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Seite:Die Gartenlaube (1885) 112.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Wie schützen wir uns nun vor den Gefahren des Milchgenusses? Das deutsche Reichsgesetz vom 14. Mai 1879, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln etc., bedroht mit Gefängniß bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder mit einer dieser Strafen denjenigen, der „wissentlich Nahrungs- oder Genußmittel, welche verdorben oder nachgemacht oder verfälscht und, unter Verschweigung dieses Umstandes, verkauft oder unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung feilhält.“ Ist diese „Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so tritt Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft ein.“ Ferner: „Mit Gefängniß, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, wird bestraft: ... wer wissentlich Gegenstände, deren Genuß die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, als Nahrungs- oder Genußmittel verkauft, feilhält oder sonst in den Verkehr bringt.“ „Der Versuch ist strafbar. Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung oder der Tod eines Menschen verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren ein.“ War die schädliche „Eigenschaft dem Thäter bekannt, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren, und wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. – Neben der Strafe kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden.“

Wenn die Polizeibehörden die in dem Gesetze ihnen beigelegten Befugnisse zur Ueberwachung des Milchverkehrs ausgiebig anwenden, so können dadurch manche der vorbezeichneten Gefahren des Milchgenusses verhütet werden. Nur genügt dazu nicht eine Kontrolle der Marktmilch in Bezug auf ihren Gehalt an Rahm und anderen festen Bestandtheilen, sondern es ist eine Ueberwachung verdächtiger Milchwirthschaften und entsprechende Belehrung der Milcherzeuger und Milchhändler nothwendig. Namentlich dürfte die Beaussichtigung der Ställe und Wirthschaften, welche „Kindermilch“ liefern, wie sie schon in einigen Theilen von Nordamerika üblich ist, sehr zu empfehlen sein. Wir würden dann wenigstens kaum noch Milch von krankem Vieh in den Handel gebracht sehen.

Da indessen zur Zeit auf solche Art nicht alle schädliche Milch vom Verkehr ausgeschlossen wird, und da andererseits viele, vielleicht die meiste Milch schädliche Eigenschaften erst im Hause der Konsumenten annimmt, so werden diese selbst es nicht an der nöthigen Sorgfalt im Ankauf, wie in der Aufbewahrung und Behandlung der Milch fehlen lassen dürfen, um Schaden zu verhüten. Dazu gehört – nächst der schon mehrfach erwähnten Vorsicht in Bezug auf die Milchquelle – zuvörderst Reinlichkeit in den Aufbewahrungsräumen und mit den zur Aufbewahrung und Verabreichung von Milch dienenden Gefäßen, besonders wenn dieselbe für Säuglinge, kleine Kinder und Kranke benutzt werden soll. Da sich die gefährlichen Spalt- und Schimmelpilze auf allem organischen Schmutz und Abfall, auf zurückgestellten Speisen, in dumpfen und feuchten Räumen ansiedeln und vermehren und ihre Samen durch die Luft verbreiten, so dürfen niemals solche, sondern nur trockene, luftige, reine und staubfreie Räume zur Aufbewahrung der Milch dienen. Für Kindermilch ist noch die besondere Vorsicht zu empfehlen, sie nur in reinen und gut verschlossenen Porcellan- und Glasgefäßen zu versenden und aufzubewahren. Da Wärme die Entwicklung der Milchpilze und die Zersetzung der Milch begünstigt, so sind die Milchräume und die Milch selbst kühl zu halten, wozu Eis (Eisschränke) oder fließendes Wasser, oder Einhüllen der Milchflaschen in feuchte Tücher in bewegter Luft dienen können.

Durch starke Abkühlung der Milch auf + 2 bis 4 Grad unmittelbar nach dem Melken wird dieselbe für längere Zeit haltbar: eine Erfahrung, die vermittelst der Swartz’schen Eiskühlung oder des Lawrenz’schen Milchkühlers und Benutzung von durch Eis oder Wasserverdunstung kühlgehaltenen Milchwagen die Versendung frischbleibender Milch auf große Entfernungen möglich macht. Wohleingerichtete Molkereigenossenschaften schreiben deshalb ihren Mitgliedern eine bestimmte niedrige Temperatur vor, mit welcher die Milch in den Sammelstellen abgeliefert werden muß.

Während aber durch Kälte die Keime der Pilze nur zeitweilig in der Entwicklung aufgehalten, gleichsam gelähmt werden, ist Hitze im Stande sie völlig zu tödten. Darauf beruht die allbekannte Thatsache, daß frische Milch durch Aufkochen vor dem Sauerwerden geschützt wird, und aufgekochte Milch würde überhaupt nicht sauer werden, wenn nicht immer wieder neue Säurebacillen hineinkämen. Aber sogar im Sommer ist Milch lange unzersetzt zu erhalten, wenn man sie alle Tage oder jeden zweiten Tag einmal aufkocht. Da beim Aufkochen die Milch ihren Geschmack sehr, und wohl für die meisten Menschen nicht angenehm verändert, und da große Aufmerksamkeit erforderlich ist, um Anbrennen und Ueberkochen zu verhüten, so erhitzt man sie besser im Wasserbade, das heißt in einem Gefäße, welches in Wasser hängt, sodaß jenes und die Milch nur vermittelst des heißen Wassers erwärmt wird, wobei dann weder Anbrennen, noch Ueberkochen möglich ist. Aeußerst empfehlenswerth zu diesem Zwecke ist Becker’s Patenttopf (bereits in Nr. 26 der „Gartenlaube“ von 1879 von mir empfohlen), der außerdem noch zu vielen anderen Werken der Kochkunst, namentlich zur Bereitung aller Arten Milch- und Mehlsuppen, Breien und anderer Speisen sehr tauglich ist, wie ich in meiner „Schule der Gesundheit, 2. Aufl.“ ausführlich beschrieben habe. Ja, es genügt sogar, die Milch gar nicht ins Kochen kommen zu lassen, sondern sie nur bis etwa 60° C. oder 48° R. zu erwärmen und sie dann, mit einem gutschließenden Deckel versehen, vermittelst einer kleinen Flamme (Petroleum oder Spiritus) oder auf dem Herde zwei Stunden lang auf einer Wärme von 50 bis 60° C. oder 40 bis 48° R. zu erholten, was lange nicht so schwer ist, als man denkt, wenn man es noch nicht versucht hat. Nachher wird diejenige Milch, die nicht gleich verbraucht wird, durch Einsetzen in kaltes Wasser oder Eiswasser möglichst rasch abgekühlt und in reinen, gut verschlossenen Gefäßen aufbewahrt. Durch diese einfache Behandlung wird nun die Milch, ohne ihren Geschmack wesentlich zu verändern, nicht blos für einige Tage haltbar, sondern auch leichter verdaulich als rohe und gekochte Milch, sodaß sie selbst von Säuglingen vertragen wird, die keine andere Milch zu verdauen im Stande sind. Prof. Soltmann’s Milchkocher beruht auf den gleichen Grundsätzen und ist ebenfalls sehr brauchbar.

Starke Erhitzung mit nachfolgender Aufbewahrung in vollkommen reinen (pilzfreien) und sicher verschlossenen Flaschen, oft mit gleichzeitiger Eindickung auf die Hälfte oder noch weniger der ursprünglichen Masse, sodaß sie zum Gebrauche für Kinder nur mit der erforderlichen Menge abgekochten Wassers vermischt zu werden braucht, wird nun auch bereits an verschiedenen milchreichen Orten im Großen angewendet. Auch diese Milch ist sehr wohlschmeckend, leicht verdaulich und daher sogar bei kranken Kindern brauchbar, und endlich ganz außerordentlich haltbar, sodaß sie schon viel zur Verproviantirung von Schiffen gebraucht wird, nachdem ein auf meine Veranlassung auf einer Reise von Hamburg nach Montevideo unternommener Versuch mit Scherff’scher eingedickter Milch den Beweis ihrer Haltbarkeit und Güte geliefert hatte. Diese reine eingedickte Milch ist gar nicht zu vergleichen mit der unter Zusatz von Zucker bereitete kondensirten Milch, die außer anderen Unannehmlichkeiten den großen Nachtheil des übermäßigen Zuckergehalts darbietet, weshalb sie wohl auf kurze Zeit als Milchersatz dienen kann, bei längerem Gebrauche aber die Verdauung und Ernährung stört und von Kindern nicht selten ganz abgelehnt wird.

Da durch starke und länger unterhaltene Erwärmung der Milch nicht nur die eigentlichen Milchpilze, sondern auch die meisten andern kleinen Organismen, welche die Milch schädlich machen, zerstört werden, so haben wir darin ein vorzügliches Mittel, um die Gefahren des Milchgenusses größtentheils zu verhüten und namentlich unseren Kindern unter allen Umständen eine gute, leicht verdauliche und nicht übermäßig kostbare Milch zu reichen. Hier wie immer darf man es natürlich an der sorgfältigsten Reinlichkeit der Aufbewahrungs- und Darreichungsgefäße nicht fehlen lassen, denn wenn die beste präservirte Milch in unserem Hause aus der Luft, aus den Gefäßen oder mit dem zugesetzten Wasser schädliche Stoffe aufnimmt, so kann sie selbstverständlich ebenso verdorben werden wie frische Milch.

Also: Vorsicht in Betreff der Bezugsquelle der Milch und im Hause, besonders wenn die Milch kalt oder als Sauermilch genossen werden soll. Konservirung durch Eis oder durch Hitze, Tödtung der organischen Keime und Löslichmachen des Käsestoffs durch angemessene Erwärmung können der Milch ihren hervorragenden Werth als Nahrung für kleine Kinder und Kranke fast für alle Fälle sichern, größeren Kindern und gesunden Erwachsenen ein vortreffliches und vorzüglich preiswerthes Nahrungsmittel verschaffen.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_112.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2020)
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