Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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nicht schön, aber es hatte in den Augen etwas offenes, Theilnahme Erweckendes, das für sie einnahm. Das Mißtrauen, welches der Vater einflößte, verwandelte sich in Mitleid diesem kleinen Mädchen gegenüber. Die Stelle des Kastellans in jenem Palast war durch Todesfall frei geworden, und da Mateos sie trotz der fehlenden Finger verwalten zu können schien, erhielt er sie.
Das war ein großes Glück – aber merkwürdiger Weise übte ein viel geringeres, das ihm fast zu gleicher Zeit zufiel, einen ungleich nachhaltigeren Einfluß auf sein Schicksal.
Wie fast alle Spanier, denen eine höhere Bildung und die damit zusammenhängenden Genüsse versagt sind, war Mateos dem Lottospiel mit Leib und Seele ergeben. Sein Gönner hatte ihm auf sein kleines Gehalt hin einen Vorschuß zur Anschaffung des nöthigsten Hausrathes gemacht. Er aber fand es nur ganz selbstverständlich, daß eine Terne für die nächste Ziehung in das „Nöthigste“ mit eingeschlossen wurde. Das Los kam heraus und es wurden ihm hundert Pesos fuertes[1] in gutem vollwichtigen Golde ausgezahlt.
Der Gewinn dieser für ihn ganz ungewöhnlichen Summe und der Val de Peñas[2] mit dem er ihn am Abend in Gesellschaft einiger Kameraden feierte, berauschten ihn so, daß er sich zu einem sonderbaren Handel bereden ließ. Einer seiner früheren Kriegskameraden, dem das Schicksal keinen Gönner bescheert und der somit auf Selbsthilfe angewiesen war, hatte den Plan gefaßt, nach der Havana auszuwandern, dem Eldorado spanischer Proletarier. Der Plan war immer wieder verschoben worden, weil er keinen Thoren fand, der ihm das dazu nöthige Geld borgte. Peppe Canelo – so hieß der Auswanderer in spe – hoffte diesen jetzt in dem goldgesegneten Mateos endlich zu erblicken.
Als er sich in ein paar Gläsern Muth getrunken, kam er mit dem Vorschlage heraus, sein alter vielgeliebter Kriegskamerad – die Kameradschaft war natürlich auf die Karlisten zurückzuführen – solle den Gewinn doch bei ihm als Kapital anlegen. Alle „Schätze“, die er in der neuen Welt binnen zehn Jahren damit ganz unfehlbar erwerben würde, wolle er dann mit ihm theilen.
Das war im Grunde auch ein Lotteriespiel, und deshalb reizte es Mateos. Der Freund aber, sobald er nur merkte, daß er den Schimmer einer Hoffnung auf Gelingen habe, setzte seine ganze Beredsamkeit daran, um Mateos noch denselben Abend zur Einwilligung zu bringen. Der Wein und die Mittrinkenden halfen. Es kam wirklich so weit, daß man den Schreiber Domingo von gegenüber noch aus dem Bette holte, damit er das Schriftliche dabei besorge. Man hing dem Vertrage sogar noch eine Klausel an. Des Mateos kleine Tochter war gerade sieben Jahre alt. Peppe Canelo hatte einen Sohn von zwölf Jahren, der ihn nach der Havana begleiten sollte. Was war natürlicher, als sie zu verheirathen und den „großen Reichthum“, der mit jeder Flasche zunahm, so beisammen zu halten. In romanischen Ländern sind es ohnehin meist die Eltern, welche die Ehen der Kinder schließen. In zehn Jahren, wenn das „viele Gold“ anlangte, war das ja gerade die rechte Zeit – das beste Alter für die Beiden!
Papier ist geduldig. Daß die Anwesenden nicht ganz nüchtern waren, das mochten sie mit sich abmachen. Der Schreiber Domingo war selbst in einem Zustande, wo Nachsicht bequem ist. Die Väter hielten sich selig umschlungen, als sie unterzeichnet hatten.
Den andern Morgen, als der Rausch noch nicht ganz ausgeschlafen war, nahmen sie in der Kapelle der Jungfrau von Fuencisla das Abendmahl auf ihr Versprechen. Soldatenwort ist freilich an und für sich schon sehr bindend – Gotteswort aber ist ein Kitt noch für besondere Fälle; es schien, als ob Einer beim Andern dieses Bindemittel auch nicht für unnöthig hielte. Jeder verwahrte dann seine Abschrift, und so schieden sie nach einem Abschiedstrunke, welcher dem Mateos die nüchterne Auffassung der Sache einstweilen noch fern hielt. Die kam freilich früh genug – aber sie brachte den Auswanderer und sein Geld nicht wieder zurück. Reue, die täglich bitterer wurde, folgte nun. Der kurze Besitz des Goldes hatte den alten Kriegsmann mit einer unbezähmbaren Leidenschaft nach neuem Gewinn erfüllt. Er hatte eine glückliche Hand – das war ja erwiesen. Dieser Umstand hätte müssen ausgebeutet werden. Wehe, daß er selbst die Mittel fortgegeben, die ihm das leicht gemacht hätten! Was er von dem kleinen Gehalte nur erübrigen konnte, das er vierteljährlich nächst der freien Wohnung von seinem Gönner erhielt, das trug er zum nächsten Kollekteur. Erübrigte er nichts, so sah er, von wem er wohl am besten ein paar Pesetas leihen könne. Es finden sich immer Solche, die Einem, der „feste Einnahmen“ bezieht, gegen gute Zinsen einen kleinen Vorschuß machen. Jede neue Ziehung brachte aber nur neue Enttäuschungen, Tage des Zornes und der Verwünschung. Der Auswanderer ließ nicht einmal etwas von sich hören. Freilich – er selbst hatte schreiben nicht gelernt. aber gab’s nicht draußen in der neuen Welt Schreiber so gut wie in der alten? Und konnte er den jungen Burschen nicht anstellen, den er doch hier zu den Fratres in die Schule geschickt und dessen offenen Kopf er ihm gerühmt hatte? Es wäre wohl auch endlich an der Zeit gewesen, ihm einen Vorschuß von der Havana zu schicken, auf den Gewinn hin. Canelo wußte ja aus
eigener Erfahrung, wie Einem zu Muthe ist, der kein Geld im
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_053.jpg&oldid=- (Version vom 18.5.2019)