Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1885) 126.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

war das Schlößchen geworden! Früher hatte es wie ein verschlafenes Dornröschen zu Füßen des Berges gelegen – halb unter dem schützenden Betthimmel des bergaufkletternden Waldes, den heute schon die gelben und rothen Flammen des Herbstes betupften – ohne Glanz und Farben und wenig beachtet. Jetzt hatte es sich gereckt und gestreckt und die Augen aufgeschlagen; zwischen den dunklen Nußbäumen glitzerte und flimmerte es, als sei eine Hand voll Diamanten dort verstreut worden – die alten, vermorschten und nie geöffneten Jalousien waren verschwunden, und neue, ungebrochene Spiegelscheiben füllten die mächtigen steinernen Fensterrahmen.

„Ja gelt, Gretel, wir sind vornehm geworden hier draußen?“ fragte der Großpapa. Er zeigte mit ausgestrecktem Arm hinüber. Wie ein Recke schritt er dahin, der Siebziger! Unter seinen Tritten krachte das Chausséegeröll, und sein mächtiger weißer Schnauzbart leuchtete wie Silber in dem braunen, kühnen Gesicht, das die breite, einst auf dem Fechtboden geholte Schmarre quer über der Wange von der einen Seite fast furchtgebietend machte. „Ja, vornehm und fremdländisch!“ bekräftigte er weiterstapfend; „wenngleich die Frau Mama eine urdeutsche Pommersche ist und die Tochter auch von väterlicher Seite her Nichts von John Bull oder den ‚Parlez-vous français‘ in den Adern hat – macht nichts! – es wird doch auf englische Art gekocht und gegessen und französisch parlirt nach Noten ... Ja, die alten Nußbäume werden wohl gucken und sich in ihr Herz hinein schämen, daß sie in ihren alten Tagen wie dumme Bauerjungen dastehen und in ihrer Jugend nicht lieber Platanen oder sonst was Vornehmes geworden sind.“

Margarete lachte.

„Ja, da lachst Du, und Dein Großvater lacht auch! – Ich lache über den Staub, den zwei Weiberröcke da herum –“ er beschrieb mit ausgestrecktem Arm einen weiten Bogen über die Gegend hin – „aufwirbeln – die reine Affenkomödie, sag’ ich Dir! ... ‚Warst Du schon im Prinzenhof?‘ heißt’s da, und ‚bist Du schon vorgestellt?‘ dort! Und der Eine grüßt kaum, wenn man nicht, wie er, beim großen Diner gewesen ist, und ein Anderer stiert Einem ganz perplex, wie einem notorisch Verrückten, ins Gesicht, wenn man sagt, daß man sich bedankt hat und lieber in seinen vier Pfählen geblieben ist ... Ja, guck, Gretel, der Mensch lernt nicht aus! Hab’ da gemeint, ich lebe mitten unter lauter Hauptkerlen vom thüringischeu Schlag, von echtem Schrot und Korn, und da quetschen sich jetzt die alten Knasterbärte in den Frack, schütten sich Eau de lavande, oder anderes Riechzeug –“ er unterdrückte nur halb ein energisches „Pfui Teufel!“ – „auf ihre Schnupftücher und schlucken zimperlich eine Tasse Thee mit Butterbemmchen da drüben – sie mögen schön dran würgen, die ausgepichten Burgunderschläuche die!“

Margarete sah ihn von der Seite an; von der betonten Lachlust vermochte sie keine Spur zu finden; wohl aber sprühte ihm der helle, ehrliche Manneszorn unter den weißbuschigen gerunzelten Brauen hervor. Sie hing sich schleunigst an seinen Arm, hob den rechten Fuß und versuchte in seine weiten, militärisch strammen Schritte einzulenken.

Er schmunzelte und schielte seitwärts auf sie herunter. Die winzige Spitze ihres Stiefelchens sah gar zu lächerlich aus neben dem ungeheuren Jagdstiefel. „Was für arme Spazierstöckchen! Und das will sich auch noch mausig machen!“ höhnte er. „Geh, gieb’s auf, Gretel! Da lebt die Junge dort“ – er zeigte nach dem Prinzenhofe zurück – „auf einem anderen Fuße! Sapperlot, da muß man Respekt haben! Freilich, ihr Beide könntet in der Wiege umgetauscht sein – solch ein polizeiwidrig kleines Pedal kommt Dir nicht zu, und bei einer Blaublütigen ist ein großer Fuß allemal nur ein unbegreifliches, boshaftes Naturspiel ... Aber schön ist sie sonst, die junge ‚Gnädige‘ – Alles was wahr ist! Weiß und roth wie Milch und Blut, blond, – Du braunes Maikäferchen mußt Dich daneben verkriechen – groß“ – er hob die Hand fast bis zu seiner Kopfeshöhe – „schwer und drall, echt pommersche Rasse, und gesetzt und pomadig! Solch ein Windspiel, wie eben eines neben mir hertrippelt, kommt da nicht auf.“ –

„Ach Großpapa, das Windspiel freut sich seines Lebens, so wie es ist – darüber lasse Du Dir ja kein graues Haar wachsen!“ lachte das junge Mädchen. „Uebrigens haben die armen Spazierstöckchen schon ganz Respektables geleistet, und es fragt sich noch sehr, ob Dein großer Siebenmeilenstiefel da mit mir Leichtfuß auf den Schweizerbergen konkurriren könnte. Frage nur den Onkel Theobald in Berlin!“

Damit lenkte sie glücklich auf ein anderes Thema über. Der alte Mann war tief ergrimmt und gereizt; er übergoß die zukünftige Schwiegertochter mit der ganzen scharfen Lauge seines Spottes. Seine Beziehungen zu der Großmama mochten deßhalb augenblicklich noch weit weniger friedfertig sein, als gewöhnlich. Und er hatte sicher wieder einmal Recht, sein scharfer Blick trog selten; aber die Enkelin konnte und durfte doch nicht Oel ins Feuer gießen, und so erzählte sie in anschaulicher Weise von dem Hospiz auf dem Sankt Bernhard, wo sie mit Onkel und Tante während eines furchtbaren Schneesturmes übernachtet, von allerhand Erlebnissen in Italien und so weiter; und der alte Herr hörte ganz hingenommen zu, bis der Packhaus-Thorflügel hinter ihnen zufiel und das abgefallene Lindenlaub im Hofe unter ihren Füßen knisternd umherstob.

Sie betraten eben den Flur des Vorderhauses, als ein winzig kleiner Hund, ein Affenpinscher, durch einen schmalen Spalt des Hausthores vom Markte hereinschlüpfte. Er kläffte die Eintretenden mit hoher, scharfer Stimme an.

Margarete kannte das kleine Thier. Vor Jahren war Herr Lenz einmal von einer Reise zurückgekommen und hatte es mitgebracht. Und es hatte ausgesehen, als sei es das Schoßhündchen einer Prinzessin gewesen. Blauseidene Bandschleifen hatten aus seinem zottigen Fell geleuchtet, und an kalten Tagen war es in einer schöngestickten Purpurschabracke auf dem Gange herumgelaufen. Trotz aller Lockungen war es aber nie in den Hof zu den Kindern herabgekommen, die Malersleute hüteten es wie ein Kind.

Nun kam es da hereingelaufen, und gleich darauf wurde der Thorflügel weiter aufgestoßen, und ein Knabe sprang ihm nach. Fast in demselben Momente klirrte aber auch das in den Hausflur mündende Fenster des Komptoirs, und Reinhold’s Kopf fuhr heraus.

„Du infamer Bengel, habe ich Dir nicht verboten, hier durchzugehen?“ schrie er den Knaben an. „Ist etwa der Thorweg im Packhause nicht breit genug für Dich? ... Das ist das Herrschaftshaus, und da hast Du absolut nichts zu suchen, so wenig wie Deine Leute! Habe ich Dir das nicht schon gesagt? Verstehst Du denn nicht Deutsch, einfältiger Junge?“

„Was kann ich denn dafür, wenn Philine mir ausreißt und hier hereinläuft? Ich wollte sie fangen, aber es ging nicht gut, weil ich den Korb am Arme habe!“ entschuldigte sich der Kleine mit einem etwas fremdartigen Accent. „Und Deutsch kann ich sehr gut; ich verstehe Alles, was Sie sagen,“ setzte er gekränkt, aber auch trotzig hinzu. Er war ein bildschönes Kind; ein wahrer kleiner Apollokopf, umringelt von kurzgeschnittenen braunen Locken und strahlend in Frische und Gesundheit, saß fest und hochgetragen auf dem kräftigen Nacken. Aber all diese Lieblichkeit schien nicht vorhanden für den bleichsüchtigen jungen Menschen mit dem tödlich kalten Blick und der keifenden Stimme, der am Komptoirfenster stand.

Und nun ließ sich die entwischte Philine auch noch einfallen, die nach der Wohnstube führenden Stufen hinaufzuspringen, als sei sie da zu Hause.

Reinhold stampfte mit dem Fuße auf, während der Knabe ängstlich der kläffenden Missethäterin um einige Schritte nachlief.

„Nun mache Dich nur schleunigst aus dem Staube, Junge,“ scholl es erbittert aus dem Fenster, „oder ich komme hinaus und schlage Dich und Deinen Köter windelweich –“

„Na na, das wollen wir erst ’mal sehen, Verehrtester! Da sind auch noch andere Leute da, die das zu verhindern wissen!“ sagte der alte Amtsrath und stand mit zwei Schritten vor dem Fenster.

Reinhold duckte sich unwillkürlich vor der plötzlichen, gewaltigen Erscheinung des Großvaters.

„Bist mir ja ein schöner Kerl!“ höhnte der alte Herr – Aerger und Sarkasmns stritten in seiner Stimme. „Keifst wie ein Waschweib und machst Dich mausig in Deines Vaters Hause, als hättest Du den Hauptsitz in der Schreibstube. Geh’, laß Dir erst die Federn wachsen und den Schnabel putzen! ... Warum soll denn das Bürschchen da nicht durchgehen, he? Meinst vielleicht, er tritt Euch von dem kostbaren Steinpflaster da ’was herunter?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_126.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2020)
OSZAR »