Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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„Leben und leben lassen, Trudchen!“ rief er; „es ist das purer Egoismus von mir, daß ich solchen Dampf dahinter machte. Brauchst nicht zu danken, war nur Scherz. Siehst Du, alles kann ich vertragen, nur keine Scenen, keine Weiberheulereien, und das versteht Deine Mutter aus dem FF. So was fällt mir immer auf den Magen, weißt Du. ‚Mach doch keinen Sums, Ottilie,‘ habe ich ihr gesagt, ‚warum soll sich die Kleine den hübschen Jungen nicht heirathen? Ihr Baumhagen’schen Mädels habt’s ja, könnt Euch einen Schatz nehmen, lediglich weil er Euch gefällt.‘ O la la! Hier bringe ich das Fräulein Braut!“ rief er in das erleuchtete Gemach und ließ das Mädchen vorantreten.
Sie ging mit ihrem leichten Schritt und ernster Miene zu der Mutter hinüber, die in der Sofa-Ecke lag, als sei sie gänzlich mitgenommen von der wichtigen Debatte; ihr zur Seite thronte die magere Tante Stadträthin im schwarzseidnen Kleid, das Blondenhäubchen auf dem braunen falschen Scheitel, im vollen Bewußtsein ihrer Würde; neben ihr Jenny; Arthur stand am Ofen. Die Damen hatten Kaffee getrunken, die Herren Wein, und der bläuliche Rauch feiner Cigarren hing unter dem vergoldeten Stuck der Decke. Die veilchenfarbenen Gardinen waren zugezogen; es sah sich Alles so höchst gemüthlich an.
„Ich danke Dir, Mama!“ sagte Trudchen.
Frau Baumhagen nickte leise und berührte den Mund der Tochter mit ihren Lippen. „Möge Dich dieser Schritt nie gereuen,“ sprach sie matt, „ich gebe nicht ohne schwere Besorgniß meine Einwilligung, und nur in Betracht Deines unbeugsamen – ja, ich muß es in dieser Stunde sagen – leidenschaftlichen Charakters willige ich ein – und des häuslichen Friedens wegen.“
Um Trudchens Mund flog ein bitteres Lächeln. „Ich danke Dir, Mama,“ wiederholte sie.
„Meine liebe Gertrud,“ begann die Frau Stadträthin feierlich, „nimm denn auch von mir –“
„Ach was!^ unterbrach Onkel Heinrich die alte Dame sehr ungalant, „nun habt Erbarmen, zunächst mit mir, aber dann mit dem schmachtenden Jüngling in Niendorf, und schickt ihm Antwort. Es ist schon vorgekommen, daß ein derartiges Warten arges Unheil angerichtet hat; schauderhafte Geschichten sind dadurch schon passirt, sage ich Euch. Setzen wir einmal ein Telegramm auf,“ fuhr er fort und zog ein Notizbuch aus der Tasche, riß ein Blatt heraus und borgte sich von seinem lieben Neffen Arthur eine Bleifeder.
„Na, was denn nun, Trudchen?“ fragte er, zum Schreiben bereit. „‚Komm in meine Arme!‘ oder ‚Dein auf ewig!‘ oder ‚Sprechen Sie mit meiner Mutter!‘ oder – ha ha, ich hab’s: ‚Meine Mutter läßt sich sprechen, komme morgen und hole Dir ihr Ja! Trudchen Baumhagen.‘ Und hole Dir ihr Ja,“ buchstabirte er beim Schreiben.
„Ich danke, Onkel,“ sagte das Mädchen, „ich will es aber lieber selbst besorgen in meinem Zimmer; sein Kutscher ist noch drüben im ‚Deutschen Hause‘ und wartet.“
Sie hörte noch das herzliche Lachen des alten Herrn über den armen Kerl, der habe schmachten müssen von Morgens elf Uhr bis jetzt, dann schloß sich die Zimmerthür hinter ihr. Mit bebender Hand zündete sie Licht an und schrieb: „Mama hat eingewilligt, morgen Mittag erwarte ich Sie.“ Sie strich das „Sie^ wieder aus und schrieb nach kurzem Zögern ein energisches großes „Dich“ dafür, und „Deine Gertrud.“
Die alte Sophie, die schon im Baumhagen’schen Hause gedient hatte, ehe der Herr heirathete, empfing das Billet. „Den Brief trage ich selbst hinüber, Fräulein Trudchen,“ sagte sie, „und wenn’s noch schlechter Wetter wär’ und wenn ich auch mein Reißen davon kriegte. Da halte ich nun zweier Menschen Schicksal in der Hand, so ein kleines Stückchen Papier; mög’s Glück mit mir gehen, das walte Gott, Fräulein!“
Trudchen drückte ihr die Hand und trat dann in den Erker und spähte durch die Scheiben, wie Sophie über den Markt schritt, ihre weiße Schürze flatterte jetzt unter dem Gaskandelaber neben der Hökerfrau und nun unter der Hauslaterne des Hôtels. Wenn doch der Alte fahren wollte, so rasch die Pferde laufen können! Jetzt dünkte sie jede Minute zu lang, die er warten sollte.
Da flatterte wieder die weiße Schürze unter der Laterne, aber es ist Jemand vor ihr. Trudchen legte plötzlich beide Hände auf das hochklopfende Herz. „Franz!“ stammelte sie, und ihre Glieder versagten fast den Dienst, als sie sich wenden wollte. Er selbst hatte gewartet auf Antwort!
„Das ist er, das ist er, mein Bräutigam!“ flüsterten die zitternden Lippen. die ganze selige weihevolle Bedeutung des Wortes überschauerte sie. Und leise öffnete Sophie die Thür, und er trat über die Schwelle der zierlichen Mädchenstube; und ebenso leise schloß sie die Thür wieder hinter ihm. Das alte treue Mädchen hatte nur noch gesehen, wie ihr stolzes Fräulein sich so fest in seine Arme schmiegte und stumm und heiß sich küssen ließ „O, über so etwas,“ sagte sie lächelnd, „ja, die Liebe, die Liebe!“
Dann lenkte sie die Schritte nach dem Saal, aber vor der Thür wandte sie sich kopfschüttelnd wieder um; sie würden Alle gleich hinüber laufen, und diese seligen Minuten wollte sie dem Trudchen nicht verkürzen; in einer Viertelstunde war’s noch Zeit genug, daß er zur „Madam“ in den Saal ging. Und sie machte sich irgend etwas auf dem Korridor zu schaffen, um rechtzeitig bei der Hand zu sein, wenn die Beiden über Alles, was sie sich zu sagen haben, die Mama vergessen sollten.
Nach Mitternacht erst fuhr Linden heim; der joviale Onkel hatte noch in aller Eile eine kleine Verlobungsfeier zu stande gebracht, bei der er eine längere Rede hielt. Nächstdem hatte Frau Jenny sich am lustigsten gezeigt und sogar schelmisch mit dem Herrn Schwager in spe angestoßen. Frau Baumhagen aber war, nach einer halbstündigen Unterredung unter vier Augen mit dem jungen Manne, ernst und schweigeud geblieben und spielte die besorgte Mutter bis zu Ende; sie nippte kaum am Champagnerkelch, als das Wohl des Brautpaares getrunken wurde.
Franz Linden hatte ihre Kälte durchaus nicht als Beleidigung aufgefaßt; sie kannte ihn so wenig, und er war da wie ein hungriger Wolf eingedrungen, um ihr Lämmlein zu rauben. Es müßte eigentlich schrecklich sein, eine Tochter herzugeben, meinte er, noch dazu eine wie Trudchen, sein Trudchen. Er war weich gestimmt bis zur Rührung, er dachte an seine alte Mutter, er dachte daran, wie er noch vor wenig Wochen so düster in die Zukunft gesehen und wie sie nun so sonnig vor ihm lag, und diese lachenden Strahlen gingen aus von einem Paar blauer Augen in einem lieben blassen Mädchengesicht. Er wußte selbst nicht, wie schnell es gekommen, daß er ihr von seiner Liebe gesprochen. Er sah noch das erhellte purpurrothe Gemach gestern Abend und den halbdämmerigen Erkerraum; dort stand sie in dem wunderbaren Lichte, das Mondesstrahl und Kerzenschein gemeinsam schufen. Im Nebenzimmer brannte der Weihnachtsbaum, und das Sprechen und Lachen der Gesellschaft klang herüber, sie hatte sich umgewandt, als er zu ihr getreten, und auf ihren Wangen hatte er Thränen bemerkt. Aber sie lächelte doch, als sie seine Bestürzung gewahrte. „Ach, es ist, weil mich Weihnacht immer an Papa erinnert; gestern war er sieben Jahr todt.“
Ein Wort war zum andern gekommen, und endlich fanden sich ihre Hände fest in einander geschlungen. – „Damals, in der Kirche, hätte ich sie am liebsten gleich festgehalteu, die kleine Hand. Wären Sie böse gewesen, Gertrud?“ Und sie hatte den Kopf geschüttelt und ihn unter Thränen lächelnd angesehen, vertrauend und lieb, das schöne stolze Geschöpf – seine Braut, bald sein Weib! –
Er fuhr empor aus den Träumen. Der Wagen hielt auf dem Hofe vor der Treppe, dunkel lag das Haus da; nur hinter Tante Rosa’s Fenstern brannte noch Licht. Er ging wie im Rausche die Stufen hinan und trat in den Gartensaal; er sah sich um, als wäre er zum ersten Male in dem einsamen Zimmer, so fremd, so verändert kam es ihm vor, so leer und kalt. Und er dachte an die Zeit, wo er hier erwartet würde; es ließ sich nicht ausdenken, dieses Glück!
Da drückte sich leise die Thür hinter ihm auf, und als er sich umwandte, erblickte er, schier spukhaft anzusehen, Tante Rosa.
„Ich habe auf Sie gewartet, lieber Neffe,“ schallte ihm ihre hohe Stimme freudig entgegen, „ich habe den Brief gefunden, den Brief. Gott Lob, daß er da ist! Er liegt oben in Ihrem Zimmer. Mir ist eine Last von der Seele genommen, lieber Franz.“ Sie nickte ihm unter der ungeheuren Nachthaube freundlich zu. „Sind lange ausgeblieben; ich bin müde und nun will ich schlafen. Gute Nacht! Gute Nacht!“
Und sie ging mit leisen Schritten, wie eine gespenstige Ahnfrau der Saalthür zu.
„Tantchen!“ schallte da seine Stimme hinter ihr drein, so laut und fröhlich, daß sie sich fast betroffen umwandte. Aber da
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_386.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2021)