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Seite:Die Gartenlaube (1885) 337.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 21.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Trudchens Heirath.

Von W. Heimburg.


[„]Wahrhaftig, Franz, an Deiner Stelle wüßte ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte! Eine Erbschaft ist mir immer als das Ziel meiner Wünsche erschienen, aber wie mit jedem Dinge im menschlichen Leben – Alles mit Unterschied. Franz, wirklich, Du thust mir leid! Da hast Du nun etwas Ererbtes am Halse, an das Du nie gedacht hast, ein sogenanntes Gut, ein paar hundert Morgen Aeckerchen und Wiesen, etwas Wald, einen verwilderten Garten, ein vernachlässigtes Wohnhaus, als Inventar vier gallige spatlahme Andalusier, sechs spindeldürre Kühe, und eine Tante als Hauptsache, die das Gallige und Spindeldürre in ihrer angenehmen Persönlichkeit zu vereinigen scheint. Menschenkind, so ringe doch wenigstens die Hände oder schimpfe, oder thue irgend etwas dergleichen, aber stehe nicht so einher, wie die stummste Verzweiflung selbst!“

Amtsrichter Weishaupt richtete diese Worte im komischen Zorn an seinen gegenüber sitzenden Freund, den Assessor Linden. Vor ihnen auf dem Tische stand eine Rheinweinflasche nebst Gläsern, und auf dieser bereits geleerten Flasche hafteten die Augen des Angeredeten mit nachdenklichem Ausdruck, als könne er von der Etikette eine Antwort ablesen.

Es war ein großes Zimmer, in dem sich die Beiden befanden, eine Art Gartensaal, unendlich altmodisch und einfach ausgestattet mit zwei birkenen Eckschränken, wie sie zu Großmutterzeiten die jetzigen vornehmen Kredenztische vertraten und anstatt kostbarer Majoliken die vergoldeten buntbemalten Porcellantassen hinter ihren Glasscheiben sehen ließen, mit einem großen Sofa, dessen schwarzer Roßhaarbezug gar keinen Gedanken an ein behaglichmolliges Ruhestündchen aufkommen ließ; mit sechs rührend einfach konstruirten Rohrstühlen, die um den großen Tisch standen, und endlich mit mehr als zweifelhaften Familienportraits, unter denen besonders das Pastellbildniß einer blondgelockten jugendlichen Schönheit auffiel, deren unendlich kleiner Mund wie verlegen lächelte, als wollte sie sagen: „glaubt mir nur, ganz so dumm habe ich in Wirklichkeit nicht ausgesehen!“ Und über all dieses verbreiteten orangegelbe Fenstervorhänge ein eigenthümlich unangenehmes Licht.

Die Thür des Zimmers stand geöffnet und, wie entschädigend für alle Geschmacklosigkeiten, bot sich dem Auge eine wunderliebliche Aussicht. Hohe bewaldete Bergkuppen mit üppigem Laubwald bedeckt, dessen ernstes Grün der Herbst schon in leuchtende Farben verwandelt hatte, bildeten den Hintergrund; in nächster Nähe der Garten, malerisch genug in seiner Verwilderung; und hinter den Bäumen hervorschimmernd die rothen Ziegeldächer des Dorfes. Und das Ganze verschleiert von dem feinen Hauch eines Oktobermorgens, dessen die Sonne noch nicht Herr werden konnte. Mit der herben, reinen Luft aber wehte anmuthend der taktmäßige Schall der Dreschflegel herüber, die auf der Tenne des Gutes geschwungen wurden.

Stelldichein.0 Nach dem Gemälde von H. Lengo.
Photographie im Verlag von B. Schlesinger in Stuttgart.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_337.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)
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