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Seite:Die Gartenlaube (1885) 158.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

tapeziert, Fräulein,' sagte ich. ,Das Bild könnte am Ende hängen bleiben' – Aber Fräulein Sophie glaubt ja an nichts – das Bild mußte ’runter, absolut ’runter, und ich armer Teufel kriegte die Prügel. Ja, den Schreck verwind’ ich in meinem Leben nicht! Und wie sie nachher auf mich zukam, just aus dem Rahmen ’raus, und das grüne Kleid rauschte und brauste, und die Karfunkelsteine glühten ihr auf dem Kopfe, wie Funken aus dem höllischen Feuer, da dacht’ ich: ,Jetzt ist Dein Brot gebacken, ’s ist aus mit Dir!‘ Die Thür hab’ ich noch glücklich erwischt, und sie krachte fürchterlich hinter mir zu; aber auf der Treppe hat’s mir doch noch eiskalt an den Hals gegriffen –“

„Unsinn, Friedrich! Auf der Treppe that sie Ihnen nichts mehr – sie kann ja nicht über die Thürschwelle!“ sagte Bärbe und reichte ihm ein Likörgläschen hin. „So – und nun nehmen Sie ’mal den Schluck Pfefferminzschnaps da, der bringt Sie auf die Beine! … Und daß ich’s Euch sage, Ihr Leute – die Geschichte bleibt unter uns! Bei der Herrschaft findet man ja doch keinen Glauben, und wenn man’s schwarz auf weiß brächte. Da wird allemal zuerst gelacht und nachher gezankt, und man kriegt seine Todtenunke und Jammerbase nur so an den Kopf geworfen und hat seinen Aerger weg. Und den Leuten in der Stadt dürfen wir auch die Mäuler nicht aufsperren – beileibe nicht! Die sind uns Lamprechts ohnehin nicht grün; unser großes Geschäft und das Ansehen und der unmenschliche Reichthum – das Alles paßt den Neidhammeln nicht; für die ist ein Unglück in unserem Hause so gut wie Zuckerbrot – und ein Unglück giebt’s, das steht fest. Dazumal, wie unser Gretchen beinahe gestorben ist, da hat es da oben auch so lange rumort, bis sie uns das Kind halbtodt ins Haus brachten … Da heißt’s nun, die Ohren steif halten und aufpassen. Ich sage Euch, nehmt Feuer und Licht in Acht – das ist unsere Sache! Was freilich sonst geschehen soll, daran kann Unsereiner nichts ändern. … Mich überläuft eine Gänsehaut“ – sie streifte zur Beweisführung den Aermel vom Arme zurück – „Jeden Augenblick kann’s kommen – jeden Augenblick!“


13.

Und in der darauffolgenden Nacht war es wirklich, als heule eine wehklagende Stimme diese Prophezeiung nach, auch über den Markt und die ganze Stadt hin – der erste Oktobersturm brauste durch das Land. Die Raben hatten den ganzen Nachmittag in großen Schwärmen wie toll über der Stadt gekreist, und Abends war die Sonne wie in einem Blutmeer untergegangen; der Gluthschein hatte noch lange ganz unheimlich auf den Thurmspitzen und Kirchendächern gelegen. Und nun kam’s. Die ganze Nacht hindurch fauchte und johlte es in den Lüften und gönnte sich selbst kein Aufathmen, und als es wieder Tag wurde, da pfiff die Sturmmelodie erst recht durch die Straßen. Die Leute, die über den hochgelegenen Markt gingen, konnten sich kaum auf den Füßen erhalten, und um die Straßenecken flogen Hüte und Mützen in förmlichem Wirbeltanz.

Die Frau Amtsräthin ärgerte sich. Ihre zarten Füßchen waren ein wenig unsicher und wackelig geworden. Bei starkem Winde traute sie sich nicht mehr auf die Straße, und so mußten die auf den heutigen Tag festgesetzten Besuche mit der heimgekehrten Enkelin in der Stadt unterbleiben.

Margarete war desto zufriedener. Ihr erschien der freigewordene Nachmittag wie geschenkt. Sie saß droben im Wohnzimmer der Großmama und half der alten Dame mit flinken Fingern an einer großen, prachtvollen Stickerei. Der Teppich solle auf Herbert’s Weihnachtstisch kommen, wurde ihr geheimnißvoll zugezischelt, eigentlich aber sei er dazu bestimmt, im künftigen jungen Haushalte vor dem Damenschreibtisch zu liegen. Und Margarete stickte unverdrossen an den Blüthenbüscheln, auf welche der Fuß der schönen Heloise treten sollte.

Um vier Uhr kam auch der Herr Landrath vom Amte heim. Er hatte nebenan sein Arbeitszimmer. Eine Zeitlang hörte man drüben Leute kommen und gehen; der Amtsdiener brachte Aktenbündel, ein Gendarm machte eine Meldung und bittende Stimmen wurden laut, und Margarete mußte denken, wie doch die tiefe, behütete Stille in den oberen Regionen des alten Kaufmannshauses völlig verscheucht sei durch Bewohner, die den Namen Lamprecht nicht führten. Das hätten sich die alten Kaufherren auch nicht träumen lassen! Es war immer ihr Stolz gewesen, das mächtige Vorderhaus allein zu bewohnen und das obere Stockwerk lieber leer stehen zu lassen, auf daß kein fremder Fuß das Recht habe, ihre schöne breite Treppe auf- und abzuwandern und profanen Lärm zu machen.

Trotz des Sturmes, ja, gerade in einem Momente, wo die Fenster unter heftigen Windstößen klirrten, wurde auch ein reizend arrangirter Korb voll köstlichen Tafelobstes aus dem Prinzenhofe gebracht. Der Frau Amtsräthin zitterten die Hände vor Freude über die Aufmerksamkeit. Sie breitete schleunigst ein verhüllendes Tuch über den Weihnachtsteppich und rief den Sohn herüber, nachdem sie den Boten mit einem reichen Trinkgeld entlassen.

Der Landrath blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, als sei er betroffen, noch Jemand außer seiner Mutter im Zimmer zu finden; dann kam er näher und grüßte nach dem Fenster hin, an welchem Margarete saß.

„Guten Tag, Onkel!“ erwiderte sie seinen Gruß freundlich gleichmüthig und stickte an dem Teppichende weiter, das unter dem Tuch hervorsah.

Er zog flüchtig die Brauen zusammen und warf einen zerstreuten Blick auf den Obstkorb, den ihm seine Mutter entgegenhielt. „Seltsame Idee, bei solchem Wetter einen Boten in die Stadt zu jagen!“ sagte er. „Das hatte doch Zeit –“

„Nein, Herbert!“ unterbrach ihn die Frau Amtsräthin. „Das Obst ist frisch gepflückt und sollte seinen Duftanhauch nicht verlieren. Und dann – Du weißt ja, daß man draußen nicht gern einige Tage vergehen läßt, ohne daß gegenseitig Lebenszeichen ausgetauscht werden ... Welch köstlicher Duft! Ich werde Dir gleich einen Teller voll Birnen und Trauben arrangiren und hinüberstellen –“

„Danke schön, liebe Mama! Freue Dich nur selbst daran. Ich erhebe keinen Anspruch – die Aufmerksamkeit gilt einzig und allein Dir.“

Damit ging er wieder hinüber.

„Er ist empfindlich, weil das Liebeszeichen nicht direkt an ihn selbst adressirt war,“ flüsterte die Frau Amtsräthin der Enkelin ins Ohr, während sie nach ihrer Brille griff und die Arbeit wieder aufnahm. „Mein Gott, noch kann und darf ja Heloise nicht in der Weise vorgehen! Er ist so scheuverschlossen, so unbegreiflich wenig kourageuse und scheint fast zu hoffen, daß sie zuerst das entscheidende Wort herbeiführen soll. Dabei ist er furchtbar eifersüchtig, selbst auf mich, auf seine selbstlose Mama, wie Du eben gesehen hast. … Ja, Kind, darin wirst Du nun auch Deine Erfahrungen machen!“ setzte sie laut in neckendem Tone hinzu und war damit wieder bei dem Thema angelangt, das der Bote vorhin unterbrochen. Sie versuchte, die Fensternische zum Beichtstuhle zu machen – es handelte sich um das Schreiben des Herrn von Billingen-Wackewitz. Margarete hatte das Papier gestern Abend noch verbrannt, und die ablehnende Antwort war bereits unterwegs. Darüber entschlüpfte ihr aber kein Wort. Sie antwortete diplomatisch einsilbig und war innerlich empört, daß die alte Dame den Namen des Zurückgewiesenen einige Male so laut und ungenirt nannte, als gehöre er bereits zur Familie. Es verletzte sie um so mehr, als die Thür des Nebenzimmers vorhin nicht fest genug geschlossen worden war; der klaffende Spalt erweiterte sich zusehends, und wer drüben aus- und einging, konnte jede dieser indiskreten Bemerkungen hören.

Die Großmama hatte die Thür freilich im Rücken und konnte nicht wissen, daß sie offen stehe, bis sie durch ein Geräusch drüben aufmerksam wurde und sich erstaunt umdrehte. „Wünschest Du Etwas, Herbert?“ rief sie hinüber.

„Nein, Mama! Erlaube nur, daß die Thür ein wenig offen bleibt; man hat mein Zimmer überheizt!“

Die Frau Amtsräthin lachte leise in sich hinein und schüttelte den Kopf. „Er denkt, wir sprechen von Heloise, und das ist selbstverständlich Musik für sein Ohr,“ raunte sie der Enkelin zu und sprach sofort vom Prinzenhof und seinen Bewohnern.

Nicht lange mehr, da fing es an zu dämmern. Die Arbeit wurde zusammengerollt und weggelegt, und damit waren auch die überschwenglichen Schilderungen der Großmama zu Ende. Margarete athmete auf und verabschiedete sich schleunigst. Sie brauchte auch nicht einmal in das Nebenzimmer zu grüßen – die Thür war längst wieder leise von innen zugedrückt worden.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_158.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)
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