Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1885) 144.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ja, siehst Du, Reinhold, das ist nun so ein kleines Malheur, wie es Einem bei einer gründlichen Räumerei leicht passirt,“ sagte Tante Sophie achselzuckend. Sie vermied es geflissentlich, den eigentlichen Missethäter, den „armen Tapps“, zu nennen.

„Was, ein kleines Malheur?“ wiederholte der junge Mensch ganz empört. „Aber, Tante, Du scheinst auch nicht die blasse Ahnung von dem Geldwerthe zu haben, der Dir hier oben anvertraut ist! Bare zehn Dukaten hat die Vase gekostet; ich will es Dir aus dem Inventarbuch beweisen – bare zehn Dukaten! Ja, weiß Gott, es ist geradezu haarsträubend, wie oft aus Marotte mit dem Gelde gehaust wird! Der gute Großpapa ist auch so Einer gewesen. Tausende stecken in dem Kram aus Olims Zeiten, den er zusammengeschleppt hat. Die Antiquitätenhändler wissen das und klopfen immer wieder an bei uns; aber der Papa wird allemal grob, und ich würge dann tagelang an dem Aerger über die unverantwortliche Verschwendung! ... Aber es wird auch einmal anders, und dann weiß ich Einen, der aufräumt. Da wird Alles versilbert, Alles, was nicht absolut nöthig ist zum Hausgebrauche.“ Er schüttelte den Kopf und warf die Scherbe in seiner Hand auf den Tisch. „Zehn Dukaten! Ein Pappenstiel natürlicher Weise! Eine Lappalie für Alle in unserem Hause, die nicht rechnen können –“

„Na, sei nur ruhig; ich hab’ das Einmaleins gründlich weg und brauche nicht auf Euren Komptoirstühlen zu sitzeu, um zu wissen, was das Geld werth ist,“ unterbrach ihn Tante Sophie gleichmüthig. „Die zehn Dukaten sind aber schon dazumal zum Fenster hinausgeworfen gewesen. Auch der Klügste läßt sich einmal anführen mit nachgemachtem Zeug, wie das hier ist.“ Sie zeigte auf die Scherben.

„Wie – nachgemacht? Wer sagt denn das?“

„Margarete sagt es,“ sprach der Landrath, der langsam an den Tisch getreten war.

Reinhold lachte laut auf. „Die Grete? Diese da?“ Er zeigte mit dem Finger nach dem jungen Mädchen.

„Ja, Deine Schwester,“ bestätigte Herbert mit festem, verweisendem Blick in das impertinent grinsende Gesicht des Neffen. „Ich möchte Dich übrigens bitten, den Ton, welchen Du der Tante und Deiner Schwester gegenüber noch so jungenhaft unmanierlich anschlägst, nunmehr zu ändern. Es ist Dir zeitlebens, Deiner reizbaren Nerven wegen, sehr viel nachgesehen worden, allzu viel, wie ich fürchte – aber nun solltest Du doch wissen, daß auch Du Anstandspflichten hast.“

Reinhold hatte den Sprecher anfänglich ganz perplex angestarrt; eine solche ernste Rüge aus diesem Munde war ihm neu; aber bei all seiner Unverfrorenheit war er doch ein feiger Bursche, der jedem Stärkeren aus dem Wege ging. Er nagte an seiner Unterlippe und wagte kein Wort der Erwiderung. Scheu wegsehend, griff er in die Brusttasche, zog einen Brief heraus und warf ihn so auf den Tisch, daß das sehr große Siegel obenauf zu liegen kam.

„Hier, Grete, der Brief ist vorhin im Komptoir für Dich abgegeben worden,“ sagte er mürrisch. „Nur des Wappens wegen, das fast so groß ist, wie unser herzogliches, bin ich die zugige Treppe heraufgeklettert; sonst ist es mir sehr egal, wer Dir schreibt.“

Das junge Mädchen war feuerroth geworden. Der Uebermuth, der vorhin ihre ganze Erscheinung beseelt hatte, war kläglich zusammengesunken. Fast hilflos, mit einem angstvoll scheuen Blick nach dem Briefe stand sie da wie ein tieferschrockenes Kind.

„Das ist das Wappen der Herren von Billingen-Wackewitz, Reinhold,“ sagte die Frau Amtsräthin ganz feierlich, mit hörbarer Ergriffenheit. „Ich könnte Dir manches heilig aufgehobene Billetdoux mit diesem herrlichen Siegel zeigen. Ein Fräulein von Billingen war früher Obersthofmeisterin bei unseren gnädigsten Herrschaften. Sie war mir sehr gütig gesinnt und korrespondirte mit mir über unseren Frauenverein. ... Mein Gott, wenn ich damals hätte denken sollen“ – sie brach ab mit einem fast verzückten Aufblicke, schlang ihren Arm um die Taille der Enkelin und zog sie an sich. „Mein liebes, liebes Gretchen, Du kleine Spitzbübin!“ rief sie mit tiefer Zärtlichkeit. „Also das ist der Magnet gewesen, der Dich in Berlin festgehalten hat? ... Und ich bin so unverantwortlich kurzsichtig gewesen und habe Dir Vorwürfe gemacht, während Du berufen warst, ein unaussprechliches Glück in unser Haus zu bringen! Solch eine blinde, ungerechte Großmama, gelt, Herzenskind? ... Bist Du mir böse?“

Die Enkelin entschlüpfte der Umarmung und trat um einen Schritt weg. Sie hatte ihre Fassung wieder gewonnen. „Ich habe keinen Grund, böse zu sein – ein solches Gefühl würde sich auch wenig schicken für die Enkelin,“ sagte sie fast trocken und zupfte ordnend, mit einem Seitenblick nach Reinhold, an den Spitzen des „kostbaren Inventarstückes“. „Solche Extravaganzen dürfen wir uns nicht erlauben, so lange ich im Staatskleid der schönen Dore stecke – Reinhold wird zanken.“

„Ach, wüßte er, was ich weiß,“ entgegnete die alte Dame mit schalkhaftem Augenblinzeln, „dann würde er nur mit mir finden, daß Dir die Robe unvergleichlich steht! Ja, so wie ich Dich da vor mir sehe, mit der wirklich vornehmen Haltung und dem – nun, auch eine Großmama darf einmal schwach sein in ihrer großmütterlichen Eitelkeit – und dem durchgeistigten, pikanten Gesichtchen – ja, so könntest Du Dich getrost den illustren Frauengestalten anreihen, die in einem gewissen Saale von den Wänden blicken –“

„Auch mit dem ‚wilden Haar und den Jungenmanieren‘, Großmama?!“

Die Frau Amtsräthin wurde ein wenig roth und hob beide Hände empor.

„Liebes Kind – doch nein,“ unterbrach sie sich, „ich will heute still sein! Morgen, oder vielleicht auch erst in einigen Tagen, wirst Du mir viel zu sagen haben, unendlich viel, mein Kind, was mich lebenslang beseligen wird, ich weiß es. Bis dahin will ich mich bescheiden!“

Margarete antwortete nicht. Mit scheuem Finger griff sie nach dem Briefe, schob ihn in die weite Kleidertasche und ging hinaus, um die Staatsrobe wieder an Ort und Stelle zu bringen. In diesem Augenblick erinnerte sich auch die Frau Amtsräthin, daß sie ja eigentlich nur heruntergekommen sei, um sich bei Tante Sophie ein Tortenrecept auszubitten, der Herr Landrath aber, der ja auch nur hier eingetreten, weil er draußen im Vorübergehen das Geräusch der stürzenden Vase gehört, hatte Hut und Stock vom Tisch genommen und war mittlerweile in den Flursaal hinaus gegangen.

Er stand vor dem nächsten Büffet und besah anscheinend sehr interessirt die alten Humpen und Becher, als Margarete an ihm vorüber nach dem Gange schritt.

„Du wirst mir später einmal viel abzubitten haben, Margarete,“ sagte er halblaut, aber mit Nachdruck über die Schulter hinweg zu ihr.

„Ich, Onkel?“ Sie hemmte ihre Schritte und trat verstohlen lächelnd näher. „Mein Gott, sofort, auf der Stelle soll es geschehen, wenn Du es wünschest! Töchter und Nichten müssen das, und können es auch getrost, unbeschadet ihrer Mädchenwürde.“

Er wandte sich voll nach ihr um zugleich warf er aber auch auf den herankommenden Reinhold einen so streng und finster zurückweisenden Blick, daß der lange Mensch betroffen Kehrt machte und mit den beiden alten Damen den Flursaal verließ.

„Du scheinst die Jahre, während welcher wir uns nicht gesehen haben, für meine Person doppelt zu rechnen,“ sagte Herbert finster. „Ich komme Dir wohl sehr alt und ehrwürdig vor, Margarete?“

Sie bog ihr Gesicht ein wenig zur Seite, und die übermüthigen Augen huschten musternd über seine Züge. „Nun weißt Du, gar so schlimm ist’s nicht – ich sehe noch kein einziges graues Haar in Deinem schönen Barte.“

„Schlimm genug, wenn Du bereits darnach suchst!“ Er sah einen Moment weg durch das nächste Fenster. „Es war mir ein wenig verwunderlich, bei Deiner Ankunft so respektvoll von Dir begrüßt zu werden; meines Wissens hat mich immer nur Reinhold ‚Onkel‘ genannt, Du nie!“

„Du hast Recht – ich nie, trotz so mancher Strafpredigt! Dein Onkelgesicht imponirte mir nicht! ‚Gerade wie Milch und Blut ist’s,‘ sagte Bärbe immer.“

„Ach so – nun sind Dir die Farben greisenhaft genug?“

Sie lachte. „Ach, das spricht ja gar nicht mehr mit – der Bart macht’s! Solch ein aristokratisch gescheitelter Kinnbart imponirt, Onkel!“

Er verbeugte sich ironisch.

„Und dann – als ich Dich vorgestern Abend neben der schönen Dame sitzen sah, und Du kamst dann heraus in den

Flursaal, Zoll für Zoll der erste Beamte der Stadt, und Deine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_144.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2020)
OSZAR »