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Seite:Die Gartenlaube (1885) 132.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Steirische Eisenhämmer.

Eine Erinnerung von P. K. Rosegger.


Die Vierziger Jahre hatten strenge Winter. Im März aber kam stets plötzlich der Föhn und schmolz den Schnee in wenig Tagen. Wir freuten uns des wieder enthüllten Rasens, der alsbald zu grünen begann; aber damit war die leichtlebige, heitere Wintersrast dahin, und die wachsenden Tage brachten arbeitsschwere Zeit des Pfluges und der Egge, der Sichel und der Sense. Diese Zeit der blinkenden Werkzeuge hatte einst ein kleines Vorspiel.

Noch tief in der Nacht weckte mich an einem Frühlingsmorgen mein Vater und sagte, er gehe heute in das Mürzthal. Wenn ich mitgehen wolle, so möge ich mich eilig zusammenthun, aber die scharfbenagelten Winterschuhe anziehen, es sei der Weg noch eisig.

Sonst, wenn ich in früherer Stunde zur Alltäglichkeit geweckt wurde, bedurfte es allerlei Anstrengungen außer und in mir, bis ich die Augen zur Noth aufbrachte, um sie doch wieder auf etliche Minuten zufallen zu lassen, denn meine alte Ahne war der Meinung, ein allzurasches Aus-dem-Schlaf-springen mache Kopfweh. Heute war ich mit einem Ruck munter, denn ins Mürzthal mitgehen, das war in meiner Kindheit das Herrlichste, was mir passiren konnte. Wir waren bald reisefertig, der Vater nahm seinen großen Stock, ich meinen kleinen; die Laterne nahmen wir nicht, weil es sternhell war – und so gingen wir davon. Die erste halbe Stunde war es wie allemal, wenn ich früh Morgens mit dem Vater ging, wir schwiegen still und beteten während des Gehens jeder für sich das Morgengebet. Wir hatten wohl so ziemlich das gleiche, aber ich wurde immer ein gut Theil früher fertig als er und mußte mich dann still gedulden, bis er den Hut aufsetzte und sich räusperte. Das war das Zeichen, daß ich ein Gespräch beginnen durfte, denn ich war fortwährend voll von Fragen und Phantastereien, auf die der Vater bisweilen derart einging, daß Alles noch räthelhafter und noch phantastischer wurde. Gewöhnlich aber unterrichtete er mich in seiner gütigen und klaren Weise, daß ich Alles wohl verstand.

Nachdem wir an diesem Frühmorgen etwa zwei Stunden gegangen und hinausgekommen waren über die entwaldete Berghöhe, lag vor uns das weite Thal der Mürz. Von Mürzzuschlag bis Kapfenberg dehnte es sich stundenlang, und wenn ich es sonst im Morgengrauen sah, lag im Thale der Nebel wie ein grauer See, aus welchem einzelne Höhen und die jenseitigen Berge blauduftig emporragten. Heute war es anders und heiß erschrak ich vor dem, was ich sah. War denn der Franzose wieder im Land? Oder gar der Türk’? In Kindberg, das tief unter uns lag, lohte an vielen Stellen glührothes Feuer auf. Auch im oberen Thal, über Mitterdorf, bei Krieglach und Feistritz, und gen Mürzzuschlag hin waren rothe Feuersäulen; im nahen Kinthal sprühten mächtige Garben von Funken empor.

„Närrlein, Du kleines!“ sagte mein Vater, als ich mich mit beiden Fäusten krampfhaft an seinen Rock hielt, „das ist ja nichts. Das sind ja nur die Eisenhämmer. Lauter Schmiede-Rauchfänge, aus denen Funken springen. Hörst denn nicht das Pochen und das Klappern der Hämmer?“

„Ich höre es wohl, aber ich habe gedacht, das wären die Kanonen und Kugelstutzen,“ versetzte ich aufathmend.

„Kind, wo käme denn jetzt der Feind her? Der liebe Herrgott hüte unser Steirerland!“

„Aber wie ist es denn,“ fragte ich, „daß die Dächer nicht brennend werden, wenn so viel Feuer herumfliegt?“

„Die Dächer sind voller Staub und Asche, das brennt nicht. Und dieses Feuer, das so schreckbar wild aussieht, es ist nicht so arg, es ist auch nur glühende Asche, Ruß und Geschlack, wie es aus der Esse aussprüht, wenn der Blasebalg dreinbläst.“

„Und warnm sprüht es denn just in der Nacht so?“ fragte ich.

„Es sprüht auch beim Tag so,“ antwortete der Vater lächelnd, „aber gegen das Sonnenlicht kommt dieser Schein nicht auf, und was jetzt so blutroth leuchtet, das ist bei Tag nur der rußige Rauch, der aus dem Schornsteine aufsteigt.“

„Thun sie denn in den Schmieden nicht schlafen?“

„Das wohl, aber sie stehen sehr früh auf, oder lassen in den größeren Essen gar das Feuer nicht ausgehen, weil es sonst schwer ist und viel Kohlen braucht, bis die Hitze wieder erzeugt wird. Da wachen und arbeiten die einen Schmiede, während die anderen schlafen.“

„Giebt's denn so viel Ochsen zu behufen im Mürzthal?“ war meine Frage, denn ich hatte einmal dem Hufschmied zu Haustein zugeschaut, wie er einem Zugochsen Hufeisen an die Klauen nagelte.

„O Knäblein, Knäblein!“ rief mein Vater, „die Schmiede haben noch ein wenig mehr zu thun auf der Welt, als wie zu hufen. Du bist ein Steierer; wenn wir auf unserem Gebirge auch nichts haben, als Feld und Alm und Wald, solltest Du doch schon wissen, wozu die vielen hundert Krippen von Holzkohlen verwendet werden, die unsere Nachbarn Jahr für Jahr ins Thal hinaus führen. Solltest auch wissen, daß Dein Heimathland Steiermark das Land der Hammerschmiede ist. Wenn Du jetzt, bevor der Tag aufgeht, vom hohen Himmel mit sehr guten Augen herabschauen könntest auf unsere Steiermark, so würdest Du, besonders im Oberland, auch alle anderen Thäler so sprühen und leuchten sehen, wie hier das Mürzthal. Es sprüht in Neuberg und bei Mariazell und an der Veitsch, es sprüht im Ennsthal und im Murthal, an der Feistritz, an der Kainach, an der Sulm und an der Sann, wo die Leut’ gar nicht mehr deutsch sprechen, aber sprühen thut’s doch. In Vordernberg, in Eisenerz, in Hiflau sollst es erst sehen, und überall, wo Hochöfen sind. In den Hochöfen wird das Erz, das sie aus dem Gebirg graben, geschmolzen, daß das Eisen herausrinnt wie ein hellglühender Mühlbach. Da sprüht’s auch, mein Bübel! Da sind - wenn ihrer zwei, drei Hochöfen neben einander stehen – in der Nacht schier die Felsberge roth vor lauter Schein. Und schaust in den Ofen, so siehst ein schneeweißes Licht, blendend wie die Sonne. Das ist ein anderes Feuer, als daheim bei unserem Hofschmied. Das Erz graben sie aus dem Erzberg, der weit drinnen im Gebirg steht und mehr werth ist, als alles Gold und Silber in Oesterreich. Das Eisen, das im Hochofen aus dem Erz rinnt, erstarrt in der freien Luft sogleich, wird nachher mit Hämmern zerschlagen und in schweren Schollen durch das ganze Land verführt, zu jedem Eisenhammer hin, wo sie aus diesem Roheisen immer feineres Eisen, das Schmiede-Eisen, den Stahl und daraus allerhand Geräthe und Werkzeuge machen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_132.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2020)
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