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Seite:Die Gartenlaube (1885) 176.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

die köstlichen Linien des Nymphenkopfes in seinen Händen und über verschiedene berühmte weibliche Statuen der antiken Welt, ein Thema, auf welches Margarete lebhaft einging, um so mehr, als der alte Mann ein ausgezeichnetes Kunstverständniß an den Tag legte. … Und währenddem war der Landrath wieder in der Stallthür erschienen; er hatte das junge Mädchen von dorther gegrüßt, und nun ging er wartend langsam unter den Linden auf und ab.

Margarete hatte seinen Gruß nur mit einem flüchtigen Kopfnicken erwidert – die Art und Weise, mit welcher sich der hochmüthige Bureaukrat dort isolirte, empörte sie – nun, er brauchte ja auch für sie nicht da zu sein. Im Gespräche weiter gehend, begleitete sie den alten Maler durch den Hof, nach dem Packhaus; dort sprang sie auf den Trümmerhaufen und hielt dem mühsam Hinaufkletternden helfend beide Hände hin. So leicht sie war, das locker über einandergeworfene Bollwerk krachte und wich doch unter ihren Füßen, und jeder noch so vorsichtige Tritt des alten Mannes brachte es in schütternde Bewegung.

Jetzt kam auf einmal Leben in die statuenhaft ruhige Erscheinung des Landraths. Er warf seine Reitgerte auf den Gartentisch und eilte in förmlichem Sturmschritte nach den Trümmern. Schweigend stieg er auf das nächste Balkenstück und reckte die Arme empor, um die Schwankende zu stützen und ihr herabzuhelfen.

„Ei, beileibe nicht, Onkel! Du riskirst die Nähte Deiner neuen Handschuhe!“ rief sie mit einem halben Lächeln und den Kopf nur wenig nach ihm zurückwendend, während ihre Augen gespannt die letzte Anstrengung des alten Mannes verfolgten, der eben drüben glücklich den Boden erreichte. „Adieu, Herr Lenz!“ rief sie ihm in warmherzlichem Tone zu, dann trat sie einen Schritt seitwärts und flog wie eine Feder über die emporstarrenden Holzstücke hinweg auf die Erde nieder.

„Das war eine unnütze Bravour, die schwerlich Jemand bewundern dürfte,“ sagte der Landrath frostig, indem er ein herabgefallenes kleines Lattenstück von seinem Fuße schüttelte.

„Bravour?“ wiederholte sie ungläubig. „Denkst Du wirklich an Gefahr dabei? Hier unten erdrückt das morsche Bretterwerk Niemand mehr.“

Seine Augen streiften seitwärts ihre zarte, biegsame Gestalt. „Es käme darauf an, wer zwischen diese nägelgespickten Trümmer geriethe –“

„Ah, danach zählst Du den guten alten Maler zu den körperlich und moralisch Unverwundbaren? Du rührtest weder Hand noch Fuß, ihm hinüberzuhelfen, so wenig wie Du vorhin seinen höflichen Morgengruß erwidert hast.“

Er sah fest und prüfend in ihre Augen, die in bitterer Gereiztheit flimmerten. „Das Grüßen ist wie Scheidemünze; es geht von Hand zu Hand und bleibt an keinem Finger hängen,“ entgegnete er ruhig. „Wenn Du also glaubst, beschränkter Hochmuth hindere mich, einen Gruß zu erwidern, so irrst Du – ich habe den Mann nicht gesehen –“

„Auch nicht, als er dort neben mir stand?“

„Du meinst, ich hätte hinzutreten und auch mein Gutachten über den Nymphentorso abgeben sollen?“ unterbrach er sie, und ein Lächeln flog um seinen Mund. „Möchtest Du wirklich, daß sich Der, welchem Du ja nicht oft genug den ehrwürdigen Onkeltitel geben kannst, in seinen alten Tagen blamire? … Ich verstehe nichts von diesen Dingen, und wenn ich mich auch dafür interessire, so habe ich doch nie Zeit gehabt, mich eingehend damit zu beschäftigen.“

„O, Zeit und Lust genug, Onkel!“ lachte sie. „Ich weiß noch genau, wie dort unter den Küchenfenstern“ – sie zeigte nach dem Vorderhause – ein großer Junge stand, die Taschen voll Kiesel, und stundenlang die arme Brunnennymphe mit den hübschen, runden Steinchen bombardirte –“

„Ach sieh – so giebt es doch noch eine Zeit in Deiner Erinnerung, wo auch ich jung für Dich gewesen bin –“

„‚Ursprünglich‘ willst Du sagen, Onkel! – Eine Zeit, wo der Diplomatenfrack noch nicht die möglichste Reserve auferlegte, wo der Kletterbaum nur als Nebelbild in weiter Ferne dämmerte; eine Zeit, wo Gluth und Leidenschaft in Deinen Augen flammten und Deine Hand regierten – ich hab’s empfunden, dort!“ Sie deutete nach der Gartenmöbelgruppe unter den Linden. – „Gott weiß, in welcher Ecke sie jetzt unbeachtet zerfällt, die weiße Rose, um welche damals mit einer Erbitterung, einem Feuer gekämpft wurde, als sei sie das schöne, blonde Mädchen unter den Aristolochiabogen selbst!“

Sie sah mit Genugthuung, wie er wiederholt sich verfärbte. Von all Denen, die den Herrn Minister in spe, den zukünftigen Verwandten des Fürstenhauses umschmeichelten, hätte es gewiß Keiner gewagt, ihn an diese ,Jugendtollheit‘ zu erinnern – sie that es mit Freuden. Er mußte sich schämen, wenn er jene erste enthusiastische Liebe mit seiner heutigen Selbstsucht und Herzensverknöcherung verglich.

Aber eigentlich beschämt oder bestürzt sah er doch nicht aus. Er wandte sich ab und überblickte den verwüsteten Gang des Packhauses, der einst mit seinem üppig wuchernden grünen Pflanzenschmucke das schönste Mädchenbild umrahmt hatte. Wie ein Zauberspuk war Alles verschwunden. Das Rankengeflecht war von dem stürzenden Dach mit heruntergerissen und bis auf das kleinste Blättchen unter dem grausen Scherben- und Splittergemenge begraben, und das Mädchen? – Seit sie damals durch das Thor des Packhauses in die weite Welt gegangen, hatte kein Menschenauge sie wiedergesehen. Niemand wieder von ihr gehört.

„Fata Morgana!“ sprach er halblaut vor sich hin, wie in die Erinnerung von damals verloren. Er hatte vorhin bei Erwähnung des Kletterbaumes leise gelächelt, und auch jetzt spielte derselbe Zug um seine Lippen, während ein leichtes Roth in seine Wangen stieg: „Die Rose nicht allein, auch eine blaue Seidenschleife, die der Wind von dem blonden Haar in den Hof herabgeweht hatte, und einige achtlos über das Ganggeländer geworfene, bekritzelte Papierschnitzel liegen noch als treubehütete Reliquien in der Brieftasche von damals bei einander,“ sagte er, halb und halb ironisirend, und doch bewegt. Er schüttelte den Kopf. „Daß Du Dich des Vorfalles noch erinnerst!“

Sie lachte. „Wunderbar ist das doch nicht! Ich habe mich in jenem Moment vor Dir und Deiner stummen, bleichen Wuth gefürchtet – so etwas vergißt ein Kind so wenig, wie einen Akt der Willkür, gegen den sich sein Gerechtigkeitsgefühl empört. Der große Herr Primaner hatte stets gegen Raub und Diebstahl gedonnert, wenn die Finger der ,naschigen Grete‘ mit dem Obstteller der Großmama verstohlen in Berührung gekommen waren, und da griff er nun selbst heimlich wie ein Dieb nach dem Eigenthum der schönen Blanka und ließ es in der Brusttasche verschwinden.“

Jetzt lachte auch er. „Und seit jenem Moment bist Du meine Widersacherin –“

„Nein, Onkel, Du hast ein schlechtes Gedächtniß. Gut Freund sind wir ja nie gewesen, auch vorher nicht. Du hast die Erstgeborene Deiner Schwester nie leiden können, und ich habe Dich konsequenter Weise rechtschaffen dafür geärgert. Diese Rechnung ist stets ehrlich und redlich ausgeglichen worden.“

Seine Stirn hatte sich, während Margarete sprach, verfinstert, und auch jetzt blieb er ernst. „Das wäre mithin abgemacht gewesen,“ sagte er; „trotzdem bist Du beflissen, jetzt erst recht Abrechnung mit mir zu halten –“

„Jetzt, wo ich mich eifrig bemühe, Dich nach Titel und Würden streng zu respektiren?“ Sie zuckte lächelnd die Schultern. „Wie es scheint, nimmst Du mir den Fürwitz übel, mit welchem ich Dich an die rosa blanca erinnert habe; und Du hast ja auch Recht, es war übereilt und nicht gerade taktvoll. Aber es ist seltsam: seit ich vorhin mit dem alten Mann gesprochen habe, steht mir ein verhängnißvoller Tag meiner Kindheit so lebhaft vor Augen, daß ich die Erinnerung nicht los werde. Da habe ich die Malerstochter zum letzten Mal gesehen – sie war blaß und verweint, und das starke, blonde Haar hing ihr aufgelöst über den Rücken … Ich habe von klein auf eine fast närrische Schwäche für Mädchenschönheit gehabt – die lebendigen schlanken Griechemnädchen haben mich zum Aerger des Onkels ebenso interessirt, wie die ausgegrabenen Götterbilder, und in Wien bin ich einer schönen Serbin durch Gassen und Straßen nachgelaufen; und doch haben nur alle diese späteren Erscheinungen das Bild von Blanka Lenz nicht verdrängen können … Die Frage nach ihr schwebte mir vorhin auf den Lippen, trotzdem schwieg ich; mir war plötzlich, als müßte ich ihrem Vater mit dem Tochternamen wehe thun. Das Mädchen ist so völlig verschollen – ich glaube, Niemand in unserem Hause weiß, was aus ihr geworden ist, oder –?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_176.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2024)
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