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Seite:Die Gartenlaube (1885) 344.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

der Nacht an, landete seine Passagiere und suchte dann wieder die hohe See. Cadoudal und seine Gefährten klommen den Felsspalt hinauf und wurden droben von einem „Vertrauten“, welcher das Seil in die Kluft hinabgelassen, empfangen und weitergeleitet. Auf Schleichwegen wanderten sie, mit Vermeidung von Straßen, Dörfern und Städten, durch Wälder und über Haiden, von Versteck zu Versteck, von einem sichern Nachtquartier zum andern. Solche Verstecke und Rastorte boten einsame Meierhöfe verschwiegener Pächter und die Schlösser verlässlicher Royalisten. Also gelangte Cadoudal, bevor der Monat August zu Ende, nach Paris, wo in der Vorstadt Chaillot seiner ein Unterkommen harrte, welches vor dem Späherblick der Polizei geschützt war. Von dort aus pflegte er dann nachtschlafender Weile mit seinen Chouans zu verkehren, welche in der Stadt selbst Unterschlupfe gefunden hatten.

Sobald er nun über die Sachlage in Paris sich gehörig unterrichtet hatte, mußte er sich gestehen – und er war der Mann, die Wahrheit zu sehen und sich dieselbe zu sagen – daß die Dinge hüben in Frankreich anders aussähen, als sie, wenigstens in Emigrantenaugen, drüben in England ausgesehen hatten. Bonaparte und die Konsularregierung waren nicht unpopulär. Die schwachen Reste der republikanischen Partei erwiesen sich als bis zur vollständigen Kraftlosigkeit und Resignation herabgebracht. Die Royalisten erschienen zurückhaltend, mit dem bestehenden Regiment so ziemlich versöhnt und jedenfalls nicht im mindesten zu abenteuerlichen Wagnissen geneigt und bereit. Die Priester sangen eifrig: „Domine, salvum fac consulem!“ und stimmten schon ihre Kehlen für das „Domine, salvum fac imperatorem!“ Cadoudal mußte auch erfahren, daß sein Name zwar in der Vendée noch immer einen guten Klang hätte; aber nicht minder, daß es unmöglich, den Vendéergeist von weiland wieder zu erwecken und eine irgendwie belangreiche Bewegung zu Gunsten der weißen Fahne zuwegezubringen. Sogar die Förderung der ihm zunächst liegenden Aufgabe stieß auf ungeahnte Schwierigkeiten. Um den beabsichtigten Anfall auf den Ersten Konsul mit Hoffnung auf Gelingen thun zu können, schien ihm ein Hundert wohlbewaffneter und zuverlässiger Männer vonnöthen. Er hatte aber große Mühe, die kleine Bande seiner mitgebrachten Chouans auf den Bestand von 30 Mann zu bringen, und er mußte die äußerste Vorsicht aufwenden, diese von ihm besoldete Schar mit Waffen und einer Art von Uniform zu versehen.

Trotz alledem beharrte der muthige Mann bei seinem Vorhaben. Er rechnete so: – Den Bonaparte zu beseitigen, dazu reicht, wenn alle Stränge reißen, eine Handvoll entschlossener Leute aus. Ist er todt, so findet sich das Weitere von selbst, d. h. Frankreich kommt dann in eine Lage, daß ihm nichts übrigbleibt, als die Bourbons wieder einzusetzen.

Derweil war von London aus ein anderer nach Paris herüberreichender Faden der Verschwörung weitergesponnen worden, Pichegru nämlich hatte durch einen ihm von altersher befreundeten ehemaligen Armeelieferanten Namens Rolland bei Moreau anklopfen lassen. Zunächst nur mit der harmlosen Frage, ob der General noch seines alten Waffenkameraden Pichegru sich erinnerte. „Ja wohl, gern und mit Theilnahme.“ Dann, ob er sich wohl für die von Pichegru gewünschte Erlaubniß zur Rückkehr desselben nach Frankreich bei dem Ersten Konsul verwenden wollte. „Nein, das kann ich nicht thun. Ich bin mit Bonaparte zerworfen, und setze keinen Fuß mehr in die Tuilerien.“

Auf der Basis dieser willkommenen Kunde wurde weitergebaut. Pichegru erinnerte sich eines Officiers, welcher bei Moreau ehemals viel gegolten hatte. Er wußte, daß dieser General Lajolais unzufrieden, ränkesüchtig und geldbedürftig wäre, und entsandte demzufolge an denselben einen gewandten Agenten mit Briefen und Geld, um ihn für die Verschwörung anzuwerben und durch ihn auf Moreau zu wirken. Lajolais ließ sich unschwer gewinnen, machte sich an den General und horchte ihn aus. Sei es nun, daß Moreau in seiner Verbitterung und Unbesonnenheit gegen den Versucher sich zu weit herausließ, sei es – was wahrscheinlicher – daß Lajolais zu hören glaubte, was er zu hören wünschte, genug, der Anschicksmann wähnte, der Zustimmung und Mitwirkung des Generals sicher zu sein, oder that wenigstens so. Er witterte die Herkunft des ihm zugeflossenen Geldes und kalkulirte, daß dessen noch mehr aus der britischen Staatskassequelle zu schöpfen sein würde. Daher voll Eifer für „die gute Sache“, machte er sich, obzwar halb lahm, mit dem Sendling Pichegru’s eilends über Hamburg nach England auf, um die gute Botschaft persönlich dorthin zu tragen. In den Kreis der verschworenen Emigranten eingeführt, berichtete er, was er wußte, und höchst wahrscheinlich noch mehr. Denn sein Bericht erregte große Freude, so große, daß ein Theilhaber der Verhandlung ausrief: „Wenn unsere Generale einig sind, werde ich bald wieder in Frankreich sein.“ Dieser Ausruf kennzeichnete den, der ihn that, den Grafen von Artois, welcher eben sein Lebtag ein leichtfertiger Schwachkopf gewesen ist. „Unsere Generale!“ Es sollte sich bald zeigen, daß Moreau keineswegs gewillt war, den bourbonischen General zu spielen.

Der Bericht von Lajolais hatte in Verbindung mit den dringenden Mahnungen Cadoudals, endlich zu handeln, die Wirkung, daß in London beschlossen wurde, einen zweiten Schub von Verschwörern, Pichegru, Rivière, die Polignacs und andere, nach Frankreich abgehen zu lassen, wobei verabredet wurde, daß Artois oder Berry oder beide nachfolgen sollten, sobald sie vonseiten des Marquis, dem man, wie es scheint, ein maßgebendes Urtheil zutraute, dazu aufgefordert würden. Captain Wright trat demzufolge wieder in Thätigkeit und am 16. Januar landeten die Genannten und ihre Begleiter am Felshang von Biville, kletterten die Klamm hinauf und wurden unfern von der Landungsstclle von Georges Cadoudal empfangen, welcher den Komplottbrüdern entgegengereist war, um sie auf den ihm schon vertrauten und jetzt zur Winterszeit noch einsameren Schleich- und Schlupfwegen nach Paris zu geleiten. In aller Heimlichkeit langte die ganze Gesellschaft am 20. Januar in der Vorstadt Chaillot an.

Cadoudal, der ihn umringenden Gefahren wohlbewußt und des langen Stillsitzens überdrüssig, erbot sich, jetzt sofort mit seinen dreißig Schwartenhälsen den Handstreich gegen Bonaparte bei einer von dessen Fahrten nach St. Cloud oder Malmaison zu führen, und nur ungern ließ er sich beschwichtigen, noch zu warten, bis man mit Moreau ins Reine und zu bestimmten Abmachungen gekommen wäre. Man müßte ja jedenfalls zum voraus wissen, was nach der „Beseitigung“ Bonaparte’s geschehen sollte und was man von dem General, dessen Befähigung und Einfluß die Verschworenen offenbar viel zu hoch anschlugen, zu erwarten hätte. Verschwörungen ist es überhaupt eigen, aus willkürlichen Voraussetzungen phantastische Schlußfolgerungen zu ziehen. Verschwörer gleichen mit Scheuledern versehenen Pferden, welche nur geradaus, nicht aber rechts und links zu sehen vermögen.

Pichegru ließ Moreau durch Lajolais und Rolland von seiner Ankunft in Paris verständigen und den General um eine Zusammenkunft bitten. Moreau ging darauf ein, bestimmte aber, daß das Stelldichein weder in seiner Stadtwohnung noch auf seinem Landsitze Grosbois stattfinden sollte, sondern am späten Abend auf dem Boulevard der Madeleine. Er wollte wohl der Zusammenkunft den Anschein eines nur zufälligen Begegnens geben. Pichegru, welcher sich in der Gesellschaft von Chouans ohnehin unbehaglich fühlte, wäre zu dieser Zusammenkunft gern allein gegangen; allein Cadoudal, der dem weiland republikanischen General nicht ganz traute und mit eignen Augen und Ohren sehen und hören wollte, was von dem Republikaner Moreau zu erwarten wäre, bestand darauf, mit dabei zu sein.

An dem verabredeten Abend und zur ausgemachten Stunde begegneten sich Pichegru und Moreau an der bezeichneten Stelle des Boulevard. Der General zeigte Bewegtheit beim Wiedersehen seines alten Waffengefährten, fiel aber sofort in kühle Zurückhaltung, als Cadoudal hinzutrat und sich zu erkennen gab. Er verhehlte nicht das Unbehagen, welches ihm die Gegenwart des bekannten Chouanshäuptlings verursachte, und er ließ sich nur mit Noth durch Pichegru zu einer zweiten Begegnung bestimmen. Als er dann sich entfernt hatte, faßte Georges die empfangenen Eindrücke in die Worte zusammen: „Das geht schief!“

Die zwischen den beiden Generalen hin- und hergehenden Ränkler ruhten jedoch nicht und brachten die zweite Zusammenkunft zuwege, in Moreau’s Stadtwohnung. Was hier unter vier Augen zwischen ihm und Pichegru verhandelt worden, wissen wir mit ziemlicher Bestimmtheit aus den nachmaligen Proceßverhandlungen. Es mußte mit der Sprache herausgegangen werden, und Pichegru ging damit heraus, ohne freilich geradweg zu sagen, daß mit der geplanten Beseitigung der Konsularregierung vorweg die Tödtung des Ersten Konsuls gemeint wäre. Moreau erwies sich als der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_344.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2020)
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