Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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verstohlen an die Küste von Frankreich? England. Wem mußte der Zweck des Komplotts, die „Beseitigung“ Bonaparte’s zunächst und zumeist zu gute kommen? England. Für jede nicht mit Leuten, welche absichtlich nicht sehen und nicht hören wollen, besetzte Geschworenenbank müßte das ausreichen, einen auf Mitschuldig lautenden Wahrspruch zu fällen. Die englische Regierung fand es ja außerdem auch in ihrem Interesse, Verbindungen mit auf dem Festland zerstreuten französischen Emigranten zu unterhalten, und zwar namentlich durch Vermittlung von drei ihrer diplomatischen Agenten, nämlich ihrer Gesandten Drake in München, Spencer-Smith in Stuttgart und Taylor in Darmstadt. Irgendwelche Beziehung dieser Diplomaten zur Cadoudal'schen Verschwörung ist jedoch nicht nachweisbar.
Mit Bonaparte, so phantasirten die Emigranten in London, fiele die einzige Möglichkeit des Bestehens der Republik in Frankreich. Nach der Republik aber könnten nur die Bourbons kommen. Folglich mußte der Erste Konsul „beseitigt“ oder „expedirt“ werden. Und wer sollte das besorgen? Natürlich Georges Cadoudal.
Es ist wahrscheinlich, daß der erste Gedanke des Mordkomplotts in dem ränkevollen Kopfe des skrupelfreien Marquis de Rivière entsprang. Die Polignacs gingen darauf ein, auch der Herzog von Berry und mit Feuereifer dessen Vater, der Graf von Artois. Der König in partibus, der Graf von Provence, wurde von dem Anschlag verständigt, mißbilligte aber denselben und wollte nicht weiter davon hören. Vielleicht schon deßhalb nicht, weil sein Bruder Artois, den er nicht leideu konnte, dafür eingenommen war. Die Verschwörungslustigen kümmerten sich nicht um den Widerspruch ihres achtzehnten Ludwigs. Diese Herren Absolutisten dachten, was ein erst später erfundenes Wort sagte: – „Und der König absolut, wenn er unsern Willen thut.“ Die Prinzen Condé blieben ganz außerhalb des Spiels. Man hielt es für überflüssig oder gar für unrathsam, sie einzuweihen.
Der Müllerssohn aus dem Morbihan, welcher sich vordem in den Wäldern, Haiden und Mooren der Bretagne als ein sehr tüchtiger Führer im kleinen Krieg, im Kriege der Hinterhalte und Ueberfälle, ausgewiesen hatte, war willig und bereit, den Streich gegen Bonaparte zu führen. Nur hegte er in seiner bäuerischen Seele ein Bedenken, welches in die adeligen Seelen der mit ihm verschworenen Prinzen und Junker keinen Zutritt fand. Er wollte dem „korsischen Usurpator“ den Krieg machen, den Krieg bis auf’s Messer, ja wohl; aber er wollte nicht für einen Meuchelmörder angesehen sein. Vielleicht auch machte ihn die Erinnerung an seine beim Höllenmaschinekomplott umsonst geopferten Gefährten diesmal heikler in der Wahl seiner Mittel. Er legte also einen Plan vor, dessen Ansführung dem beabsichtigten Anfall auf den Ersten Konsul das Aussehen nicht einer meuchlerischen, sondern einer kriegerischen That geben sollte. Man wußte, daß Bonaparte bei seinen Fahrten von den Tuilerien nach St. Cloud oder Malmaison im Hin und Her nur von einem Dutzend reitender Grenadiere der Konsulargarde begleitet zu werden pflegte. Auf diese Bedeckung wollte Cadoudal an der Spitze von einem Hundert wohlbewaffneter und entschlossener Royalisten fallen und also in offenem Kampfe im offenen Felde den Usurpator erschlagen. Damit aber das Abenteuer so recht Form und Farbe einer royalistisch-kriegerischen Unternehmung erhielte, müßten zwei Prinzen vom Stamme Bonrbon oder wenigstens einer mit dem Degen in der Hand dabei mitthun, Artois und Berry oder wenigstens einer von beiden.
So inscenirt, würde, wie der Chouanshäuptling wähnte, das geplante Attentat aus der gemeinen Sphäre des Meuchelmordes in die erhabene eines wohlberechtigten kriegerischen Wagnisses sich erheben. Man erkennt hier wiederum, wie so häufig im Leben und in der Geschichte, daß in der Kunst der Selbstbelügung die menschliche Erfindungsgabe alle Wahrscheinlichkeitsberechnungen weit hinter sich zurücklaßt.
Das Beseitigt- oder Expedirtsein Bonaparte’s vorausgesetzt, trat im Rechenexempel der Verschworenen die Ziffer Moreau in den Vordergrund. Die Prinzen und Junker bildeten sich ein, der frondirende General wäre unschwer zur Uebernahme der Monk-Rolle zu bestimmen. Seine Pantoffelheldenschaft war bekannt. Wie, wenn man seiner Frau und – nicht zu vergessen! – seiner Schwiegermutter verspräche, daß Moreau, mit der Würde eines Connétable bekleidet, dem wiederaufgerichteten bourbonischen Königsthron zunächst stehen sollte? Das müßte ziehen, dem wäre nicht zu widerstehen. Die beiden frauenzimmerlichen Zangen würden viribus unitis schon dafür sorgen.
Aber wie an Moreau gelangen? Durch Vermittelung seines alten Waffengefährten und Freundes Pichegru, den man in London zur Hand hatte. Der General, welcher als Eroberer von Holland unter den Kriegsleuten der Republik einen berühmten Namen gewonnen, hatte ja schon unter dem Direktorium die königliche Fahne zu erheben versucht, aber diesen verfrühten Versuch mit der Verbannung nach Guyana zu büßen gehabt. Von dort entflohen und nach England gelangt, war er in das Treiben der Emigranten hineingeraten, obzwar der ernste und scharfsichtige Mann davon sehr wenig erbaut sein mochte. Er konnte sich in der Werthung von Leuten wie Artois und Berry, Rivière und Polignac unmöglich täuschen und von den Verschworenen allen flößte ihm nur Georges Cadoudal Vertrauen ein, obzwar er den von seiner republikanischen Generalschaft herstammenden Widerwillen gegen die Chouanerie nie ganz verwinden konnte. Die Lage war jedoch so, daß es begreiflich, wenn Pichegru sich in die Verschwörung hineinziehen ließ, immerhin widerwillig genug. Es darf auch wohl angenommen werden, daß er es nur gethan in der geheimen Hoffnung, er würde in Verbindung mit Moreau imstande sein, den Geschicken Frankreichs eine andere Wendung zu geben als die von den Chouans gewollte. Iu der Flüchtlingstäuschung über die Zustände und Stimmungen in Frankreich war übrigens auch Pichegru befangen.
fernerweit von allerhand Ränken und Zettelungen.
Nach gehaltenen Rathschlägen beschlossen die Verschwörer, zum Handeln zu schreiten.
Zuvörderst war es angezeigt, drüben in Frankreich das Terrain aufzuklären und die nöthigen Anschickungen einzuleiten. Man fand auch, daß es unräthlich, wenn das ganze Personal des Komplotts, soweit es sich in London vorfand, mitsammen über den Kanal ginge. Die Ueberfahrt sollte truppweise und allmälig geschehen. Zuerst sollte Cadoudal mit einer kleinen Bande auserlesener Chouans die heimliche Reise nach Paris antreten. Nach einer Weile würde Pichegru, nachdem er schon von England aus durch diese oder jene Mittelsperson mit Moreau angebändelt hätte, nachfolgen, begleitet von de Rivière und den Polignacs. Die Prinzen selbst müßten erst dann nach Frankreich kommen, wann das Hauptstück des ganzen Unternehmens, d. h. der Anfall auf Bonaparte, völlig zur Ausführung gereift wäre.
An Reisegeld konnte es natürlich das englische Ministerium den lieben Leuten, welche auszogen im ruchlosen Frankreich den bekanntlich niemals bemakelten Lilienthron wieder aufzurichten, nicht fehlen lassen. Georges Cadoudal allein nahm in Banknoten und Wechseln 40,000 Pfuud St. in englischem und also 1 Million Francs in französischem Gelde mit, eine für dazumal, wo die Millionen noch nicht so wie heutzutage aus den Aermeln der Börsenbaronem geschwindelt wurden, ganz respektable Summe. Denn daß zum Kriege vor allem Geld, wieder Geld und abermals Geld gehöre, hat nicht nur der alte Montecuculi gewußt. Sehr liebenswürdig vonseiten der britischen Regierung war es auch, daß sie ein schnellsegelndes Fahrzeug ihrer Marine, befehligt von dem kühnen Captain Wright, zur Verfügung der Verschworenen stellte, um dieselben sicher nach Frankreich hinüberzubringen.
Auf dieser Brigg ging Cadoudal mit seiner Million im Gurt und begleitet von seinen Getreuen im August 1803 zu Hastings unter Segel. Das Schiff steuerte der Küste der Normandie zu, wo man einverstandene Leute, einen geheimen Landungsplatz und einen Schmugglerpfad zu finden sicher war. Dort, zwischen Dieppe und Tréport, steigt das Ufer in jäher Felsengestalt aus dem Meere, scheinbar ganz unzugänglich. Aber es gab da in einer kleinen Bucht eine Stelle, Biville geheißen, wo sich ein leiterartiger Pfad in einer schmalen Klamm durch die Felswand emporwand, freilich nur mit Beihilfe eines Seils zu ersteigen, welches die Helfershelfer der hier landenden Schmuggler auf ein verabredetes Signal hinabließen. Die Kenntniß dieses Pfades hatten in Eu ansässige „Wissende“ den Verschwörern für gutes Geld verkauft. Da legte der Captain Wright nach Einbruch
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_343.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)