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Seite:Die Gartenlaube (1885) 122.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Glanz und Pracht, Freigebigkeit, große Lebenslust an. Also keine Duckmäuserin! Fast hatte der Graf schon etwas dergleichen gefürchtet, als er den schmalen, schwach entwickelten Ballen bemerkte. Denn je weniger Ballen vorhanden ist, je karger ist das sanguinische Element vertreten, und Zahlensinn, Ordnungsliebe und Pedanterie überwiegen.

Der Graf hob nun auch den andern Schuh vom Boden auf. Wie hübsch sauber die niedlichen Dinger noch waren! Er bog sich näher dem Licht, um besser sehen zu können – ei, das Pärchen war neu bezogen und zwar mit großem Geschick! Ob das eigenhändige Arbeit der Besitzerin war? Auch noch nadelgewandt und sparsam bei so viel Genialität? Entzückend! Und inwendig hatte ein liebenswürdiger Sinn für Aesthetik die Schuhe mit rosa Seidenpapier ausgekleidet – sie mußten wirklich das Eigenthum einer Fee sein – nein, besser noch, sie gehörten einem hochidealen jungen Mädchen an, in dem alle bestrickenden Eigenschaften des Weibes schlummerten. Glücklich Derjenige, an dessen Herzen solche Knospen zu Blüthen reifen durften – „der Teufel soll mich holen wenn ich den Engel nicht heirathe, dem diese Schuhe zu eigen sind!“ rief der Graf plötzlich ganz laut.

Doch er war noch so müde – wieder schlief er ein. Jetzt träumte er von der Cousine Ida. Sie bog sich im weißen Brautgewande mit Myrthenkranz und Schleier über ihn, wie ein holdes Räthsel, welches Lösung verlangt. Der Graf wollte ihr die rosa Schuhe anpassen, doch stets, wenn er ihr nahe kam, glitt sie wie ein Schemen weiter, mit rhythmischen Bewegungen voll lieblichster Anmuth. Mädchenhaftigkeit – o, reizende Neuheit, wie sie den Weltmann berauschte! Heftig, leidenschaftlich eilte er der Comtesse nach – fast hatte er sie erreicht und wollte sie umfassen, da –

„Poch – poch!“ klang es mit kräftigen Schlägen gegen des Grafen Zimmerthür. Der erwachende Träumer mußte sich erheben und öffnen.

Draußen stand die stämmige Landzofe Ida’s. „Ach, Herr Graf,“ klagte dieselbe, „meine gnädige Comtesse ist in Verzweiflung, sie zieht sich zum Balle an und kann ihre eigenhändig bezogenen Ballschuhe nicht finden! Das ganze Schloß haben wir schon durchsucht. Nun meinen wir, daß bei der allgemeinen Umräumerei für unser Fest und unsere Gäste vielleicht eine unberufene Hand die Vermißten in Ihr Zimmer gestellt haben könnte. Gestatten der Herr Graf, daß ich einmal eintreten und nach den Ballschuhen suchen darf?“

„Hier sind sie!“ sagte der Graf, indem er einen Kuß auf jede der kleinen Sohlen drückte. „Bestellen Sie zugleich meine unterthänigsten Empfehlungen an Ihre gnädige Comtesse und sagen Sie ihr – da ich persönlich so kurz vor einem Balle nicht mehr zu stören wage – daß ich sie um die Gunst bitten lasse, heute Abend mit mir den ersten Walzer und den Cotillon zu tanzen!“

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Einen erfolgreicheren Ball hatte der alte Graf Hahn noch nie gegeben.

Ida erschien in einem weißen Tüllkleide, die rosa Schuhe an den Füßen, einen idealen Rosenkranz auf dem Haupte. Fast noch nie in ihrem Leben hatte die Comtesse so hübsch ausgesehen, denn nichts verklärt so, wie der Strahl des Beifalls. Erbgraf Friedrich wich nicht von ihrer Seite, und der beglückte Pulsschlag von Ida’s Herzen schien selbst dem jungen Blaublut zu gebieten, denn kein Hitzfleck und keine unangenehme Röthe beeinträchtigten an jenem Ballabend den Ausdruck des geistigen Lebens und die Fülle poetischer Innerlichkeit, welche Ida’s Physiognomie widerspiegelte, wenn sie vergnügt und angeregt war. Sogar die Locken hielten sich so lange als möglich und lösten sich erst ganz zuletzt in kleidsame Unordnung auf. Ida’s Grazie übertraf ja stets die aller Damen und so bemühten sich denn die sämmtlichen anderen jungen Töchter des hohen Adels vergebens um den begehrenswerthen Freier – sie mußten es erstaunt mit ansehen, wie rasch Erbgraf Friedrich sich zur Rolle des Königssohnes im Märchen Aschenbrödel entschlossen hatte.

Nach Ablauf einer Woche verlobte sich Ida mit ihrem Vetter, und sehr bald fand dann auch die Hochzeit statt. Auf dem Polterabende las Herr von Oertzen einen „Hymnus auf den kleinsten Fuß der schönsten Seele“ vor, und der glückliche Bräutigam ließ es sich nicht nehmen, nach alter galanter Polensitte den kleinen rosa Ballschuh, der sein Herz gefangen genommen, mit Champagner zu füllen und auf das Wohl der Braut bis zur Nagelprobe zu leeren.

„Wie waren denn aber die famosen Schuhe nur überhaupt in das Zimmer gekommen?“ fragte der alte Graf unschuldig, „wer hatte sie denn eigentlich hineingesetzt?“

„Ich, lieber Vater!“ antwortete Ida, indem sie den guten Papa herzlich küßte, „das war jener Anfang eines Romans, von dem ich sprach – das erste Kapitel in der Geschichte meines weiblichen Lebens!“

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Ob diese Ehe glücklich wurde? Nein und abermals nein! Denn es war dasjenige zu wenig dabei berücksichtigt worden, wonach überhaupt leider viel zu selten gefragt wird, und was doch nur allein den Keim der Zufriedenheit und die Möglichkeit des Glücks in sich birgt – das ist die Ebenbürtigkeit der Seelen! Poesie und Prosa, Bildung und Rohheit soll man aber gewiß am wenigsten zusammenfügen, und deßhalb war auch die Katastrophe fast unvermeidlich, welche schon nach drei Jahren erfolgte, nämlich die Scheidung. Sie war einst ein vielbesprochenes Ereigniß in der vornehmen Welt. Grausame Verleumdung, aber auch leider eigene Schuld, zogen einen verhängnißvollen Ring um die junge Frau, selbst das Auge des Wohlwollens vermag nicht ganz klar bei dieser Angelegenheit zu sehen und ein richtiges Endurtheil zu fällen.

Wer sich für die Gräfin Hahn-Hahn interessirt, muß ihre Romane lesen, die einst zündeten und ihren Namen durch ganz Europa trugen. Der Rechte – Faustine – Levin – sind Gebilde einer glühenden Phantasie und eines ganz außerordentlichen, wenn auch mitunter ungesunden Geistes. Die Romane ihrer katholischen Epoche besitzen einen geringeren Werth und haben weniger Reiz. In ihnen erscheint die hochgeniale Schriftstellerin nur noch wie der verblaßte Schemen ihrer selbst. Sie war eben ein Weltkind, die Klosterschwester vertrug sich mit ihrem Talent nicht, welches nun einmal wurzelte in der irdischen Liebe Freud und Leid.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_122.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)
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