das Nadelsuchen, das Ziffernrathen, das Hervorrufen von Gehörstäuschungen (künstliche Hallucinationen), gelangen ebenfalls vortrefflich.
Das Hauptexperiment, welches seit Jahren den Spiritisten den Kopf verdreht, ist jenes im ersten Momente verblüffende und fast unerklärlich erscheinende Kunststück, daß sich das Medium mit Händen und Füßen an einen Stuhl anbinden und ansiegeln läßt, hierauf hinter einer spanischen Wand oder aus einem oben offenen Schranke im Momente, nachdem der Schrank geschlossen, eine Anzahl von Gegenständen herauswirft, und stets, wenn auf Kommando der Schrank geöffnet wird, noch wie vorher fest gebunden und angesiegelt auf dem Stuhle gefunden wird. Bellini führte dieses Experiment in der Weise aus, wie es in unseren Abbildungen 1 bis 3 dargestellt ist. In der ersten Figur sehen wir die auf den Rücken des Experimentators festgebundenen Hände; die Knoten der Verschnürungen waren versiegelt und mit dem Petschafte eines Anwesenden, von welchem man überzeugt war, daß er mit dem Experimentator in keinerlei Verbindung stehe, verschlossen worden. Nachdem dieses geschehen, setzte sich der Experimentator auf einen Stuhl. Es wurde derselbe, wie in unserer zweiten Figur, unter Benutzung einer Photographie genau nach der Natur dargestellt, mit einer Anzahl von Stricken festgebunden und in oben geschilderter Weise in einen mit einem Vorhange versehenen großen Schrank hineingeschoben; sofort erklangen aus dem Schranke heraus musikalische Instrumente; Ziehharmonika, Trompete, Flöte wurden in den verschiedensten Weisen im Schranke gespielt und eine große Anzahl von Gegenständen aus demselben durch die obere Oeffnung in das Publikum geworfen. Die „echten“ Medien machten früher dieses Kunststück nur in halb verdunkeltem Raume und wußten den gläubigen Spiritisten die Ueberzeugung beizubringen, daß es sich hier nur um eine Beihilfe von Geistern handeln könne.
Wie wir aus der dritten unserer Abbildungen ersehen, hat sich Bellini, und zwar mit Leichtigkeit, aus seinen Fesseln befreit. Es geschieht dies, wie er selbst erklärte, in einfacher Weise dadurch, daß er während des Bindens der Hände das betreffende Band unter Anspannung seiner Armmuskulatur, welche dadurch stark anschwillt, doppelt um den Puls schlingen läßt. In dem Schranke oder hinter der spanischen Wand läßt er die angespannte Muskulatur erschlaffen, lockert die elastische Bandage und zieht eine der Schlingen auf, um die Hände in geschicktester Weise von ihrer Umhüllung zu befreien.
Durch große Uebung hat Bellini es dazu gebracht, die Hand durch Ineinanderlegen von kleinem Finger und Daumen sehr schmal zusammen zu drücken und durch die aufgezogene Doppelschlinge, welche er auf unserem Bilde, Fig. 3, frei in der Hand hält, sich herauszuwinden. Sind die Hände frei, so ist das Herausschlüpfen aus den übrigen Fesseln ein Leichtes. War, womit Bellini, wenn er zu fest gebunden, sich aushilft, ein Theil der Bande von ihm zerschnitten worden, so verstand es der Zauberkünstler durch eine sehr geschickte Umschlingung die Schnittränder der Schnüre zu verbergen. Bevor der Vorhang aufgezogen wird, schlüpft er rasch wieder in die Schlingen hinein, so daß das begutachtende Auge der Späher die vorgegangenen Manipulationen unmöglich zu bemerken im Stande ist.
In ganz ähnlicher Weise wird das bekannte Experiment mit dem Zaubersacke ausgeführt. Bellini läßt sich in einen vorher vom Publikum untersuchten Sack einbinden, dessen obere Oeffnung von verschiedenen der Anwesenden gleichzeitig verschnürt und versiegelt wurde; trotzdem gelang es ihm aus dem Sacke herauszukommen, indem ganz ähnlich, wie dieses bei dem Herausschlüpfen der Hände aus den verknoteten Verbänden geschieht, der Taschenspielkünstler einzelne Schlingen der zugebundenen Schnüre in geschickter Weise löst und sie später, nachdem er den Sack verlassen hat, wieder an ihre ursprüngliche Stelle schiebt. Trotz der Einfachheit der Darstellung, gehört immerhin sehr feines Gefühl und eine bedeutende Fingerfertigkeit dazu, solche Kunststücke zur Ausführung zu bringen, und Manchem, der die Experimente gesehen und glaubt, er könne sie nachahmen, wird trotzdem die Ausführung schwer gelingen.
Es ist immerhin dankens- und lobenswerth, daß dieser Experimentator seine Kunst dazu benutzt, um das leider viele Kreise der Bevölkerung in allen civilisirten Staaten benagende Uebel des Spiritismus an der Wurzel anzufassen und in einer Weise zu bekämpfen, welche neben angenehmer Unterhaltung auch einige Belehrung über die schwierigsten Taschenspielerkunststücke spendet.
St.
Die Nihilisten.
In den Tagen vom 17. bis zum 21. Juli 1879 vollzog auf dem „Kongreß“ zu Lipezk-Woronesch der Nihilismus seine Schwenkung von der friedlich-socialistischen Propaganda zum systematisch-mörderischen „Terror“. Nach gehaltenem Rathschlag, allwobei die beiden Nihilisten Alexei Michailow und Andrei Scheljabow und die beiden Nihilistinnen Sofia Perowskaja und Wera Filippowa-Figner das leitende und entscheidende Wort hatten, organisirte der „Terrorismus“ sich förmlich, erklärte die aus einer Petersburger Geheimpresse hervorgehende „Narodnaja Wolja“ (Volkswille) zu seinem „officiellen“ Parteiorgan und bestellte mittels Wahl aus seiner Mitte ein „Exekutivkomité“, welches der zarischen Regierung den Krieg erklären und machen sollte.
Thatsächlich hatten die oberste Leitung des Exekutivkomité und durch dieses der ganzen Partei Michailow und Scheljabow in Gemeinschaft mit Sofia Perowskaja.
Das aus den Berathungen von Lipezk-Woronesch hervorgegangene Parteiprogramm stellte als Forderungen des „Volkswillens“ unter andern diese auf: – Allgemeines Wahlrecht ohne jede Einschränkung; Glaubens-, Rede-, Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit; permanente Volksvertretung; Abschaffung des stehenden Heeres; volle Selbständigkeit der Gemeinden; Ueberlassung alles Grundeigenthums an die Bauern, sowie sämmtlicher Fabriken und Werkstätten an die Arbeiter.
Die Verwirklichung dieses Programms sollte angestrebt und erreicht werden mittels der Organisirung eines allgemeinen Umsturzes,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_044.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2024)