Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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No. 24. | 1885. | |
Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Trudchens Heirath.
Die junge Frau ging fast bestürzt aus dem Zimmer ihrer
Schwester, sie fand kein Wort dieser Zuversicht Trudchens
gegenüber. Sie hatten sich nie verstanden, die Schwestern. Jenny
begriff auch jetzt noch nicht, wie man so lebensunklug und verblendet
sein konnte, und dennoch war sie wie vor etwas Reinem,
Erhabenem zusammengeschauert, als die klaren Mädchenaugen sie
anblickten, die noch Ideale sehen konnten, trotz der Prosa und des
Staubes des Lebens. Sie setzte sich wieder an das Sofa.
„Mamachen,“ flüsterte sie nach einer Pause, während welcher sie
nachdenklich ihren kleinen Pantoffel auf der Fußspitze hatte
tanzen lassen, „Mamachen, ach Gott! ich glaube, es hilft Dir
nichts – willst Du ein bischen eau de Cologne? – die Gertrud
ist so fanatisch in ihn verliebt; weißt Du, Du wirst ‚Ja!‘ sagen
müssen; die Enttäuschung bleibt freilich nicht aus.“
Trudchen war mitten im Zimmer stehen geblieben, sie sah der Schwester nach. Sie hatte Mitleid mit ihr. Es mußte doch schrecklich sein, wenn man nicht mehr an Liebe und Uneigennützigkeit zu glauben vermochte; und sie sah Franz Linden, seine ehrlichen Augen, so klar wie das reine Gewissen selbst. Kann man so aussehen mit einem Nebengedanken, kann man so sprechen mit einer Lüge im Herzen? Sie hätte auflachen mögen vor seliger Gewißheit; und wenn sie die Aermste, die Bettelärmste wäre, er liebte sie doch!
Am Nachmittage fand große Konferenz statt; um zwölf Uhr Vormittags war plötzlich der Befehl vom Sofa erlassen worden, daß man den Salon stärker heize, das Meißner Kaffeeservice aus dem Schrank nehme und beim Konditor einige Schüsseln bestellen solle. Frau Ottilie wollte Familienrath halten.
Der Duft von Sophiens berühmtem Kaffee zog bis in Trudchens einsames Zimmer; sie hörte die Thüren gehen und dann und wann die Stimme der Tante Stadträthin und Onkel Heinrich’s behagliches Lachen. Der Tag nahte seinem Ende, und man schien drüben noch immer nicht zu einem Entschluß gekommen, nur Trudchen saß ruhig im Erker und wartete. Er würde auch ruhig sein, das wußte sie; er hatte ja ihr Wort! Endlich Schritte – das mußte der Onkel sein. „Na, Jungfer Gertrud!“ rief er in das dämmerige Zimmer, „Er kam, er sah, er siegte? Schöne Streiche das! Deine Mutter ist höllisch fuchsig auf den kecken Eindringling, er wird alle seine Liebenswürdigkeit nöthig haben, um ihre schwiegermütterliche Gunst zu erringen. Na, da komm herüber, Du Trotzkopf, und bedanke Dich bei mir, daß sie nachgegeben.“
„Ich wußte es, Onkel,“ sagte sie freundlich, „Du läßt mich nicht im Stich.“
Er war ein kleiner alter Herr mit einem gemüthlichen runden Bäuchlein, das er sich so allmählich bei seinen splendiden Junggesellendiners angefuttert hatte; immer vergnügt, besonders nach einem guten Glase Wein. Und da er wußte, welch angenehme Wirkung ein solches auf ihn ausübte, so versäumte er zum Wohle der Menschheit nie, dieses Mittel zu gebrauchen, das ihn liebenswürdig und lustig machte. Lachend nahm er jetzt das große, schlanke Mädchen an die Hand, als sei sie noch ein Kind, und führte sie nach der Thür.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_385.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2021)