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Seite:Die Gartenlaube (1885) 354.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

zwei massiv silberne Schlangen umringelten, bestürzt nieder; dann schlug sie die Hände in einander und begann herzhaft zu lachen.

„Siehst Du! Siehst Du!“ rief sie, „den ganzen Tag bin ich im Hause umhergegangen mit dem Bewußtsein, daß ich irgend etwas noch zu besorgen hätte – und ich konnte mich nicht besinnen; nein, das ist zum Todtlachen! – Karoline, Sie hätten mich doch erinnern können!“ wandte sie sich an das Mädchen, das eben eine kostbare altdeutsche Leinendecke über den massiven Eichentisch in der Mitte des Raumes ausbreitete.

„Frau Fredrich legten sich doch schlafen und sagten ausdrücklich, ich solle vor vier Uhr nicht wecken,“ rechtfertigte sich die Dienerin.

„Na ja!“ gähnte die junge Frau, „ich war so müde, Monsieur war schlechter Laune und der Kleine so entsetzlich lebhaft; es ist ja auch kein Malheur, das Ganze läuft auf eine Bettelei hinaus. Ich kann ihr ja morgen noch etwas hinschicken.“

„Aber Jenny! Hast Du denn vergessen, daß Johanne erst auf mein Zureden gewagt hat, Dich und mich zu Pathen zu bitten? Ich dächte, es wäre Pflicht gewesen – der Mann ist in unserer Fabrik verunglückt.“

„Ach papperlapapp, Liebchen! Ich kann dieses ewige Gevatterbitten nicht leiden!“ fiel Frau Jenny ein. „Wenn ich nicht schon drei Dutzend Pathenkinder habe, will ich nicht hier stehen – arme Leute werden nicht dazu verlangt, glaube mir. Komm, ich bin jetzt hier fertig, wir wollen ein wenig in die Kinderstube, oder“ – sie warf einen Blick auf die alterthümliche Wanduhr – „was noch besser ist, Mama hat sich Proben schicken lassen für Gesellschaftstoiletten – warte, ich komme mit hinauf, anderthalb Stunden haben wir noch Zeit, bis die Damen erscheinen.“

Sie drehte sich noch einmal anmuthig im Kreise, wie um ihre Vorbereitungen zu mustern. Der Kredenztisch prangte in silbernen Gefäßen, im Kamine flackerte ein leichtes Feuer, die mächtigen Kronleuchter, sowie die Gueridons vor den hohen Spiegeln waren mit dunkelrothen gewundenen Kerzen besteckt, und als Karoline eben die buntgewirkten schweren Vorhänge zurückschlug, wurde ein fast zu üppiger Raum sichtbar, ein wahres Purpurzimmer; selbst durch die buntgemalten Erkerfenster warf der Abendschein noch rothe Reflexe auf dieses Gewirr von Sesseln und Sesselchen, Chaiselongues und Tischchen, während vor dem ernsten Grün kostbarer Blattpflanzen sich weiße Figuren leuchtend emporhoben.

„Es sieht gemüthlich aus, Trudchen, wie?“ sagte die junge Frau; „ich habe den Saal nicht offnen lassen, weil wir ja nur ein paar Damen sind. Die Landräthin hat vorhin noch zugesagt; kommst Du auf ein Stündchen?“

„Ich danke!“ versetzte das junge Mädchen, neben der Schwester zur mütterlichen Wohnnug emporsteigend, „schicke mir den Kleinen ein wenig zu, ich spiele so gern mit ihm.“

„Gewiß, der Gentleman soll erscheinen,“ nickte Frau Jenny, „vorausgesetzt, daß er nicht wie ein kleines Murmelthier schläst.“

„Geh’ hinein zur Mama,“ bat Trudchen, „ich will mich nur umziehen, dann komme ich.“

Es waren die nämlichen Räume wie im unteren Gestock, ebenfalls reich möblirt, aber nicht in der neuen stilvollen Weise, wenngleich nicht minder vornehm und behaglich. Die Schwestern trennten sich im Vorzimmer, und Trudchen Baumhagen suchte ihre Stube auf. Sie bewohnte das Gemach mit dem Erker, aber hier brach das Tageslicht nicht durch kostbare bunte Glasmalereien, es konnte ungehindert durch die Spiegelscheiben fluthen, vor denen draußen im leisen Westwind unzählige Blumenkelche schwankten. Gerade gegenüber erhoben sich die Giebel des Rathhauses, wie luftige Spitzengewebe zeichneten sich die dnrchbrochenen Sandsteinverzierungen von dem rothglühenden Abendhimmel ab. Er war ein unendlich anmuthiges Plätzchen, dieser Erker; der Nähtisch befand sich hier und hinter diesem auf einer Staffelei das Bild des verstorbenen Herrn Baumhagen. Beim ersten Blicke mußte man die Aehnlichkeit zwischen Vater und Tochter erkennen; dasselbe lichtbraune Haar, die kräftige Stirn, die kurze schmale Nase, und dann die Augen. Sie war auch immer sein Liebling gewesen und sie sorgte, daß stets eine frische Blume in dem goldenen Blattwerke des Rahmens steckte. Und wenn sie bei der Arbeit saß, dann ruhten zuweilen die Hände und ihre Augen suchten das Bild, „guter, guter Papa!“ pflegte sie dann hinüber zu flüstern, als müsse er es verstehen.

Auch heute schritt sie rasch zum Erker hinüber und schaute lange das Bild an. „Das hättest Du auch gethan,“ sagte sie leise, „nicht wahr, Papa?“ – Es lag plötzlich ein ernster Ausdruck in den zwei Mädchenaugen, etwas wie grenzenlose Sehnsucht. „Nein, Alle sind sie nicht so wie Mama und Jenny, es giebt noch warme Menschenherzen, es giebt noch Herzen, die Mitleid haben mit fremder Noth, denen das verhaßte –“ Sie stockte plötzlich, ihre schmalen Hände hatten sich geballt, und nun funkelten die Augen in Thränen.

Sie begann im Zimmer auf- und abzuschreiten, der weiche Teppich dämpfte den leisen Tritt zwar bis zur Unhörbarkeit, aber die schwere Seide rauschte hinter ihr drein, aufregend und beängstigend. Welche Demüthigungen brachte ihr täglich und stündlich die Thatsache, daß sie ein reiches Mädchen! Alles, Alles sollte sie dem Umstande verdanken, daß sie Geld besaß. Jenny hatte ihr ja eben erst wieder erklärt, daß sie nur Pathe geworden, weil – Ach, das war egal, das wußte sie besser; Johanne war zu bescheiden. Aber das Andere hatte sie noch nicht verwunden. Da war vor einer Woche Manöver in der Umgegend gewesen, und ein Oberst mit dem Adjutanten hatte zwei Tage im Baumhagen’schen Hause in Quartier gelegen. Sie erinnerte sich in der That nicht, daß sie mehr mit Letzterem gesprochen als einige alltägliche Worte, und vierundzwanzig Stunden, nachdem die Truppen die Stadt verlassen – gestern – lag ein Brief vor ihr, angefüllt mit den glühendsten Liebesversicherungen und der Bitte um ihre Hand. Sie hatte das Schreiben genommen und war hinübergegangen zur Mutter, am ihr das Schriftstück zu übergeben mit den Worten: „Es will da Einer mein Geld heirathen! Schreib Du ihm Antwort, Mama, ich kann es nicht.“

Nun bangte ihr vor der Erörterung dieses Schreibens. Sie fürchtete nicht, daß die Mutter ihr zureden würde – nein, nein, sie war stets selbständig genug gewesen, um von vorn herein ihr Empfinden nicht einem fremden Willen unterzuordnen; aber man sprach doch darüber, und wie unendlich weit gingen die Wege aus einander zwischen Mutter und Kind!

Sie schrak zusammen; die Thür war aufgegangen und die Stimme der Schwester rief: „Aber so komm doch, Trudchen, ich kann mich gar nicht zu dem modernen Roth entschließen!“

Das Mädchen schritt hinüber und stand gleich darauf in dem Salon vor ihrer Mutter, einer kleinen Dame mit fast zu rosigem Gesichte und einem unendlich eigensinnigen Zuge um den vollen Mund. Auf dem Sofa unter der großen Schweizerlandschaft, dem Bilde eines berühmten Düsseldorfer Meisters – Frau Baumhagen pflegte mit Genugthuung zu erzählen, daß sie zweitausend Mark dafür bezahlt habe – saß sie und wühlte mit ihren rundlichen kleinen Händen, an denen es von Brillanten blitzte, in einer Menge Stoffproben.

„Gertrud,“ rief sie, „das wäre für Dich!“ Und sie hielt ihr ein blaues Zeugfleckchen hin. „Schade, daß Ihr so ungleich seid, es ist sonst so hübsch, wenn zwei Schwestern egal gekleidet sind.“

„Was sich für eine Frau paßt,“ erklärte Frau Jenny, „schickt sich nicht für ein Mädchen. Trudchen soll machen, daß sie unter die Haube kommt, sie ist zwanzig Jahre.“

„Ach. da fällt mir ein,“ die Mama suchte noch immer unter den Proben während des Sprechens, „da ist noch der Brief von Deinem letzten Freier, ich muß ihm ja wohl antworten – was soll man denn da wieder schreiben? Sieh ’mal, Jenny, das ist niedlich, dieser braune Grund mit den blauen Tupfen, nicht?“ unterbrach sie sich – „es ist eigentlich recht lästig, solche Briefe beantworten zu müssen, warum thust Du es nicht selbst?“

„Ich fürchte, daß mein Schreiben nicht objektiv genug ausfallen würde,“ erwiderte das Mädchen ruhig.

„Interessirst Du Dich denn für ihn?“ forschte die Schwester.

Das junge Mädchen überhörte die Frage. „Ich glaubte bitter zu werden, und es bedarf ja doch nur einer rein geschäftlichen Antwort, wie die Anfrage ja auch nur eine rein geschäftliche ist.“

„Du bist himmlisch!“ lachte die junge Frau. „O wie schade, daß Du nicht im Mittelalter gelebt hast, wo der Ritter erst so und so viele Liebesproben bestehen mußte –! Närrchen, lerne doch nur die Welt begreifen! Denkst Du, Arthur hätte mich geheirathet, wenn ich kein Geld hatte? Ich versichere Dich, er hätte nie daran gedacht! Und glaubst Du, daß ich ihn genommen, wenn ich nicht wußte. er wäre in guten Verhältnissen? – Gott

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_354.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2020)
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