Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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Reitbahn die Hauptsache bilden. Diese finden wir auch auf dem lebendigen Gruppenbilde von Aurel Zimmermann wieder, das unseren Lesern ein interessantes Stück Berliner Lebens vor Augen führt.
Der Berliner Tattersall, der zwei Etablissements, in der Straße Schiffbauerdamm und in der Georgenstraße, besitzt, könnte seiner Bedeutung nach auch „deutscher Tattersall“ genannt werden, denn er ist der Centralpunkt für Pferdeliebhaber aus dem ganzen Deutschen Reiche.
Während nun Paris und London in ihren Tattersall-Stallungen fast ausschließlich Pferde beherbergen, welche in öffentlicher Auktion versteigert werden sollen, ist der Betrieb hier ein bedeutend vielseitigerer. In den beiden Berliner Etablissements findet man meist über 200 Pferde, welche zum Theil Privatleuten gehören, die ihre Thiere gut unterbringen und auch die Reitbahnen benutzen wollen, zum Theil des Verkaufes halber eingestellt worden sind.
Aber der Tattersall hält auch eigene Pferde, auf denen die Stallmeister Unterricht ertheilen und die zum Ausreiten im Freien vermiethet werden. Namentlich im Winter erhält man einen Begriff von der Großartigkeit des Tattersalls und lernt seine Vielseitigkeit kennen. Bei Gaslicht, in frühester Morgenstunde, werden die Verkaufspferde geritten, später erscheinen die Herren auf ihren eigenen Pferden, dazwischen wird Unterricht ertheilt, oder es werden Pferde von Käufern probirt. An mehreren Tagen der Woche spielt, von zwei Uhr ab, eine vortreffliche Kapelle und dann scheint es, als ob Alles, was Sportliebhaber ist, sich hier ein Stelldichein gegeben hätte. Auch das schöne Geschlecht ist stets zahlreich vertreten, und man glaubt in einen Cirkus mit seinem bunten Leben versetzt zu sein, wenn man von den Tribünen herab in das lebhafte Treiben hinabschaut. Hier bäumt sich ein schneeweißer Renner und macht, von den Sporen unsanft berührt, einen Seitensprung, dort jagen zwei Füchse, Kopf an Kopf, in gleichmäßigem Tempo vorüber. Das Geräusch des Lederzeuges und der sich fest auf den weichen Erdboden eingrabenden Hufe, ein „he! he!“ oder ein Lachen dringen in eigenartiger Zusammensetzung an unser Ohr. Wir sehen die Schleier biegen und die graziösen Frauenkörper sich wiegen, beobachten das Temperament jedes einzelnen Thieres, wie es sich in Gangart und kleinen Eigenheiten bemerkbar macht. Wie genau hält jedes Pferd mit seinem musikalischen Sinn die Takte inne und fügt sich doch der leitenden Hand zugleich!
Zum Schluß setzen die Thiere auch zum Galopp an und das Hürden-Ueberspringen beginnt. Es ist meist in der Rennbahn so voll, daß es wie ein Wunder erscheint, wenn fast nie ein Unglück passirt, und doch zeigt unser Bild, daß eine weniger geschickte Hand auch einmal ein Thier zum Straucheln bringt.
Dem Publikum wird in der bereitwilligsten Weise der Zutritt zu den Tribünen gestattet, um dem Vergnügen zuzusehen und sich ein Urtheil über die Leistungen der einzelnen Reiter zu bilden. Später, bis 11 Uhr Abends, reiten dann noch geschlossene Gesellschaften unter der Leitung eines Stallmeisters. Diese Gesellschaften bestehen fast ausschließlich aus Kaufleuten, denen bei Tage die Zeit mangelt, sich diesem anziehenden und gesunden Sport hinzugeben.
Jugendspiele. Der Sommer ruft unsere Jugend wieder hinaus ins Freie, wo Alles grünt und blüht; auf den Wiesen und Spielplätzen wird’s wieder lebendig, und selbst die kleineren Kinder tummeln sich wieder im warmen Sonnenschein. Da heißt es nicht mehr: „Wollen wir spielen?“ Diese Frage ist längst selbstverständlich mit einem „Ja“ entschieden. Es soll ja so viel in der Schule gelernt, so lange still gesessen sein. Es ist ja so schwer, bei den häuslichen Arbeiten geduldig auszuharren, während draußen der Himmel lacht und die Vögel singen. – Aber endlich ist die Pflicht gethan, und jetzt winkt die Erholung. Also, hinaus ins Freie! „Laßt uns spielen!“ „Mit wem?“ – Zunächst mit den Altersgenossen, die schon bereit stehen. Aber auch Erwachsene, die Eltern, der Lehrer, der und jener Kinderfreund betheiligen sich gern; man ordnet an, überwacht, bringt zu rechter Zeit Abwechselung hinein und sieht überhaupt selbst im kindlichen Spiele den Nutzen für Auge und Ohr, für Blutumlauf und Muskelkraft, für Körper, Geist und Charakter.
Da kommen eben zwei Büchlein so recht zu passender Zeit. Das eine, von einem Leipziger Lehrer, L. Mittentzwey, betitelt sich „Das Spiel im Freien“ (Leipzig, R. Merseburger). Angeregt durch die Spielgärten des dortigen Schreber-Vereins, die der Jugend viel Genuß gewähren, giebt der Lehrer hier für Jeden, der gern Spiele leiten und arrangiren möchte, eine Anleitung. Ein theoretischer Theil erörtert den Nutzen des Spiels, das im Wechsel zwischen Arbeit und Erholung bei unseren kleineren und erwachseneren Kindern Frohsinn, Heiterkeit, Gewandtheit und Thatkraft weckt, das Sinn für das Gesetzmäßige bildet, harmlose, edle Gesinnungen fördert und so überaus bedeutungsvoll für das spätere Leben ist. Der praktische Theil giebt dann die Beschreibung von Ball-, Lauf- und Fangspielen. Kampf-, Ziel- und Wurfspiele schließen sich an, und den Schluß bilden die Singspiele, denen die Noten zu den einfachen Liedern beigefügt sind.
Ein Thüringer Lehrer, Constantin Kümpel in Lauscha, ist der Verfasser der anderen Schrift: „Das Spiel der Jugend“ (Hildburghausen, F. W. Gadow und Sohn), die einem Berichte auf einer Lehrerkonferenz in Sonneberg, wo Herr Kümpel seine Schüler die Spiele vorführen ließ, ihr Entstehen verdankt. Dem guten Willen zur Anordnung von Jugendspielen fehlt oft die Kenntniß. Hier den Lehrern und Erziehern Unterweisungen und Winke zu geben, ist dem Verfasser durch Beschreibung, zum Theil auch bildliche Darstellung der Spiele für die verschiedenen Altersstufen gut gelungen. Vom einfachsten Kinderspiel bis zum Croquet und Fußball ist Alles vertreten.
Auf die Frage: „Was spielen wir?“ ist also eine Fülle von Antworten für Groß und Klein, für Knaben und Mädchen bereit. Nun denn!
„Laßt nur die Kinder spielen,
So lang’ sie froh und frei;
Bringt erst die Arbeit Schwielen,
Ist’s mit dem Spiel vorbei.“
Der Wortschatz einer Sprache. Marsh giebt an, daß die Zahl der bei guten Schriftstellern und richtig Sprechenden gebräuchlichen englischen Worte, einschließlich der Ausdrucke in Wissenschaften und Künsten, wahrscheinlich nahe an 100000 beträgt. Jedoch kommt ein großer Theil dieser Worte in dem gewöhnlichen Gebrauche des täglichen Lebens nicht vor. Berühmte englische und amerikanische Redner verfügten gelegentlich über etwa die Hälfte dieser ungeheuren Wortfülle, obwohl sie gemeinhin sich mit sehr viel geringerem oratorischen Aufwande begnügten. Nur wenige Schriftsteller oder Redner wenden mehr als 10000 Worte an, gewöhnliche Menschen von geistiger Durchschnittsbegabung kaum mehr als 3000 bis 4000. Sollte ein Gelehrter ohne vorherige Prüfung diejenigen Autoren nennen, welche über den reichsten englischen Sprachschatz verfügen, so würde er wahrscheinlich den vielseitigen Shakespeare und den Allwisser Milton anführen und doch kommen in allen Werken des großen Dramatikers nicht mehr als 15000 und in Miltons Gedichten nicht über 8000 verschiedene Worte vor. Das Alte Testament wendet 5642 Worte an. Sämmtliche ägyptische Hieroglyphenzeichen betragen nicht mehr als 800 und das ganze italienische Gebrauchsvokabularium ist kaum ausgedehnter. B. R.
Herzliche Bitte. Seit länger als 20 Wochen herrscht in der Familie des Lehrers Arndt in Reckenthin, Kreis Ost-Prignitz, eine mörderische Krankheit, der Typhus. Zuerst legte sich eine erwachsene Tochter, darauf die Ehegattin, dann Arndt selbst, zuletzt eine zur Pflege der Kranken herbeigeeilte Tochter. Selbst noch todtkrank, mußte Arndt es erleben, daß seine Ehefrau, die Mutter seiner sieben noch unversorgten Kinder, durch den Tod von seiner Seite gerissen ward. Schon vor diesen Krankheiten mit schweren Sorgen um die Existenz seiner zahlreichen Familie ringend, steht Arndt jetzt vor einer trüben und dunklen Zukunft. Die Rechnungen für Aerzte und Apotheke belaufen sich allein auf weit über 300 Mark. Hat nun auch die königliche Regierung dem schwergeprüften Manne auf meinen Vorschlag eine Unterstützung gewährt, so bleiben doch Noth und Bedrängniß des Unglücklichen noch immer so groß, daß, wenn derselbe je wieder seines Amtes mit Freudigkeit warten soll, ihm ausgiebigere Hilfe zu theil werden muß. Wohlan Brüder und Freunde des Lehrerstandes, helft mit, damit ich dem braven Lehrer Arndt in Eurem Namen sagen kann: „Sieh, die Liebe hört nimmer auf!“
Kuhsdorf bei Pritzwalk im April 1885.
Ramdohr, Pastor.
Vikar für die Parochie Reckenthin.
Allerlei Kurzweil.
Kleiner Briefkasten.
J. M. in Wien. Wenden Sie sich an die medicinische Fakultät der betreffenden Universität, mit der Bitte um nähere Auskunft.
M. B. Das betreffende Buch beziehen Sie durch jede Buchhandlung.
A. H. in A., Uckermark, v. d. W. in Wien, J. T. Nicht geeignet.
Inhalt: Trudchens Heirath. Von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 369. – Gustav Nachtigal. Portrait S. 369. – Eine Verschwörung. Von Johannes Scherr (Schluß). S. 374. – Ein letztes Zusammentreffen mit Gustav Nachtigal. Von Dr. Pechuel-Loesche. S. 378. Mit Abbildungen S. 378 und 379. – Ein Kranz. Gedicht von Gustav zu Putlitz. S. 380. Mit Illustrationen S. 380 und 381. – Plaudereien über Romandichtung. Von Rudolf von Gottschall. 1. Wahrheit und Dichtung im Roman. S. 380. – Blätter und Blüthen: Der Berliner Tattersall. S. 383. Mit Illustration S. 373. – Jugendspiele. Von Dr. L. Fürst. – Der Wortschatz einer Sprache. – Herzliche Bitte. – Allerlei Kurzweil: Die Treppe als Wegweiser. – Kleiner Briefkasten. S. 384.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_384.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2024)