verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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Der Kongo und die Gründung des Kongostaates.[1]
Ein hoher Berg langer bedruckter Zettel liegt vor mir. Mit neugieriger Hast durchfliege ich Seite um Seite. Bald fühle ich mich wie von einem Zauber erfaßt, der Wirklichkeit entrückt, in eine andere Welt versetzt.
Fremdartig sind die Menschen, die ich schaue, fremdartig die Wälder und Berge, durch die ich schweife, und selbst das Licht, das auf die Landschaft niederstrahlt, ist so sonderbar, so eigenartig. Nicht das warme Gold, in dem die Wälder meiner Heimath erröthen, sendet hier das Tagesgestirn hernieder – über diesen „feierlich aussehenden Hügeln“ waltet der seltsame „afrikanische Sonnenschein“, der, trotz seiner Gluth einer Art stärkeren Mondlichts vergleichbar, die Schatten vertieft und das schwärzlich-grüne Laubwerk der Wälder verdunkelt. Seine Wirkung ist ein erkältender Ernst, eine unbeschreibliche Feierlichkeit.
Bald jedoch ändert sich das Bild. Mit tobenden Stürmen stürzen Regenmassen auf das stille, todte Land hernieder; weicher und anmuthiger wird der Anblick; auf den früher sonnverbrannten Flächen schaukeln üppige Grasfluren, und Vögelvölker und ganze Heerden von Rindern und Ziegen erfreuen das Auge.
Und jetzt ruhe ich im tiefen Schatten des Urwaldes; kreischende Papageienschaaren schwirren über meinem Haupte, und ihrem Zuge folgend, besuche ich weite Seen, deren tiefschwarze Gewässer geheimnißvoll mein staunendes Antlitz wiederspiegeln.
Ein Land der Märchen und Wunder! Aber die Größe der Natur allein ist es nicht, die mein Sinnen und Trachten gefangen hält. Fesselnderes soll ich noch schauen als die Pracht der tropischen Urwälder und die Majestät eines gewaltigen Weltstromes. Zwischen Palmen und Bananen grüßen mich Werke der Menschenhand, von den Hügeln wehen Flaggen neugegründeter Siedelungen – Spuren des Kampfes, den der weiße Mensch mit der tropischen Natur unternommen, Zeichen der Siege, die er über ihre feindliche Macht errungen. –
Die langen bedruckten Streifen, aus denen es mich so zauberisch anweht, werden bald zu einem Buche geordnet, mit Bildern geschmückt, in Tausenden von Exemplaren in die weite Welt hinausgehen und vor den Nationen Europas zum ersten Male ein vollständiges Bild des mühseligen Ringens entrollen, das der Gründung eines afrikanischen Staatswesens voranging: das längst mit so großer Spannung erwartete Werk Stanley’s habe ich endlich in der Hand und will versuchen, einen Bericht über dasselbe zu schreiben.
Wer jemals in der Nothlage war, über ein gewaltiges Epos auf wenigen Seiten gedrängt zu berichten, der wird meine Verlegenheit begreifen; denn kein gewöhnliches Reisewerk ist es, was uns Stanley heute bietet, eine große Episode aus den Lebensschicksalen der Entdecker und Staatengründer liegt vielmehr vor unseren Augen ausgebreitet – reich fürwahr an Abenteuern und Kämpfen, an Hoffnungen und Enttäuschungen.
Das große Publikum ist genügend vorbereitet, um dieses Buch zu verstehen. Die früher so leere und einfache Karte von Afrika wird von Jahr zu Jahr bunter, reicher nicht allein an neu entdeckten Flüssen, Seen, Gebirgszügen und Städten, sondern auch an politischen Grenzen, welche aufblühende Machtbezirke der Kultur andeuten. Diese Veränderungen beschränken sich nicht allein auf die Küstengebiete, sie reichen schon tief in das Innere des dunklen Welttheils hinein. Quer durch das äquatoriale Afrika ist ein breiter Gürtel gezogen, der das Freihandelsgebiet darstellt, jenen unermeßlichen Länderstrich, auf dem alle
- ↑ Unter diesem Titel beginnt Mitte Mai, noch vor der Ausgabe des englischen Originals, die deutsche Uebersetzung des längst mit so großer Spannung erwarteten Werkes des berühmten Afrikaforschers im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig zu erscheinen. Unsere Leser machen wir ganz besonders darauf aufmerksam, daß dieses hochinteressante Buch auch in einzelnen Lieferungen durch jede Buchhandlung zu beziehen ist, sodaß dasselbe auch denjenigen Kreisen, welche ein derartiges Werk lieber nach und nach durch kleinere Zahlungen erwerben, zugänglich wird. Der Verlagshandlung von F. A. Brockhaus, die uns durch ihr überaus freundliches Entgegenkommen die rechtzeitige Besprechung ermöglicht hat, sagen wir hiermit unsern besondern Dank. Die Red.
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_329.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)