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Seite:Die Gartenlaube (1885) 052.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Guadalupe.
Erzählung von Clara Biller.


Es kommt wohl vor, daß das Samenkorn einer Blume auf einen Kehrichthaufen fällt, dort Nahrung findet, seine Blätter entfaltet und seinen Blüthenkelch der Sonne entgegenbreitet, gerade als ob es mitten in einem Garten und unter sorgfältiger Pflege aufgegangen wäre.

Auf einem solchen Kehrichthaufen der menschlichen Gesellschaft, ungepflegt und unbehütet, war die kleine Lu aufgewachsen. Wenn je ein Kind vom Geschick - wie man so sagt - stiefmütterlich behandelt worden war, so war sie es. Und doch war sie zur Blüthe gekommen, und doch lachte sie mit ihren jungen fröhlichen Augen der Sonne entgegen. Der alte José Mateos war ihr Vater! Gewohnheit macht Alles erträglich, auch einen solchen Vater. Und Lu, mit einem feinen Gefühl, das ihr wahrscheinlich von der verstorbenen Mutter angeerbt war - armes Ding! sie hatte die Mutter bei der Geburt verloren! - hatte die wenigen leidlichen Eigenschaften dieses Vaters aufzufinden gewußt, sie in das beste Licht gestellt und sich nicht nur an ihn gewöhnt - nein, ihn sogar lieben gelernt. Vielleicht hätte sie ihn nicht einmal gegen den Mustervater ihrer Freundin Concha vertauscht, welcher der erste Schneider in Segovia war, eine vornehme Kundschaft und ein schönes eigenes Haus besaß und seiner Tochter allen Willen that. Lu war nicht neidisch deswegen, aber sie hatte einen stolzen Charakter, und wenn Concha die Güte dieses zärtlichen Vaters allzusehr rühmte, so faßte sie es als eine Anklage gegen ihren eignen Vater auf und fand sich berufen, ihn zu vertheidigen.

„Mein Papa ist etwas rauh,“ sagte sie, „aber das ist natürlich, er ist auch kein Schneider, sondern ein Krieger. Er hat dem Vaterlande mit seinem Blute gedient, und das ist ein großes Verdienst. Das Vaterland hat ihn mit Undank belohnt, nun ist er verbittert. Wenn man ihn belohnt hätte, wie er es verdient, so würde er jetzt reich sein und mir auch so schönen Putz geben, wie Dir der Deine.“

So angesehen, erschien der alte Mateos wirklich nicht so schlimm. Aber Andere hatten freilich nicht die Augen der Tochter, und die bewiesen ganz klar, durch unzählige Beispiele, daß er ein roher Geselle sei und ein Trunkenbold, der längst im Elend untergegangen wäre, wenn ihm nicht ein Engel zur Seite stände in dieser Tochter. Er hatte Verschiedenes im Leben angefangen – unbegabt war er nicht – aber Alles so nachlässig betrieben, daß er auf keinen grünen Zweig gekommen war. Auch unter die Karlisten hatte er sich anwerben lassen, und das war die Karrière des „Kriegers“, auf die Lu so gern zu seiner Entschuldigung verwies. Ueberzeugung hatte ihn dorthin natürlich nicht getrieben. Er hatte gemeint, es gebe dort mit leichter Mühe etwas zu erbeuten. Statt aber etwas zu gewinnen, hatte er dabei noch etwas eingebüßt – nämlich drei Finger der rechten Hand. Der Verlust wäre für Jemand, der Arbeit, wenn auch nicht gerade für Schande, doch für das größte aller menschlichen Uebel hält, zu verschmerzen gewesen, wenn ihn die Karlisten für den „Eifer, den er ihrer heiligen Sache bewiesen“, wie er sich ausdrückte, nur belohnt hätten. Er erwartete, daß man ihn mit einer Pension entlassen würde, die ihm einen respektablen Müßiggang gestattete.

Aber die Karlisten bedurften ihres Geldes zu höheren Zwecken, als ihren Anhängern den Verlust von zerschossenen Gliedern zu vergolden. Man behielt Mateos drei Monate frei im Lazareth, stellte ihm beim Abgange ein Attest aus, das ihn zu denjenigen Diensten empfahl, bei denen die rechte Hand nicht in Betracht kommt, und – damit Punktum.

Mateos und seine kleine Tochter wären somit genöthigt gewesen, ihr Dasein bettelnd an den Stufen irgend einer Kirche zu fristen, wenn ein Parteigänger des Don Karlos, der in Segovia einen architektonisch berühmten alten Palast besaß, nicht zufällig von dem Invaliden gehört hätte. Man schickte ihm den Mateos zu, der seine kleine Tochter an der Hand hatte. Das Kind war

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_052.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2019)
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