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Seite:Die Gartenlaube (1885) 050.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

von breiter Brust und mächtigem Gliederbau, und konnte als schön gelten, hätten nicht Pockennarben sein Gesicht verunziert. Jedenfalls war Goapäna nicht nur der kräftigste und am besten gebaute Mann, den ich in der Südsee gesehen, sondern in ihm erblickte ich zum ersten Mal einen Häuptling, wie man ihn sich gewöhnlich vorstellt. Seine aufrechte Haltung, mit hochgehobenem Kopfe, sein elastischer, graziöser, fast theatralischer Gang hatten etwas ungemein Imponirendes. Eine bessere Feder als die meine würde in diesem Manne selbst den Helden der letzten Mohikaner in den Schatten stellen, an den mich die indianerhafte Gesichtsbildung, mit der gekrümmten Nase und den blitzend schwarzen Augen lebhaft erinnerte. Sein Ausputz war geringer als der jedes gewöhnlichen Papua-Stutzers, aber die beiden langen Wedel aus Papageienfedern auf seinem Vorderkopfe und die Kette aus Muschelringen mit einem mächtigen, fast zirkelrunden Schweinshauer auf der Brust vollendeten den Häuptling vom Scheitel bis zur Sohle.

Wir gingen nach seinem Dorfe, und Goapäna schulterte meine Vogelflinte, mit der ich zu seiner großen Ueberraschung einen Milan aus ziemlicher Höhe im Fluge herabschoß. Er forderte mich nun auf, mehr Vögel zu schießen, selbst wenn sie mehrere hundert Schritt entfernt waren, und wollte es nicht einsehen, daß die Tragkraft einer Feuerwaffe ebenfalls ihre Grenze hat. Irgend ein Weißer hatte ihm aufgebunden, die Kugel reiche bis über die nächsten Berge, wie es überhaupt so häufig die falsche Art des Europäers Eingeborenen gegenüber ist, ihnen Wunderdinge vorzuflunkern.

Wir waren kaum eine halbe Stunde längs dem Strande hingegangen, als Goapäna links abbog, und nachdem wir eine niedrige Dünenkette überschritten, lag seine Residenz, Maupa, umrahmt von einem Kokospalmenwalde, vor uns. Der Anblick war überraschend, denn nirgends bisher hatte ich in der Südsee eine so große Ansiedelung Eingeborener gesehen. Das war kein Dorf mit im Gelaube versteckten, von einander entfernt stehenden Häusern, wie in Neu-Britannien, sondern diesen Häuserkomplex, Giebel an Giebel, Straßen bildend, konnte man eine Stadt nennen. Von Weitem gesehen erinnerte der Ort mit seinen hohen, spitzen, grasbedeckten Dächern gar sehr an gewisse Landstädtchen bei uns, und es fehlte nur ein alter wettergebräunter Kirchthurm, um das Bild zu vervollständigen. Freilich müßte man sich statt der Kokospalmen Kiefern oder Fichten, statt der Bananenplantagen Korn- oder Kartoffelfelder dazudenken. Wir waren eben in den Tropen, wie dies auch die Hitze von 28° R. bewies, und recht froh, in Goapäna’s Haus ein schattiges Unterkommen zu finden. Dasselbe unterschied sich übrigens weder durch Größe noch Ausschmückung von allen übrigen. Der Baustil in Aroma weicht in vielen Stücken von dem sonst in Neu-Guinea herrschenden ab und zeichnet sich besonders durch das hohe, spitzbogige Dach aus, dessen senkrechter Giebel an der Vorderfront höher ist als an der hinteren, sodaß die Dachfirste eingebogen verläuft. Dieses hohe Dach aus Riedgras oder Pandanusblatt ruht auf behauenen an zehn Fuß hohen Baumstämmen, die in etwa vier Fuß Höhe die Hausdiele tragen, zu der ein schräg angelehnter Baumstamm den Aufgang bildet. Dem Gebäude fehlen nur die Seitenwände, um es zu einem regelrechten Hause von etwa 30 Fuß Länge und 10 Fuß Breite zu machen, aber dieser offene luftige Raum entspricht dem Klima am besten. Die Diele besteht aus dicken, zwei Fuß breiten Planken, wie die Decke, welche zugleich die Diele des Bodens bildet. Die Deckplanken sind auf der Unterseite mit erhabener Schnitzarbeit, meist breite Sägezähne darstellend, versehen und müssen unendliche Mühe und Zeit gekostet haben, wenn man bedenkt, daß dieselben, wie das ganze Gebäude, nur mit Steinäxten hergestellt werden. Wer diese einfachen Werkzeuge bisher nur in Museen mit verächtlichen Augen angesehen, würde beim Anblick dieser kunstgerecht aufgebauten Häuser gewiß, wie ich, in Erstaunen ausbrechen und diesen sogenannten Wilden seine Bewunderung nicht versagen. Freilich haben sie Zeit, viel Zeit; Zeit ist noch nicht Geld bei ihnen, denn die Herstellung einer Planke erfordert allein mehrere Tage Arbeit, da ein großer Baumstamm nur zwei Planken liefert. Solcher Häuser zählt Maupa an 250, welche 1200 bis 1500 Menschen ein Obdach gewähren, wie es nicht alle bei uns daheim besitzen. Und in einem solchen Orte giebt es keinen Gendarm, keinen Steuereinnehmer, keinen Zöllner oder Exekutor, und es geht doch, ohne daß sich die Menschen einander todtschlagen und berauben. Denn Diebstahl muß sehr selten sein, da in den offenen Häusern Alles frei und offen umherhängt, auch die Lebensmittel; es giebt auch keine wirklich Armen.

Als ich mit Goapäna etwas näher bekannt wurde, entdeckte ich in ihm zu meiner Ueberraschung einen doppelten Kollegen. Er war nicht allein ein „lohiapata“ (großer Häuptling), wie ich mit meinem kolossalen, leider immer mehr dahinschmelzenden Reichthume (an Tabak nämlich) als solcher allenthalben in Neu-Guinea gelte, sondern er machte auch in Anthropologie. Zunächst mußte ich Hemdsärmel und Beinkleid aufstreifen, um die Weiße meiner Haut zu zeigen, die im Allgemeinen gefiel, dann untersuchte er mein Haar, ganz wie ich es mit den Kanaka zu thun pflege. Er tadelte meinen Bart, da die Schönheiten Maupas einen solchen abscheulich finden, und riß sich, seinen Vortrag illustrirend, den schwachen Nachwuchs von Haaren an seinem Körper aus. Auch für europäische Ethnographie interessirte sich Goapäna. Nicht aber so, daß er meine Kleider, Waffen u. dergl. begehrte – solche Gegenstände erschienen überflüssig und lästig – er war vollständig mit meinem Tabak zufrieden, von dem ich ihm zur Besiegelung des Freundesbundes eine Stange verehrte. Er fand „meinen“ Tabak natürlich ausgezeichnet, denn es ist bei den meisten Kanaka herrschende Ansicht, daß der weiße Mann Alles, was er mit sich führt, vom Gewehr bis zur Stecknadel selbst gemacht hat, wie der Farbige seine Speere, Netze etc. Leider mußte ich es ablehnen, die Friedenspfeife mit ihm zu rauchen, da der papuanische „Baubau“, wie dieses unumgänglich nöthige Rauchgeräth heißt, mir zu umständlich ist, – hier sogar es zu beschreiben. Auch reizte mich die Tabakshülle, ein dickes Blatt, oder vielmehr dessen Rauch nicht sonderlich.

Ich schickte mich zu einem Gange in die Stadt an und forderte Goapäna auf, mich zu begleiten. „Werden sie Dich auch todtschlagen,“ war der trostreiche Ausspruch, mit welchem er mir zögernd voranschritt. Freilich hatte Maupa schon Weiße in seinen Straßen gesehen, aber doch nur höchst selten, und so war es kein Wunder, daß wir bald von einer mehr und mehr wachsenden Menschenmenge umringt wurden, unter der sich wie allenthalben die liebe Jugend hervorthat. Wahrscheinlich machten sie allerlei schlechte Bemerkungen, vielleicht über meinen abgeschabten Filzhut, den struppigen rothen Bart etc., aber die Menge betrug sich doch sehr zurückhaltend. Wäre ich mit Goapäna in seinem Federbusche unter den Linden Berlins Arm in Arm einhergegangen, wie er mit mir in Maupa, so würde es wohl einiger Schutzleute bedurft haben.

Maupa besitzt einige ziemlich gerade Straßen, eine Menge Querstraßen und Gäßchen, in denen es reinlich aussieht. Namentlich gefiel es mir, die lieben Schweine hier meist sorglich eingezäunt zu finden. Wie es einem Anthropologen gebührt, hatte Goapäna auch eine Sammlung angefangen. Sie ist öffentlich, kostet nichts, weder Entrée noch Trinkgeld an Aufwärter, ist im Mittelpunkte der Stadt, stets geöffnet, entspricht also ganz den Anforderungen, welche wir an ein solches Institut stellen, und interessirte mich natürlich ganz besonders. Als wir auf dem Tanzplatze des Ortes, einem großen von Giebelfronten der Häuser fast ganz umrahmten Viereck, anlangten, erblickte ich eine aus Baumstämmen gebaute etwa 3 Fuß hohe Plattform mit einer Art Galgen, an welchem 19 Menschenschädel, zierlich mit Bändern aus Bast und Blättern geschmückt, aufgehangen waren. Das war Goapäna’s Museum, in dessen Besitz ich mich natürlich gern gesetzt hätte. Aber ich sah wohl, daß dies nicht anging, denn die Sammlung war Kommunaleigenthum, und mein ganzes Vermögen würde nicht ausgereicht haben, um all die Partner in Tabak zu befriedigen, selbst wenn dieselben in den Kauf gewilligt hätten. So begnügte ich mich, den schauerlich schönen Tanzplatz zu zeichnen, sehr zum Verdruß meines Sancho, eines schwarzen Burschen aus Neu-Britannien, dem beim Anblick der vielen Schädel doch nicht recht wohl war. „Von wem rühren diese Schädel her?“ fragte er mich, und ich erwiderte ihm tröstend: „Alle von weißen Männern; bald kommen wir an die Reihe!“ „Geschieht Dir schon recht, warum hast Du meine Muskete und Deinen Revolver zurückgelassen! Diese Kannibalen werden uns aufessen wie Hühner“, gab er zurück und mochte dabei an die Gebräuche seiner Heimath denken. Hier hatte ich ihn vor mehr als Jahresfrist selbst bei einem Kannibalenfeste getroffen, das ich für die „Gartenlaube“ beschrieb und zeichnete, welcher Beitrag, wie ich seither erfuhr,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_050.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
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