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Seite:Die Gartenlaube (1885) 351.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

oder neugieriger Blick, und man sah sie auch noch, etwas erblaßt, aber doch mit leidlicher Fassung, unter den Gefährtinnen sich bewegen. Niemand ahnte, auf welche Weise Rosine verhindert hatte, in jenem schrecklichen Augenblicke ohnmächtig zu werden, indem sie nämlich eine Nadel aus ihrem Putz gezogen und sich die Spitze tief in den vollen Arm gebohrt hatte.

Am folgenden Tage wurden Georg und Hilde, nachdem die fürstliche Trauung glänzend vollzogen worden war, vor dem Altare der Schloßkirche zusammen gegeben. Der Landgraf selber führte dem Sohne seines Getreuen die Braut zu. Und die Frau Bürgermeisterin, obwohl sie vor Schrecken schier erkrankt wäre ob dieser so plötzlich über sie hereinbrechenden Hochzeit, soll sich unter diesen Umständen zufrieden gegeben und sich mit dieser sowie mit der neuen Tochter ausgesöhnt haben.

Doch das ließ sich am Ende erwarten, dagegen wunderten sich manche darüber, wie ruhig Meister Lukas Vanderport sich in all dies unerhörte Glück finde. Man nahm es ihm sogar übel, wenn er mit den so ruhig aus dem alten Gesicht hervorleuchtenden Augen sagte, seines Gleichen habe in diesem Pilgerstande auf Ehre wie auf Schande gefaßt zu sein und dürfe sich weder durch die eine noch auch durch die andere auf seinem Wege groß aufhalten lassen.

Von den beiden damals an ein und demselben Tage in der Schloßkirche geschlossenen Ehen aber hieß es noch lange nachher im Lande, es müsse wohl die eine der andern Glück gebracht haben.


Blätter und Blüthen.

Zur Dynastie Naundorff. Unser Aufsatz (in Nr. 15 der „Gartenlaube“) hat allgemeines Interesse erregt und verschiedene interessante Zuschriften zur Folge gehabt: als die wichtigste erscheint uns die von Otto Friedrichs in Brüssel, welcher uns gleichzeitig sein umfangreiches Werk: „Un Crime politique, étude historique sur Louis XVII.“ (Ein politisches Verbrechen, historische Studie über Ludwig XVII.) [Bruxelles, 1884] zuschickte. Otto Friedrichs ist der begeistertste Anwalt, welchen Naundorff bisher gefunden hat; er ist durchdrungen von der Ueberzeugung, daß Naundorff in der That Ludwig XVII., der legitime König von Frankreich war. Sein Werk enthält eine große Menge von Aktenstücken, die bisher in solcher Vollständigkeit noch nicht gesammelt, ja theilweise ganz unbekannt waren: die Briefe Naundorff’s an seine Schwester, die Herzogin von Angoulème, die Briefe der Madame de Rambaut, der früheren Kammerfrau des Dauphin, der Frau Marco de Saint-Hilaire, die aus gerichtlichen Akten entnommenen Zeugnisse von Bremond, dem früheren Geheimsekretär Ludwig’s XVI. und andere. Sehr interessant ist die Mittheilung der Proklamation Charette’s, der die Vendéer befehligte und zu dem der junge Prinz nach seiner Flucht aus dem Temple gebracht worden sein soll. Es war zur Zeit, als die Armee der Vendéer die Waffen niederlegte, gegen Ende 1795, und Charette spricht in diesem Armeebefehl vor allem sein Bedauern darüber aus, daß der unglückliche Sohn des unglücklichen Ludwig XVI., kaum der Wildheit seiner Henker entrissen, jetzt wieder sein Asyl verlieren und seinen Verfolgern ausgeliefert werden würde. Aus den Memoiren Napoleon’s I. theilt Friedrichs die Stelle mit, in welcher der Kaiser erklärt, er habe die Erzählung Josephinens, daß der Dauphin am Leben sei, für Weibergeschwätz gehalten, dann aber Untersuchungen anstellen lassen, wobei er seine Verwunderung darüber ausspricht, daß ein Todtenschein nicht aufzufinden und der Sarg Ludwig’s XVII. wohl vorhanden, aber vollständig leer sei. Friedrichs theilt dann eine große Menge von Stellen aus den Memoiren des Vicomte von Larochefoucauld mit, der als Agent der Herzogin von Angoulème mit Naundorff in Verkehr getreten war, um die Wahrheit zu ergründen, und der fortwährend hin und herschwankte zwischen der sich bisweilen ihm aufdrängenden Ueberzeugung, Naundorff könne der echte Dauphin sein, und dem Eifer, den regierenden Bourbons dienstbar zu sein, indem er ihn verleugnet. Einer vernichtenden Kritik unterwirft Friedrichs die Aussagen der sogenannten Zeugen des Temple, Lasne und Gomin, auf welche auch neuerdings Chantelauze in seinem „Louis XVII.“ den Beweis begründet, daß der Dauphin in der That im Temple gestorben sei: Friedrichs weist die innern Widersprüche dieser Zeugenaussagen nach.

Jedenfalls muß man sich fragen, wie es möglich war, daß ein preußischer Uhrmacher auf den kuriosen Gedanken kam, sich für den Sohn Ludwig’s XVI. zu halten? Die preußische Regierung hat ihn, als er sich das Bürgerrecht erwerben wollte und als er sich verheirathete, von der Verpflichtung, seinen Taufschein vorzuzeigen, der mit seinen andern Papieren in ihren Händen war, dispensirt: niemals ist ihm eine andere Herkunft nachgewiesen worden. Alte Diener der königlichen Familie haben ihn in Paris mit voller Ueberzeugung als den legitimen Thronerben anerkannt; während man andere Pseudo-Dauphins vor die Gerichte schleppte und verurtheilte, weigerte man Naundorff die gerichtliche Verhandlung; er wurde verhaftet, des Landes verwiesen, nachdem ein Attentat gegen ihn mißglückt war; neue Attentate folgten dem ersten: gewiß, das Alles spricht sehr zu Gunsten seiner Ansprüche. Nicht ohne Beweiskraft ist auch das Titelbild des Friedrichs’schen Werkes, welches das Portrait des jungen Dauphins und dasjenige des 50jährigen Naundorff zugleich vorführt: Zug für Zug eine unverkennbare Ähnlichkeit.

Eine andere interessante Zuschrift in dieser Sache war uns der Brief des Oberappellationsgerichts-Präsidenten a. D. von Rönne. Der berühmte Verfasser des „Preußischen Staatsrechtes“ schreibt uns: „Die Angaben des Herrn Naundorff über seine Abenteuer rühren nicht erst aus einem Memoire des Jahres 1836 her, sondern sind mir, in fast gleicher Art und Weise, schon 1825 in meiner damaligen amtlichen Stellung zu Protokoll mitgetheilt worden. Als in Paris eine Untersuchung wider den Prätendenten schwebte, sind die Untersuchungsakten von 1825 auf Requisition der französischen Regierung nach Paris eingesendet worden und sollen auch hierher remittirt worden sein, jedoch ohne die von mir aufgenommenen Protokolle, welche ein Adhibendum jener Untersuchungsakten bildeten. Mich, der ich im Jahre 1825 als Auskultator bei dem damaligen Land- und Stadtgerichte zu Brandenburg vereidet worden bin, interessirte damals der Naundorff’sche Fall sehr lebhaft und das veranlaßte mich, mir von dem Kollegium des Land- und Stadtgerichts die Ermächtigung zu erbitten, die Erzählungen Naundorff’s amtlich protokolliren zu dürfen, was der die Untersuchung führende Richter weder selbst wollte noch mir gestatten wollte. Ich war ihm nämlich als Kriminalprotokollführer in der Untersuchung gegen Naundorff beigeordnet. Uebrigens kann ich bestätigen, daß der etc. Naundorff ein stattlicher Mann war, welcher ganz den Typus der Bourbonen trug. Er machte einen angenehmen Eindruck, und man konnte in keiner Weise sagen, daß er mit der Frechheit gewöhnlicher Abenteurer auftrat.“

Rudolf von Gottschall.     

Eisberge. (Mit Illustration S. 349.) Seitdem durch die Touristerei unseres Jahrhunderts das Hochgebirge für die große Masse der Reiselustigen so zu sagen erschlossen wurde, sind Firnfelder und Gletscher auch dem Bewohner des Tieflandes geläufige Begriffe geworden. Jedermann hat von ihnen etwas gehört und gelesen, hat auch Abbildungen derselben gesehen und zollt diesen großartigen Bildern der Natur die konventionelle Bewunderung. Wenige jedoch sind dem Forscher in jene hohen Regionen gefolgt und haben eine Ahnung von der großen Wirkung der Gletscher, welche unaufhörlich das Antlitz der Erde verändern; Wenige wissen es, daß auf den stummen Höhen der Alpen noch heute der Kampf fortdauert, der vor Jahrtausenden begonnen hat und kaum nach Jahrtausenden enden wird.

Der ewige Schnee und die Eisflächen, welche die Spitzen der Berge bedecken, bilden keineswegs eine schützende Hülle der kahlen Bergriesen; im langsamen, aber stetigen Strome fließt das Gletschereis zu Thal, zerbröckelt die Felsen und ebnet die Höhenzüge. Die norddeutsche Tiefebene ist reich mit Spuren dieses Kampfes besäet, die erratischen Blöcke und die an tiefen Seen aufgehäuften Steinhügel bezeichnen noch heute die Grenzen längst verschwundener Gletscher.

Nirgends tritt jedoch dieses Phänomen so großartig zu Tage, wie in den polaren Gegenden, wo der Winterkönig mit der eiszackigen Krone seinen Thron aufgeschlagen. Während der Eisstrom der berühmten Mer de Glace oberhalb von Chamounix in den Alpen höchstens 2000 Meter breit und 9800 Meter lang ist, erstreckt sich der Humboldt-Gletscher im westlichen Grönland über ein Gebiet von 110 Kilometer Länge und endet am Meeresufer mit einer steilen 100 Meter hohen Eiswand. Aber selbst auf diesen todten Eisflächen, aus denen nur hier und dort einzelne nackte Felsenspitzen hervorragen, herrscht keine Ruhe, auch hier sucht der Eisstrom das Thal oder die See zu erreichen und gelangt oft an sein Ziel unter stürmischen Katastrophen, die man die Lawinen der Polargegenden nennen könnte. Beim Eintritt der wärmeren Jahreszeit brechen die gewaltigen Eiszungen, welche die Gletscher in das Meer entsenden, mit gewaltigem Krachen ab, die Gletscher „kalben“, wie man zu sagen pflegt, und die losgelösten Eisstücke werden zu schwimmenden Inseln, die von der kalten Strömung nach südlicheren Strichen getragen werden.

Hier schmilzt das Eis unter dem Einfluß der Sonne und nimmt jene phantastischen Formen an, die wildzerklüfteten Felsen ähnlich sehen und nach denen die schwimmenden Blöcke „Eisberge“ genannt wurden. Grönland ist die vornehmste Geburtsstätte derselben, und von seinen Küsten ziehen von Ende März bis Anfang Juli die Eisberge in großen Scharen gegen den Süden, längs der nordamerikanischen Küste bis zum 40. Grad nördlicher Breite.

Dem Schiffer, der ihnen auf dem Ocean begegnet, bieten sie keinen willkommenen Anblick, mögen sie noch so märchenhaft dahingleiten auf den Fluthen des Meeres und noch so feenhaft glitzern in den Strahlen der untergehenden Sonne, denn wie die symplegadischen Felsen der Alten, welche die Einfahrt zum Schwarzen Meere bewachten, drohen sie den Menschen mit Verderben. Rettungslos ist das Schiff verloren, das zwischen eine Gruppe von Eisbergen gerieth oder den oft Kilometer langen Wall nicht umsegeln kann. Von den Eisbergen zermalmt oder in den Grund gebohrt, das ist das Los vieler Seefahrer, die auf dem Atlantischen Ocean verschollen sind. Um diesen Gefahren zu begegnen, haben neuerdings die seefahrenden Nationen die Einrichtung getroffen, daß alle Beobachtungen, die während der transatlantischen Fahrten über die Zahl und Bewegungslinie der Eisberge von den Schiffskapitänen angestellt wurden, von New-York nach Europa und von den europäischen Haupthäfen nach New-York telegraphisch berichtet werden. Die absegelnden Kapitäne können auf Grund dieser Nachrichten ihren Kurs ändern und der Gefahr wenigstens zum Theil aus dem Wege gehen.

Die Eisberge führen, wie jedes Gletschereis, auch Felsstücke mit sich, die, nachdem das Eis geschmolzen, auf den Meeresgrund sinken. Aus den Tiefen der tropischen See haben die Forscher vor Kurzem solche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_351.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)
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