Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
|
Angeln, und im Thürrahmen, mühsam gegen den Anprall sich haltend, stand ihr Vater.
Er sah den Laternenschein, der neben ihm hin auf die Dielen der Dachkammer draußen fiel, und wandte sich um.
„Du bist’s, Gretchen?“ fragte er. „Jagt Dich der Aufruhr auch durch das Haus? Es sieht schlimm aus hier oben. Wie vor den Posaunenstößen des Weltgerichts stürzt das Bischen Menschenwerk zusammen – nicht die Sonne allein, auch der Sturm bringt’s an den Tag, mein Kind!“, setzte er mit einem unheimlichen Lächeln, das sie betroffen machte, hinzu. „Schau, jahrhundertelang hat geheimnißvolles Dunkel unter dem alten Dache gespukt, und nun scheinen die Sterne auf die Dielenbretter, und man meint die Fußspur von Denen zu sehen, die einst da gegangen sind.“
Er stieg das Treppchen herauf; Tante Sophie kam eben auch den Gang daher. Sie schlug die Hände zusammen. „Um Alles in der Welt, hat denn der Spektakelmacher uns Lamprechts ganz extra aufs Korn genommen? Das ist ja die reine Wüstenei!“ schalt sie empört und zeigte nach der aufgerissenen Thür. „Seit Menschengedenken hat keine Seele an das Thürschloß gerührt, und nun –! Das Loch muß auf der Stelle zugemacht werden, wenn wir nicht das Haus voll Ratten haben wollen!“
„Ratten?! – Mir war’s eben noch, als käme eine weiße Taube hereingeflattert,“ sagte der Kommerzienrath wieder mit jenem höhnisch bitteren Lächeln, das seine Lippen schmerzhaft aufzucken machte.
Tante Sophie erschrak. „Na, das fehlte noch, daß uns auch der Taubenschlag abgedeckt ist!“ rief sie und trat resolut um einige Schritte hinaus, um zwischen dem Balkenwerke hindurch nach dem Dache des Weberhauses zu sehen, wo ihre gefiederten Pfleglinge hausten.
Der Kommerzienrath wandte sich achselzuckend ab und ging hinunter in die Erdgeschoßwohnung. Er kam bald darauf mit dem Kutscher und dem Hausknecht zurück, die eine Leiter und Balkenstücke trugen. Nur mit Mühe gelang es ihnen, die Thür anzudrücken; dann wurden die Balken dagegen gestemmt.
„Vielleicht war’s gut, daß der Sturm einmal da durchgefegt ist,“ hörte Margarete den Kutscher bei der Arbeit halblaut zu dem Andern sagen, während sie mit ihrem Vater und Tante Sophie bemüht war, die umgeworfenen Bilder wieder aufzurichten. „Da hinaus will’s ja partout immer, das Unwesen! Ich hab’s ja selbst einmal mit eigenen Augen gesehen – es müssen nun an die zehn Jahre her sein – wie die weiße Schleierwolke geradeswegs durch den Gang in die Ecke da schoß, als ginge es direktement ins Freie ’naus – ja Prosit! – da war die Welt mit Brettern verschlagen, und das Schleierzeug zerflog und zerflatterte nur so an den Wänden – immer die nämliche Geschichte, seit die Frau todt ist und nicht in den Himmel kommen kann! Nun ist aber da ein Luftloch gewesen, gerade weit genug, um so ein armes Weiberseelchen ’nauszulassen – das wär’ gut für die Herrschaft, und ihr wollte ich die Ruhe auch gönnen. Verdient hat sie’s freilich nicht; denn sie ist’s doch gewesen, die ihren Liebsten ’rumgekriegt hat, daß er der ersten Frau sein Wort nicht halten durfte. An so einer Falschheit sind allemal die Weiber schuld, allemal!“
Der Zugwind trug jedes Wort deutlich herüber, und den stolzen Kommerzienrath mochte die Kritisirung seiner Vorfahren aus unberufenem Dienermunde schwer ärgern – Margarete sah, wie er die geballte Hand hob, als wolle er den Sprecher züchtigen; aber er ließ es bei einem zornigen: „Vorwärts! Sputet Euch!“ bewenden, worauf der Kutscher erschrocken die Leiter anlehnte und zu dem Fensterchen emporkletterte, das ebenfalls möglichst verbarrikadirt wurde.
Margarete verließ den Gang und trat für einen Moment in das nächste Fenster des Flursaales. Aus verschiedenen Fenstern des Vorderhauses fiel heller Lampenschein in den Hof, auf die sausenden Lindenwipfel und die spritzenden Wasser des Brunnens, und mit Schmerz sah das junge Mädchen, daß die steinerne Brunnennymphe über den vier wasserspeienden Röhren fehlte – der Sturm hatte auch sie herabgerissen, wie ein mächtiges Simsstück droben am Dache des spukhaften Flügels, über welche gähnende Lücke gerade ein breiter Lichtstreifen aus den oberen Flursaalfenstern hinlief. Droben wachte man auch.
Sie sah plötzlich ihren Vater neben sich stehen, während die beiden Männer mit ihrer Leiter geräuschvoll hinter ihnen weg nach dem Ausgange trabten. Er legte seine Hand schwer auf die Schulter der Tochter und zeigte empor nach dem unbeweglich auf dem Dache liegenden Lampenschein.
„Das sieht so still aus inmitten des Aufruhres, so stolz, ruhig wie die Bewohner unserer vornehmen oberen Etage selbst. … Wenn sie wüßten! – Morgen wird es einen Sturm da oben gehen, einen Sturm, so wild wie der, unter welchem eben unser altes Haus in seinen Fugen bebt!“
Tante Sophie kam eben mit der Laterne um die Gangecke und da brach er kurz ab. „Auf Morgen denn, mein Kind!“ sagte er, dem jungen Mädchen die Hand drückend; dann nahm er die Lampe vom Büffet und zog sich in sein Zimmer zurück. –
Nach Mitternacht legte sich der Sturm. Die Lichter in den Häusern der Stadt erloschen, und die geängstigte Bewohnerschaft suchte noch schleunigst die wohlverdiente Ruhe. Auch im Hause Lamprecht wurde es still; nur Bärbe warf den Kopf in ihren buntgewürfelten Bettkissen hin und her und konnte vor Aerger nicht schlafen – es war eben kein richtiges, festes Glauben und kein Verlaß mehr in der Welt. Nun schwatzten die beiden dummen Menschen, der Kutscher und Friedrich, der Herrschaft auch „nach dem Munde“ und behaupteten, die Bilder seien es gewesen, und erst hatten sie doch kreideweiß in der Küche gesessen und heilig und theuer geschworen, daß das Pochen und Stampfen oben im Gange nichts Anderes als Teufelsspuk sein könne. Aber nur Geduld – es kam schon noch, es kam! –
Am anderen Morgen war es förmlich kirchenstill in den Lüften. Die Sonne übergoß alles Trümmerwerk, von den durchlöcherten Thürmen und Kirchendächern an bis zum niedergeworfenen Gartenstaket herab mit warmem gleißenden Golde und lockte ein wahres Brillantengefunkel aus den Scherben Und Splittern der zerschlagenen Fensterscheiben. Ja, der „Spektakelmacher“ hatte viel Unheil angerichtet, und die Handwerker hatten für die nächste Zeit vollauf zu thun, um den Schaden gut zu machen.
Aus Dambach war beim Morgengrauen ein Bote mit Hiobsposten gekommen. Das Unwetter sollte die Fabrikgebäude dermaßen beschädigt haben, daß eine längere Betriebsstörung zu befürchten stand. Daraufhin war der Kommerzienrath in aller Frühe hinausgeritten. Er habe ganz frisch ausgesehen und auch erst in aller Ruhe seinen Kaffee getrunken, sagte Tante Sophie auf das ängstliche Befragen Margaretens hin, die noch geschlafen hatte. Freilich habe er eine Sorgenfalte zwischen den Augen gehabt; es sei ja auch keine Kleinigkeit, wenn die Fabrik still stehe, und außerdem müsse tief in den Beutel gegriffen werden, schon allein der Reparaturen an den Hintergebäuden wegen, denn da sähe es beim Tageslichte geradezu gottheillos aus.
Margarete trat auf die Thürstufen des Seitenflügels hinaus und überblickte den verwüsteten Hof, und in diesem Augenblicke kam auch der Herr Landrath, gestiefelt und gespornt und die Reitgerte in der Hand, vom Vorderhause her und ging nach den Pferdeställen. Ob er den alten Mann in der That nicht bemerkte, oder ob auch für ihn das Princip im Vorderhause galt, nach welchem das Dasein der Packhausbewohner möglichst ignorirt wurde, genug, er trat unter die Stallthür, ohne die höfliche Begrüßung des Maler Lenz zu erwidern, der in der Nähe des Brunnens stand.
Der alte weißhaarige Mann war, wie es schien, lediglich über den das ganze Packhaus absperrenden Trümmerhaufen geklettert, um die Bruchstücke der zerschlagenen Brunnennymphe zusammenzusuchen. Er hatte eben den Kopf des Steinbildes aus dem Grase aufgenommen, als Margarete zu ihm trat und ihm mit herzlichem Gruße die Hand hinstreckte. Sie hatte ihn ja immer lieb gehabt, den stets heiteren, lebensfrohen greisen Künstler, der mit so gutem, treuem Auge durch seine Brillengläser in die Welt sah, und heute noch stand ihr jener Moment vor der Seele, wo sie sich als Kind in ihrer trostlosen Verlassenheit mit dem wonnigen Gefühl des Geborgenseins an seine Brust geschmiegt hatte. Das vergaß sie nie.
Er freute sich wie ein Kind, sie wiederzusehen, und versicherte fröhlich auf ihre theilnehmenden Fragen nach seiner erkrankten Frau, daß daheim Alles wieder wohlauf Und zufrieden sei, wenn auch augenblicklich das Dach über dem Haupte fehle. Der Sturm habe schlimm gehaust, seine ruchloseste That sei aber doch die Zertrümmerung der Brunnennymphe, eines seltenen Kunstwerkes, das immer sein Augapfel gewesen sei. Und nun sprach er über
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_175.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2024)