Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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schwärzliche Malerei der Brauenbogen und Wimpern, sogar ein rosiger
Anflug um die Nasenflügel sollten über das Alter des „weiblichen Devrient“
täuschen. Leider gestatteten ihre Gagen- und überhaupt wenig geordneten
pekuniären Verhältnisse nicht, auch in ihrer Toilette diesem Streben nach
Verjüngung in gewünschtem Maße gerecht zu werden. Dennoch erschien
Emilie stets möglichst elegant und auf der Probe nie ohne gewisse
phantastische schwarze Spitzenbehänge um Haupt und Wangen.
„Daß man die Haut am Hals und am Kinn nicht straff erhalten kann!“ seufzte sie in einem Anfall von Trauer über die Flucht der Jugend und Schönheit. „Das runzelt und wulstet da unterm Gesicht und redet vom Verwelken, wenn auch die Larve noch leidlich täuscht. Zudecken, zudecken! Es bleibt keine andere Rettung.“ Also Spitzenbehänge und Tüllwolken her, sobald der große modische Blendenhut von 1848 mit der hüllenden Schleife unterm Kinn abgelegt werden mußte.
Lieblich in der Erscheinung und hoffnungsvoll als Talent, war Elise, die achtzehnjährige Tochter Emiliens, für jugendlichste Liebhaberinnen engagirt. Man konnte es aus ihren Zügen lesen, daß sie die Enkeltochter des wunderbaren Mannes dort im Bilde sei, aber alle Schärfen und Ecken, die im Antlitz der Mutter noch markirt waren, verwandelten sich ins Holdweibliche bei Elisen.
Die begabte junge Schauspielerin wurde ungefähr zwei Jahre später nach Hamburg engagirt, gefiel sehr und erweckte die Hoffnung, der Liebling des Hamburger Publikums zu werden. Aber die Liebe trat in ihr blühendes Leben entscheidend ein, um sie der Bühne auf immer zu entführen und ihr ein freundliches Los an der Seite eines geachteten Privatmannes zu bereiten. Da befiel ein tückisches Nervenfieber die glückliche Braut und legte sie anstatt in die Arme des Gatten in die des Todes.
Emilie Höffert hatte außer der Tochter noch zwei Söhne, von denen ich nur einen, Louis, kennen lernte, der damals eine Schulanstalt Oldenburgs besuchte. Der junge Mensch besaß große Anlagen zum Zeichnen und einen scharfen Blick für die Auffassung alles Charakteristischen, besonders des Lächerlichen. Das führte ihn zum Karikiren, worin er in Anbetracht seiner Jugend Erstaunliches leistete. Die treffendsten Wahrnehmungen haschte er wie im Fluge. Mutter Höffert sagte nicht ohne Stolz: „Er hat doch was vom Großvater. Der hatte das Genie im ganzen Menschen, Louis hat’s in der Hand.“
Wie ich schon erwähnt, befand sich Frau Höffert nicht in günstigen Verhältnissen, dennoch machte sie unnütze und große Ausgaben; sie hatte etwas von der Liberalität und dem Mangel an Haushaltungskunst ihres Vaters geerbt, leider nur nicht die Mittel, um dem Zuge der Freigebigkeit nach Herzenslust zu folgen. Trotzdem sie immer seufzte: „Es reicht nicht, es reicht nicht zu,“ trotzdem die gute Elise von ihrer kleinen Gage Beiträge zur Wirthschaft und zum Schulgeld für den Bruder zahlte und sich in ihren Garderobebedürfnissen aufs Aeußerste beschränkte, war die Mutter nur gar zu gern gastfrei über ihr Können hinaus.
So saß ich denn eines Abends bei Rebhühnern und fett zubereiteten Karviolhäuptern im Höffert’schen Familienzimmer und aß mit der peinlichen Empfindung, daß meine Gastfreunde um des Souper willen vielleicht einige Tage darben mußten.
Als Frau Höffert bemerkte, wie ich von der Betrachtung des Portraits ihres berühmten Vaters kaum loszureißen war, begann sie von ihm und ihrem Familienleben in Berlin zu erzählen.
„Ich kam selten nach Haus,“ sagte sie, „befand mich wohler in der trefflichen Erziehungsanstalt, welcher mein Vater mich seit frühester Jugend übergeben hatte. Was sollte auch ein junges heranwachsendes Mädchen, ein halbes Kind, in dem ungeregelten wüsten Haushalt? Das Theater durfte ich nicht besuchen, mein Vater hatte es streng verboten. Er hoffte auf diese Art am sichersten eine etwa aufkeimende Neigung für den verführerischen Zauber der Bühnenwelt im Komödiantenkinde zu ersticken. Er wollte durchaus nicht, daß ich mich der Bühne widmete, und als ich endlich fest entschlossen war, diesen Schritt zu thun, da es ja in des Vaters Verhältnissen immer mehr rückwärts ging, die Schulden sich häuften, seine Gesundheit untergraben war, kam es zu einer entsetzlichen, Mark und Bein erschütternden Scene. Er flehte in den zärtlichsten Tönen, hielt mein Haupt mit seinen beiden Händen, die fieberheiß waren und krampfhaft zitterten: ‚Emilie, Emilie, geh’ nicht zum Theater, Du gehst in die Hölle. Thu’ mir’s nicht zu Leide, ich trage Leids genug. Emilie, ich ließ Dich was lernen, Du kannst Dir auf andere Art Dein Brot erwerben – ich Ungeheuer habe ja nichts für Dich gesammelt, wie ein guter Vater soll. Aber nur nicht zum Theater geh’n, nicht Komödiantin
werden, mein Kind! Es sieht lachend aus und dahinter lauern die Teufelsfratzen.‘ – Und ich ging doch! Aber was blieb mir auch anderes übrig, da ich nicht als Nähterin, Klavierlehrerin oder Haushälterin armselig durchs Leben schleichen mochte? Als der Vater starb – ach, wie früh, zu früh für die Kunst und für sein armes Kind – fanden sich nur zerrüttete Verhältnisse, Wucherschulden. Ich dankte Gott, daß mir dies Bild aus dem Untergange des ganzen Hauses gerettet worden war und noch einige kleine Andenken an meinen großen und doch so unglücklichen Vater.“ – –
Die Tochter des größten deutschen Schauspielers hatte am Theater wenig Rosen gepflückt, aber Dornen waren ihr reichlich geworden. Von ihrem Gatten erzählte sie nichts, und ich hatte nicht den Muth nach ihm zu fragen. Er war Schauspieler gewesen, aber wohl nicht talentirt genug, um einen Aufschwung zu guten gesicherten Stellungen nehmen zu können.
Als Louis, ihr jüngster Sohn, der begabte Karikaturist, einmal durchs Zimmer ging, in welchem wir uns befanden, und als ich die Aehnlichkeit des jungen Menschen mit dem Großvater hervorhob, besonders die tiefschwarzen glühenden Augen und das buschige, über die Stirn hereinwallende Haar, sagte Frau Höffert, die Hände faltend:
„Ach, mein Gott, und hat gerade dieses Kind mir Noth gemacht! Ein Wunder, daß es leben blieb und gedieh. Wir befanden uns an einem kleinen Theater, als Louis geboren wurde. Die ersten Liebhaberinnen des Dramas und der Tragödie waren damals mein Fach, ich mußte kaum acht Tage nach der Geburt des Knaben schon wieder als Maria Stuart auftreten. In den Zwischenakten wurde er hinter die Koulissen gebracht. Der kleine Kerl nahm nichts Anderes, als die Muttermilch, er wäre eher verdurstet. Oft sagte ich mir in kummervollen Nächten: Und das ist das Los der einzigen Tochter des großen weltberühmten Ludwig Devrient, über den sie schreiben, den sie feiern? Doch er hatte es mir voraus gesagt: Es sieht lachend aus, das Theater, und dahinter lauern die Teufelsfratzen.“
Dennoch fand Frau Höffert mit jener unerklärlichen Schnellkraft der Schauspielernatur nach den tragischsten Ausbrüchen des Schmerzes den Humor sogleich wieder. Louis wollte durchaus Seemann werden, die Mutter mochte ihn dem trügerischen Elemente nicht überlassen, hoffte auch, wenn er auf dem festen Lande bliebe, eine bessere Stütze für ihre alten Tage an dem talentvollen Sohne zu gewinnen.
Scherzend und zugleich drohend rief sie ihm zu, als er vom Heldenthume des Seefahrers schwärmte:
„Louis, Louis, denk’ an den fliegenden Holländer, das furchthare Seegespenst, und schreckt Dich Der nicht, so denk’ an das Tauende, das die Prosa zu dem poetischen Seeheldenthum liefert, und das den Rücken des armen geplagten Schiffsjungen nur zu oft blau färbt, ehe er an irgend welchen Aufschwung denken kann.“
Dennoch hat sich der Enkel des großen Künstlers den Wassergeistern mit Leib und Seele verschrieben. Als Emilie Höffert mich nach mehreren Jahren in Dresden einmal aufsuchte, klagte sie:
„Er ging zur See, ich weiß nicht, auf welchen Gewässern er jetzt schwimmt. Vielleicht liegt er schon auf dem Meeresgrunde gebettet. Der Andere ist Photograph in Rußland, wer weiß in welchem Winkel des Riesenreiches. Elise, meine schönste Hoffnung, ist todt. Mit dem Brautkranze im Haare sah ich sie auf der Bahre liegen, als ich kam, sie zum Trau-Altare zu geleiten. Welche Tragödie! Ich selbst bin als komische Alte – wahrlich, es ist kontisch, tragikomisch zum Weinen – mit einer winzigen Gage am Nesmüller’schen Sommertheater im Großen Garten hier bei Dresden angestellt. Bis zum Herbste heißt das. Wenn die Blätter fallen, falle auch ich, bin ohne Engagement. Das ist das Geschick der unmittelbaren Nachkommen des großen Ludwig Devrient. Ich muß lachen, wenn die Schriftsteller Theatergeschichten ersinnen, erfinden. Das sind Zerrbilder. Die Wirklichkeit ist und die Schauspieler sind so ganz anders, als in diesen Büchern. Wenn ich einmal wieder nach Dresden komme, bringe ich Ihnen meine interessantesten Briefe mit und was ich sonst aufgeschrieben habe über mein Schauspielerleben. Sie werden lachen, aber noch mehr weinen.“
Die Jahre vergingen, aber Emilie Höffert kam nicht wieder. Ihr berühmter Kousin, Emil Devrient, mein Kollege, den ich einmal nach ihr frug, schien unangenehm berührt durch die Erwähnung und sagte, indem er sich von mir abwandte, in elegischem Tone.
„Ach, lassen Sie das. Verschollen!“
Blätter und Blüthen.
Dank und Bitte. Aus den drei Instrumenten, „zwei noch ganz gute Tafelklaviere und ein Flügel“, welche Herr C. L. Glück (Hof-Pianofortefabrik zu Friedberg in Hessen) uns zuerst namentlich für arme Lehrerwittwen zur Verfügung stellte, sind nun sogar sechs geworden, und freudigster Dank hat sich für den edlen Mann angesammelt, der mit so wahrhafter Herzenslust des Wohlthuns seine werthvollen Gaben vertheilt. Wie wir bereits (in Nr. 27 des vorigen Jahrgangs) andeuteten, war ein Flügel für einen Lehrer in Schlesien bestimmt, um es ihm möglich zu machen, durch Privatunterrichtgeben seine Familie besser zu stellen. Er hat nun seinen Flügel, und wir hoffen, daß die gute Absicht auch in Erfüllung geht.
Ein Flügel kam ins Algäu zu einem Pfarrer, der nicht im Stande war, sich selbst nur das billigste Klavier anzuschaffen, und doch in seinen Kindern sieben Singvögelchen hat, zu denen ein Instrument gehörte. Die Antwort von dort lautet: „Von den sieben Singvögelein ist mittlerweile das älteste nach München entflogen aber der Storch hat die Zahl der Daheimgebliebenen wieder voll gemacht und sie Alle umlagerten gestern und umlagern heute noch das Wunderding, das auf einmal Leben ins stille Pfarrhaus gebracht und ihre Liedlein so herrlich begleitet. So empfangen Sie denn tausend Dank für den uns bereiteten ‚Festtag‘ und für den etc. Gruß noch ein Extra-Vergeltsgott!“
Eine solche fröhliche Sieben finden wir auch beim andern Instrument, das einer Lehrerwittwe zuging, die als Großmutter bei den Ihrigen lebt. Von dort schreibt sie: „Wenn ich zeichnen könnte, schickte ich Ihnen als Dank für Ihre Güte ein Bildchen: die Großmama am Klavier, Vater und Mutter im Hintergrund, unsere sieben Lieblinge mäuschenstill mit glänzenden Augen zur rechten und zur linken Seite, – wie viel frohe Stunden haben Sie uns bereiten helfen! (Ueber später eingegangene Gaben aus Nürnberg, Chemnitz, Schöneberg bei Berlin etc. im nächsten Bericht!)
Schön wäre es doch, wenn von den vielen großen Pianofortefabriken
Deutschlands und Oesterreichs sich wenigstens noch einige an diesen
Dankeserwerbungen betheiligen möchten. Es giebt noch unzählige arme Lehrer,
und auch arme Pfarrherren, in vereinsamten und kargen Stellungen,
denen eine Seelenerhebung durch die Tonkunst zu gönnen wäre und deren
einzige Musik jetzt nur gar zu häufig darin besteht, jahraus jahrein
Trübsal zu blasen. Fr. Hfm.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_103.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2023)