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Seite:Die Gartenlaube (1885) 350.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Da fiel sein Auge auf Hilden, die er sofort erkannte. Fröhlich lachte das seine auf. Gewiß, das mußte die Braut sein! Wie sollte er ihr Beben, ihr Erglühen und Erblassen, wie die Bewegung, mit der sie ihm, dem Boten ihres Glückes, fast zu Füßen sinken zu wollen schien, anders deuten? Daß sie ihm schon einmal, und zwar in so freundlicher Weise, erschienen war, machte die Sache in dem Knabenkopfe nur wahrscheinlicher, wie vielleicht auch ihr eigenthümlicher Kopfschmuck ihm die Idee eines bräutlichen Putzes geben mochte. Und um den letzten Zweifel zu heben brauchte man nur einen Blick auf den Bräutigam zu werfen, der nicht anders aussah, als trete in ihr überwältigend eine himmlische Erscheinung vor seine Augen.

Und in der nächsten Sekunde war es geschehen! Der Fürstensohn hatte die Rechte Hildens in die Georg’s gefügt und beide mit seiner warmen Kinderhand fest zusammen gedrückt. Aber nur auf einen Augenblick, dann tönte ein erschütternder Jubelruf des Mannes, ein Name, durch die Luft; er öffnete die Arme weit und schloß sie fest, fest um die echte, die einzige Geliebte, die mit schluchzendem Aufjauchzen ihr Antlitz an seiner Schulter barg.

Natürlich war dies Alles viel zu schnell vor sich gegangen, als daß es irgend Jemand hätte verhindern können. Wohl hatte der Landgraf eine haftige Bewegung gemacht, als ob er dazwischen treten wollte, da fühlte er die Hand der Gemahlin auf seinem Arm und las in ihren sprechenden Zügen etwas, was ihn zurück hielt. Sie war mit gespanntem Blick der Scene gefolgt.

„Was sagt Ihr dazu, Herr?“ flüsterte sie jetzt. „Mich dünkt, unser Sohn hat, wie der kleine blinde Liebesgott selber, gleichsam mit verbundenen Augen doch die richtigen Leute zusammengebracht.“

Und unter den Zuschauern mochten nicht wenige ihrer Meinung sein, wenn sie die beiden schönen Menschen ansahen, ein Paar, welches die Mutter Natur selber in seltner königlicher Laune eigens für einander ausgestattet zu haben schien! Wie sie dastanden, schamhaft, daß ihr Glück so viele Zeugen hatte, und doch – wenigstens konnte man dies dem jungen Manne in jedem Zuge ansehen – gewillt, dies Glück, sei es ihnen nun gegönnt oder ungegönnt, zu ergreifen und festzuhalten auf Lebenszeit!

Es waren nicht viele Worte, die sie hastig einander zuflüstern konnten im Wirbel dieser wunderbaren Vorgänge.

„Was war das? hast Du es gewußt, Georg?“ flüsterte Hilde dicht am Halse Georg’s. „Nein!“ Er lachte leise auf und sie fühlte jeden Schlag seines Herzens, so fest hielt er sie. „Und ich glaube, es war ganz anders gemeint. Nun aber habe ich Dich und halte Dich, vor aller Welt. Die Hand des Knaben hat das Schicksal selber geführt ... ihm soll, wird er einst mein Herr, dafür mein letzter Blutstropfen gehören ...“

Der landgräfliche Herr indessen, der sich mehr durch die harte Wirklichkeit längst bekannter Thatsachen bestimmen zu lassen gewohnt war, als durch die Offenbarungen liebender Blicke und Mienen, sah noch keineswegs zufriedengestellt, vielmehr betroffen und verdrießlich aus. So wendete er sich auch zu dem Bürgermeister, und wenn es geschehen kann, daß der Fürst sich bei dem Unterthanen entschuldigt, so hätte man glauben können, etwas dergleichen gehe zwischen den Beiden jetzt vor.

Die Antwort aber, welche Herr Jakob Tiedemars darauf gab, mußte darnach angethan gewesen sein, den Mißmuth seines wohlgesinnten Herrn zu dämpfen. Der Landgraf richtete den Blick, der bei allem anscheinenden Phlegma des Herrn zuweilen eine durchdringende Schärfe annehmen konnte, lange aufmerksam auf die Jungfer Hilde, und diejenigen, welche sich auf den Ausdruck seiner Mienen verstanden, konnten merken, daß ihm der Gegenstand dieser Betrachtung keineswegs mißbehagte. Es fielen noch einige kurze Reden zwischen ihm und dem Bürgermeister ... die Zunächststehenden glaubten von den landgräflichen Lippen etwas wie die Worte fallen zu hören. „Der Junge hat Augen im Kopf, das muß man ihm lassen ...“ und ferner: „Der Meister Lukas ist ein braver, frommer Mann“ – worauf der Herr Doktor Tiedemars sich zustimmend verneigte. Und darauf betrachtete der Landgraf von neuem unverwandt das junge Paar, welches indessen vorgetreten war und nun vor der Fürstin kniete.

Diese hob sie nicht sofort auf, vielmehr schien ein gewisser gutmüthig spöttischer Zug um ihren Mund deutlich zu sagen: Kniet Ihr nur immer eine Weile – so viel wenigstens habt Ihr verdient. Uebrigeus war sie, mit einem echt fürstlichen Gedächtniß für Verhältnisse und Personen begabt, über das vermuthliche Vorspiel des wunderlichen Vorgangs sowie über die Folgen, welche man demselbeu am besten geben würde, bereits mit sich im Reinen. Sie wendete sich zurück zu den beiden Männern und zwar zunächst zu dem Bürgermeister.

„Wie Ihr seht, Herr,“ sagte sie heiter, „verlangen für ein Unheil, welches der lose Gott Cupido angerichtet hat, diese Zwei hier unsere Verzeihung, zugleich aber auch, so dünkt mich, unsern heilenden Segen. Uns aber steht es nicht zu, das Eine oder das Andere zu gewähren ohne Euern und des Meister Lukas Vanderport guten Willen. Euch frage ich zuerst: was sagt Ihr?“

Es war so still unter der dichtgedrängten Menge um die Bühne herum, als ob jeder Einzelne den Athem zurückhielte, als der Bürgermeister jetzt sprach. Wie der Mann, der er war, hatte sich Doktor Tiedemars in der letzten Viertelstunde mit den Umständen abgefunden, denen er es hingehen lassen mußte, daß sie dieses eine Mal mächtiger waren als er. Und nun sagte er, mit schuldiger Ehrfurcht gegen die hohe Frau in Ton und Haltung, aber mit fester, ringsum vernehmlicher Stimme:

„Ermuthigt durch so viel heute erfahrene fürstliche Huld wage ich nichts Geringeres zu bitten, als daß Eure hochgräfliche Gnaden geruhen möge, beim Meister Lukas Vanderport für meinen Sohn um seine Tochter zu werben. Meinem Hause wird es eine Ehre sein, die Jungfrau als Tochter zu empfangen, und – verzeiht mir – nicht nur um Eurer, sondern auch um ihrer selbst willen. Denn ich habe es aus guter Hand, daß sie in Sitte und Wandel ebenso untadelig ist, wie unser aller Augen heute in ihr eine Zier ihres Geschlechts erblicken.“

„Bei Gott, die haben Recht, die Euch einen klugen Mann nennen,“ sagte hierauf die Gräfin Sabine leise, nur dem Bürgermeister zum Gehör. Etwas wie Muthwillen blitzte in ihren Augen auf, als sie den Kopf wieder hob. Durch die Menge aber ging es wie ein verhaltenes dumpfes Brausen der Erregung. Als der Laudgraf jetzt, rasch vortretend, sagte: „Nun gut, mein Getreuer, so werben wir Deinem Sohne noch heute die Braut, und morgen richten wir, wenn Meister Vanderport sie nicht versagt, den Beiden mit der unsern die Hochzeit an –“ da brachen schon einzelne Jubelrufe des Volkes aus; doch wurden sie wieder gedämpft; noch einmal wollte Alles hören, denn die Gräfin Sabine sprach:

„Wenn mein fürstlicher Herr den Braut- und Hochzeitsvater macht, so wird man mir nicht verwehren, Brautmutter zu sein und die Braut auszustatten nach ihrem und meinem Landesbrauch,“ sagte sie. Da aber brach das Beifallsgeschrei der Menge herein, donnernd und unaufhörlich, wie eine losgedämmte Fluth, und übertönte den Rest ihrer Rede, den heitern Scherz, mit dem sie Hilden, welche sie indessen gütig aufgehoben hatte, darüber tröstete, daß man ihr den Mahlschatz nach der Hochzeit bereiten müsse. Verschlungen war in der allgemeinen Lust, in dem begeisterten Wohlgefallen am Thun und Behaben der Fürstin der Gedanke, daß diese hohe Gunst einer Fremden, keinem Stadtkinde, zu theil werde. Ein Anderes hatte sich Bahn gebrochen und schwellte den Jubelruf aus manch einer derben Kehle, daß er noch lufterschütternder hervorbrach – die Empfindung, wie in der Person des braven Vaters einer solchen Tochter zugleich der arbeitsame Stand, dem er angehörte, ja der ganze Handwerkerstand geehrt werde.

Wieder und wieder trug das brausende Jubelgeschrei die Namen des Landgrafen, der Gräfin Sabine und des jungen Fürstensohnes empor, dem übrigens nachträglich ein kleiner Schrecken nicht erspart blieb, als er zu begreifen begann, was er eigentlich angestiftet hatte. Doch wußte ihn darüber die Gräfin Sabine aufs Beste zu trösten, indem sie ihm vor aller Augen einen herzlichen Kuß gab. Dabei aber flüsterte sie lustig: „Das ist noch gut abgelaufen, Heinz, besser als Du und ich und Dein Herr Vater verdienten.“

Aber auch der Bürgermeister und endlich selbst Meister Lukas, der Weber, wurden durch jubelnde Rufe der erregten Menge geehrt. Die Külwetters waren vergessen oder man dachte ihrer wohl gar mit geheimer Schadenfreude, denn der Geiz des Alten war nicht geeignet, ihm viele Freunde zu machen. Uebrigens konnte, wie Rosine sich selber zum Troste sagte, von dem vollen Umfang der furchtbaren Enttäuschung, die sie heute erfahren hatte, Niemand etwas wissen. Dennoch suchte sie später manch ein theilnehmender

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_350.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2020)
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