Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
|
„Ihr müßt mir schon gestatten, des Weges zurückzukehren, den wir unbefugter Maßen gekommen sind,“ sagte er, während er bei den Mädchen vorüber kam. Dabei blickte er sie aufmerksam an, um diejenige herauszufinden und noch einmal besser zu betrachten, die seinem Gefährten den wunderlichen Dienst geleistet hatte. Aber es war nicht möglich, ihrer Person gewiß zu werden, da sie sich geflissentlich zwischen den übrigen hielt.
Georg indessen hatte die letzten Augenblicke benutzt, um seines Pferdes völlig Meister zu werden. Dann spähte auch er scharf nach den Mädchen hin, lüftete das Barett und rief mit blitzenden Augen. „Meinen Dank bleibe ich einstweilen schuldig, Jungfer!“
Er folgte nun dem alten bekannten Pfad, der hier diesseit des Wassers wieder auftauchte. Hinter ihm in der Tiefe gurgelte der Bach. Er hielt sein Pferd an und sah sich um nach der Schlucht, mit der sonderbarsten Empfindung, die er je in seinem Leben gehabt hatte. Er hatte, was ihm noch selten oder nie geschehen war, einmal einen eigensinnig und tollkühn begonnenen Streich nicht auf seine Weise zu Ende gebracht. Er war sogar, so zu sagen, jämmerlich darin stecken geblieben. Und doch empfand er darüber keinen besonderen Aerger. Vielmehr beschäftigte etwas Anderes, als sein Mißlingen, seine Gedanken, und zwar auf keine unangenehme Weise. Er wiederholte sich immer von neuem die wenigen Augenblicke, da der Leib des Mädchens sich an sein Pferd gedrängt hatte, und besonders war es die Eigenheit ihrer Körperbildung, welche seine Einbildungskraft sich bemühte zu erneuern, ein schlanker Nacken und Rücken und edelgeformte Schultern. Ihr Gesicht hatte er kaum gesehen, er gedachte aber das Versäumte sehr bald nachzuholen.
Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.
Was ist Flamme? Wir müssen zu unserer Schande gestehen, bisher hatten wir uns die Frage gar nicht vorgelegt, und es erging uns in dieser Beziehung wie mit vielen anderen Dingen, die wir täglich sehen, ohne daß es uns einfiel, uns über das Wesen derselben Rechenschaft abzugeben. Die Flamme leuchtet, die Flamme wärmt. Das war uns genug. Wozu sich mit Weiterem abquälen? Es interessirten uns eigentlich nur die Mittel und Versuche zur Erhöhung der Wirkung dieses unfaßbaren und wechselreichen Dings, welches Flamme geheißen wird, weil das Wohlsein des Menschen, besonders in den langen Winterabenden, sehr wesentlich davon abhängt.
Da hielt vor einiger Zeit der bekannte Glasfabrikant und Erfinder der Regenerativ-Gasbrenner Friedrich Siemens in der Sitzung des Vereins für Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen einen sehr anregenden Vortrag, der unsere Aufmerksamkeit auf das Wesen der Flamme um so mehr hinlenkte, als die von dem Genannten gegebene Erklärung zugleich ein Mittel in sich zu schließen scheint, die kostbaren Brennstoffe, die wir jetzt in der unsinnigsten Weise vergeuden, besser auszunutzen.
Elektrisch ist heutzutage Alles, auf elektrische Vorgänge wird Alles zurückgeführt, und dem wunderbaren Agens, über dessen Wesen wir so unwissend sind wie am Tage seiner Entdeckung, wird Alles zugemuthet. Hat doch die erste Autorität auf diesem Gebiete, Dr. Werner Siemens, der Ansicht Raum gegeben, es werde dereinst gelingen, selbst Nahrungsmittel auf elektrischem Wege zu erzeugen und damit Fasan und Austern auch dem flachsten Geldbeutel zugänglich zu machen. So erklärt der Bruder des großen Elektrikers auch die Flamme für eine elektrische Erscheinung. Flamme ist, nach dessen Ansicht, die übrigens von vielen Gelehrten getheilt wird, das Ergebniß einer unendlichen Zahl von äußerst kleinen Blitzen, welche durch die äußerst rasche Bewegung von Gastheilchen entstehen und ein Bombardement im Kleinen ausführen.
Soweit wäre Alles sehr schön, und wir haben gegen die Miniaturblitze absolut nichts einzuwenden. Es fragt sich nun vor allen Dingen: Welchen Nutzen können wir aus der Erkenntniß von dem blitzartigen Wesen der Flamme ziehen? Ist diese Erkenntniß praktisch verwerthbar? Friedrich Siemens bejaht diese Frage sehr entschieden und führt den überzeugenden Beweis, diese Erkenntniß werde eine erheblich höhere Verwerthung der Brennstoffe und damit eine wesentliche Verwohlfeilerung derjenigen Industrien und Gewerbe zur Folge haben, deren Betrieb vom Feuer abhängt.
Blitze gehen nicht gerade sanft zu Wege, das weiß Jedermann. Und so üben die wenn auch sehr kleinen elektrischen Entladungen, welche das Wesen der Flamme ausmachen, auf die in der Nähe befindlichen festen Körper eine rauh zerstörende Wirkung, welche nicht bloß Geld kostet, sondern auch die Kräfte der Flamme zum Theil absorbirt und deren Wirken beeinträchtigt. Hieraus ergiebt sich, daß man in dem ersten Stadium der Verbrennung, wo die Flamme eine lebhafte ist, diese Körper möglichst zu entfernen suchen müsse, damit die Flamme sich frei entfalten und nicht durch Berührung, sondern durch Strahlung wirken könne. Hieraus ergiebt sich ferner, daß wir höchst verkehrt handeln, wenn wir in Stubenöfen, Dampfkesseln, Hochöfen die Flamme gewissermaßen in eine Zwangsjacke stecken, sie nöthigen, durch schmale Oeffnungen hindurch zu kriechen und hierbei ihre Wärme an feste Körper abzugeben. Damit befördern wir nur die Rauchbildung, das ist eine unvollkommene Verbrennung, und verpesten die Luft mit Gasen, die, wenn richtig behandelt, sehr wohlthätig gewirkt hätten. Dieses Einzwängen des Feuers ist, Friedrich Siemens zufolge, nur in dem zweiten Stadium der Verbrennung am Platze, wo die Flamme ihre Lebhaftigkeit eingebüßt hat. Hier mag sie durch Berührung wirken und den zweiten Theil ihrer Lebensaufgabe erfüllen.
Wir übergehen als nicht in den Rahmen dieser Plauderei gehörend die Anwendung der neuen Flammentheorie auf den Hochofen- und Dampfkesselbetrieb, durch welche, schon weil das Material auf diese Weise nicht so stark angegriffen wird, wesentliche Ersparniß zu erzielen wäre. Uns interessirt hier hauptsächlich die Anwendung auf unsere im Argen liegenden häuslichen Heizungsverhältnisse. Der Stubenofen taugt, wenn Friedrich Siemens Recht behält, wenig; höchstens läßt er sich in dem zweiten Stadium der Verbrennung als Wärme aufnehmender Körper verwerthen, für das erste Stadium aber, in welchem sich die Flamme nach allen Seiten hin frei entfalten soll, ist nur eine kaminartige Feuerung verwendbar, deren zweckmäßigster Bau freilich noch nicht einmal auf dem Papier steht. Vielleicht beschenkt uns Friedrich Siemens auch mit seinem rauchverzehrenden Kaminofen, dem die Zukunft alsdann gehören möchte. Uns schwebt ein möglichst offener Feuerraum vor, in welchem die Flamme erst durch Strahlen wirkt, worauf die glühenden Kohlen mittelst einer natürlich elektrisch zu handhabenden Vorrichtung – der Leser sieht, wir stehen auf der Höhe der Zeit – in einen dahinter liegenden Ofen befördert werden, wo sie vollends austoben. Der Gedanke taugt wahrscheinlich nicht, weßhalb wir ihn ohne irgendwelche Ansprüche auf Erfinderrechte hiermit der Oeffentlichkeit übergeben.
Doch genug von Feuer und Flamme! Wir wollen uns nunmehr mit der edlen Kunst Gutenberg’s beschäftigen. „Schwarz auf Weiß“ ist von jeher der Wahlspruch der Jünger des bedeutenden Mainzers gewesen, und sie hielten bislang an den preußischen Farben im Allgemeinen krampfhaft fest, wenn auch die Verwendung von gelblichem oder rosaangehauchtem Papiere in den letzten Jahren Fortschritte machte. Es stellte sich indessen nach dem Ausspruche eines Holländers, dessen Name uns entfallen, heraus, daß wir damit auf Abwege gerathen sind, daß der scharfe Gegensatz zwischen Schwarz und Weiß dem Augenlichte ungemein schadet. „Dunkelblau auf Hellgrün“, das ist die Losung unseres Niederländers. Es werden mit anderen Worten die Bücher und Zeitungen künftig mit dunkelblauer Farbe auf meergrünes Papier gedruckt.
Ein Angehöriger der „großen Nation“, Namens Guichard, will den Stein der Weisen entdeckt haben. Dessen „Stein“ besteht indessen nicht in der Kunst „Gold“ zu machen, sondern in der vielleicht ebenso werthvollen Kunst, bedrucktem Papier wieder zur Farbe der Unschuld zu verhelfen, das durch aufgepreßte Litteratur verdorbene, edle Holzzeug – von Lumpen ist ja bei der Papierfabrikation wenig mehr die Rede – von Neuem marktgängig zu machen. Das Kunststück haben zwar Viele fertig zu bringen versucht; deren Verfahren erwiesen sich jedoch stets als zu theuer, die Farbe haftete zu fest. Die Litteratur wollte von der Stelle nicht weichen. Guichard versichert nun, es sei ihm gelungen, und er habe damit dem Schriftthum ungeahnte Bahnen geöffnet. Wenn erst das Papier immer von Neuem bedruckt werden kann, wird die bleiche Furcht vor dem Worte Makulatur den Verleger nicht mehr plagen, und er wird manchem Manuskript zum Dasein verhelfen, welches sonst in den Tiefen des Schreibpultes oder gar des Papierkorbes zur ewigen Ruhe verurtheilt worden wäre. Was aber die Zeitungen und Zeitschriften anbelangt, so erreichen sie damit eine unerhörte Wohlfeilheit, weil der Abnehmer sie gewissermaßen nur geliehen bekommt. Nach beendetem Lesen wandern sie wieder zur Papiermühle, wo sie von der anhaftenden Gedankenfülle befreit und in den Stand gesetzt werden, neue, zeitgemäße Eindrücke zu empfangen.
Wir nähern uns übrigens der gesegneten Zeit immer mehr, wo
der Gedanke auf der einen Seite in eine Maschine gesteckt wird und
auf der anderen Seite als fertiges Buch herauskommt. Während der
Ingenieur Hagemann in Berlin die beweglichen Typen ganz abschaffen
und Bücher und Zeitschriften gleich stereotypiren will, kommt der Deutsch-Amerikaner Feister mit einer Maschine, welche die Bogen nicht blos bedruckt
und falzt – das leistet jede sogenannte Rotationsmaschine längst —
sondern gleich heftet und mit Umschlag versieht. Andererseits prophezeite
der Nestor der amerikanischen Schnellpressen-Fabrikanten, Oberst Hoe,
kurz vor seinem Tode den baldigen Untergang seiner eigenen Kunst, den
Ersatz der Schnellpresse durch die Photographie. Die Zeitungen werden
in Zukunft nur noch in einem Exemplare abgezogen, und von diesem
als Negativ zu druckenden Abzug in so unglaublich kurzer Zeit mit Hilfe
der Trockenplatten und des elektrischen Lichtes positive Abzüge hergestellt,
daß man in einer Stunde bequem 300000 Exemplare erhält. Die
Herstellung selbst der großen Auflage der „Gartenlaube“ ist alsdann ein
kleiner Spaß, und was heute in der Welt passirt, kann sie morgen ihren Lesern darbieten.
G. van Muyden.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_171.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)